# taz.de -- Ökologische Bestattungsalternative: Kompostieren statt verbrennen | |
> In Schleswig-Holstein läuft ein Pilotprojekt für ein klimafreundliches | |
> Bestattung-Verfahren. Die Methode spart Energie und wohl auch | |
> Schadstoffe. | |
Bild: Auf Heu gebettet: Vorbereitung zur Reerdigung | |
RENDSBURG taz | Ein warmer Sommergeruch aus Heu strömt aus dem Becken, das | |
in der Kapelle des Friedhofs Eichhof steht. Das Bett aus Heu, Stroh und | |
getrockneten Blumen wartet [1][auf einen menschlichen Körper,] der sich | |
darin in wenigen Wochen zersetzen soll. „Reerdigung“ nennt sich das | |
europaweit einzigartige Verfahren, das das Berliner Start-up Meine Erde | |
entwickelt hat. | |
In Schleswig-Holstein wird die Methode, die schneller als klassische | |
Erdbestattungen und weit [2][klimafreundlicher als die Verbrennung im | |
Krematorium] ist, in einem Pilotprojekt getestet. Nach dem ersten Jahr | |
ziehen die Beteiligten ein positives Fazit. Damit auch in anderen Orten | |
„reerdigt“ werden darf, müssen die Bestattungsgesetze geändert werden. | |
40 Tage braucht es, bis die Leiche zu Erde zerfällt. Die Zahl ist nicht | |
zufällig gewählt, sie taucht im religiösen Kontext immer wieder auf: Laut | |
Bibel dauerte so lange die Sintflut, Jesus verbrachte 40 Tage in der Wüste. | |
Im Islam ist ein Totenmahl 40 Tage nach der Trauerfeier üblich. „Aber die | |
biologischen Prozesse passen auch“, sagt Pablo Metz, Co-Gründer von Meine | |
Erde. | |
Wie perfekt sich der Körper in dieser Frist zersetzt, „finden auch wir | |
immer noch faszinierend“. Der Betriebswirt wurde vor einigen Jahren von | |
seinen „Kindern auf den Pott gesetzt“, sich mehr für die Umwelt | |
einzusetzen. Ein Gespräch mit seiner damals 93-jährigen Großmutter brachte | |
ihn auf das [3][Thema Beerdigungen], berichtet er. „Sie fand weder Feuer- | |
noch Erdbestattung gut und war traurig, dass es keine anderen Möglichkeiten | |
gibt.“ | |
## Perfekte Verhältnisse für körpereigene Mikroben | |
Mit seinem Geschäftspartner Max Hüsch, einem Maschinenbauer, entwickelt | |
Metz das neue Verfahren: „Wir nutzen die Kräfte der Natur.“ In dem | |
verschlossenen Behälter und auf dem Heu-Stroh-Bett finden die körpereigenen | |
Mikroben perfekte Verhältnisse. Zehn Tage bleibt der Behälter unberührt, | |
dann wird er weitere 30 Tage sanft bewegt – „gewiegt“, sagt Metz. Dadurch | |
wird verhindert, dass sich am Grund des Beckens Wasser sammelt. | |
Am Ende haben sich Haut, Muskeln, Organe zersetzt. Die Knochen werden | |
bereits porös und können zermahlen werden, so wie es auch nach einer | |
Feuerbestattung geschieht. Ersatzteile wie Goldzähne und Hüftgelenke werden | |
ausgesiebt. Zusammen mit dem Heu-Stroh-Bett werden aus einer 80-Kilo-Leiche | |
rund 100 Kilo Erde von bester Humus-Qualität. | |
„Es ist richtig zu sehen, wie gut die Pflanzen auf den entsprechenden | |
Gräbern wachsen“, sagt Christoph Donner, Verwaltungschef des Kirchenkreises | |
Altholstein, zu dem der Kieler Friedhof gehört. Meine Erde hat mehrere | |
Räume der denkmalgeschützten Kapelle auf dem Gelände gemietet, in denen die | |
Behälter stehen. Bisher wurde das Verfahren in Mölln getestet, im Februar | |
2022 fand die erste Reerdigung statt. | |
Der Modellversuch wird von der Uni Leipzig begleitet. Auch das Kieler | |
Justizministerium, dem das Bestattungswesen zugeordnet ist, schaut | |
aufmerksam hin. Die schwarz-grüne Landesregierung arbeitet an einer Novelle | |
des Bestattungsgesetzes, das – so hofft Metz – die Reerdigung als | |
Bestattungsalternative erlaubt. Andere Bundesländer könnten dann | |
nachziehen: „Das Interesse ist groß“, sagt der Unternehmer. | |
## Nur die Bestattungsbranche könnte verlieren | |
Das Hauptargument für das Verfahren ist der ökologische Aspekt. Heute | |
entscheiden sich die meisten Hinterbliebenen für Feuerbestattungen – doch | |
[4][Krematorien brauchen Energie], schließlich muss die Kammer auf über | |
1.000 Grad geheizt werden. Der Verband für Gedenkkultur, eine | |
Interessensvereinigung des Friedhofswesens, spricht von einem Energiebedarf | |
von gut 126 Millionen Kilowattstunden Erdgas und 31 Millionen kWh | |
Strom[5][. Das Bundesumweltamt weist in einer Studie auf | |
Gefahrstoff-Emissionen hin]: So entweicht beim Verbrennen unter anderem | |
Quecksilber aus Zahnfüllungen. | |
Aus theologischer Sicht spreche nichts gegen die Reerdigung, sagt Pröpstin | |
Almut Witt vom Kirchenkreis Altholstein. Sie verweist auf den Segen bei der | |
Beisetzung: „Erde zu Erde – hier wird das ganz deutlich.“ Hinzu kommt, da… | |
die Reerdigung den Trend zur Urne umdrehen könnte, durch den die meisten | |
Friedhöfe zu viele freie Grabstellen haben. | |
Win-win-win – nur die Bestattungsbranche könnte verlieren. Zwar legt Metz | |
legt Wert darauf, dass Meine Erde den Bestattern keine Konkurrenz mache und | |
das Verfahren in deren Hand bliebe. Aber es wird kein Sarg gebraucht. Zudem | |
ist die Reerdigung mit rund 2.900 Euro deutlich teurer als das Krematorium. | |
Dafür aber sei für viele Menschen der Gedanke „einfach schön“, beim letz… | |
Gang keinen großen CO2-Fußabdruck zu hinterlassen, sagt Metz, dessen Firma | |
zurzeit Fördermittel vom Bund und der EU für das neue Verfahren erhält. Zu | |
den wenigen bereits reerdigten Menschen gehört auch seine Großmutter. | |
1 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Klimafreundliche-Krematorien/!5863959 | |
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[3] /Kirche-in-Ostdeutschland/!5936233 | |
[4] /Bestattungskultur-in-Deutschland/!5581840 | |
[5] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikatione… | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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