# taz.de -- Alternative Bestattungsform: Sollen Tote kompostiert werden? | |
> Die Reerdigung, eine alternative Methode der Bestattung, wird derzeit in | |
> Schleswig-Holstein getestet. Doch es gibt Protest, vor allem von | |
> Krematorien. | |
Bild: Nach 40 Tagen bleiben nur noch Humuserde und die Knochen übrig: In den �… | |
Rendsburg taz | Den letzten ökologischen Fußabdruck hinterlässt der Tod: | |
Weil die meisten Menschen ein Urnengrab der Erdbestattung vorziehen, steigt | |
der CO2-Ausstoß der bundesweit rund 160 Krematorien. [1][Die sogenannte | |
Reerdigung], die als Pilotversuch in Schleswig-Holstein stattfindet, | |
schafft eine Alternative. Doch es gibt Protest – vor allem von Seiten der | |
Krematorien. | |
Sieben „Kokons“ stehen zurzeit in Gebäuden auf Friedhöfen in Kiel und | |
Mölln, die zum evangelischen Kirchenkreis Altholstein gehören. In den | |
Behältern liegen Tote auf Heu. In dieser Umgebung entsteht Wärme, der | |
Leichnam zersetzt sich. Der Kokon wird regelmäßig bewegt, damit sich | |
Flüssigkeit nicht am Boden sammelt. | |
Nach 40 Tagen – der biblische Bezug ist bewusst gewählt – haben sich | |
Muskeln und Organe in Humuserde verwandelt. Es bleiben die Knochen übrig, | |
die in einer Knochenmühle zerkleinert werden, ähnlich wie die Reste nach | |
einer Feuerbestattung. Die Erde wird in einem Tuch beigesetzt. | |
Hinter dem in Europa einmaligen Verfahren steht die Berliner Firma „Meine | |
Erde“. Deren Geschäftsführer Pablo Metz hatte bundesweit gefragt, wer den | |
Pilotversuch erlauben würde, aus Schleswig-Holstein kam eine Zusage: Der | |
alte Satz „Erde zu Erde“ werde bei dem Verfahren sehr deutlich, sagt die | |
zuständige Pastorin Almut Witt. | |
## Humus oder Kompost? | |
Rechtlich möglich ist die Reerdigung, weil das Kieler | |
Gesundheitsministerium eine Ausnahme gestattete. Seit Januar gilt eine | |
„Experimentierklausel“, der zu Beginn des Jahres alle Landtagsfraktionen | |
zustimmten. Zurzeit arbeitet das Land an einer [2][Reform des | |
Bestattungsgesetzes], die Reerdigung könnte als Alternative zu anderen | |
Formen aufgenommen werden. | |
Aber nach der Vorstellung der Methode im Sommer 2023 gab es auch kritische | |
Stimmen. Besonders [3][der Rechtsmediziner Klaus Püschel], bis 2020 | |
Institutsdirektor am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und seit 2005 | |
Geschäftsführer seines Instituts für [4][Rechtsmedizin] in Stade, meldete | |
sich zu Wort. In einem Sonderheft der Zeitschrift [5][Bestattungskultur] | |
des deutschen Bestattungsgewerbes [6][nannte er das Verfahren | |
„Kompostierung“], warf dem Berliner Start-up „Marketinginteressen“ vor … | |
kritisierte die Bezeichnung Kokon für den Plastikbehälter. | |
Der Vorwurf, [7][das Unternehmen verfasse „Werbeprosa“], findet sich erneut | |
in einem Artikel auf „Spiegel online“ von Mitte Juli. „Wir bemühen uns um | |
eine angemessene, würdevolle Sprache“, sagt Pablo Metz dazu. „Es geht | |
darum, den Respekt vor Verstorbenen und ihren Angehörigen zu wahren.“ | |
Aber der Streit um Begriffe hat inzwischen sogar zu einem | |
Gerichtsverfahren geführt, dessen Ausläufer auch die taz betrafen: Nach der | |
Klage eines Krematoriums darf „Meine Erde“ nicht mehr davon sprechen, dass | |
es eine „wissenschaftliche Begleitung“ durch die Universität Leipzig gibt. | |
Auch Medien sollten den Ausdruck nicht verwenden, bittet das Unternehmen. | |
Allerdings spricht das Forscherteam aus Leipzig selbst in einem Aufsatz | |
davon, in Texten des Kieler Landtags tauchen die Wörter auf. [8][Die | |
Leipziger Rechtsmedizin untersuchte zwei Reerdigungsprozesse], entnahm | |
Proben und untersuchte die unter anderem auf Rückstände von Medikamenten | |
und Giftstoffen. | |
Vor Gericht sei die Methode nicht bestritten worden, „nur der Begriff“, | |
sagt Metz. Doch Rechtsmediziner Püschel – der Krematorien berät und dort | |
Leichenschauen abhält – zweifelt trotzdem an der Methode: Es sei „völlig | |
falsch“, dass der Körper zu Humus zerfalle, sagte er dem Spiegel. | |
Stattdessen müsse es sich um „Kompost handeln, der relativ viel verfaultes | |
Fleisch enthalte“. | |
Allerdings war Püschel bei keiner Kokon-Öffnung dabei – anders als das Team | |
aus Leipzig und Vertreter:innen des Kieler Gesundheitsministeriums. Die | |
hätten einen „erdigen Geruch“ wahrgenommen, keineswegs den | |
„Verwesungsgeruch“, den Kritiker:innen unterstellen, berichtete | |
Gesundheits-Staatssekretär Oliver Grundei (CDU) im Fachausschuss des | |
Landtags. | |
Der Bericht der Leipziger Rechtsmedizin beschreibt, dass nach 40 Tagen im | |
Kokon „keine Weichteilreste“ mehr lagen, dafür war „ein erdig-humoser | |
Geruch wahrnehmbar“. Die Knochen sahen aus wie bei einem 20 bis 50 Jahren | |
alten Leichnam. | |
Es sei gut und richtig, dass das Verfahren genau überprüft werde, sagt | |
Pablo Metz. Aber er ist von der Methode überzeugt – und freut sich über | |
zahlreiche Anfragen: „Die Menschen möchten es.“ | |
Zurzeit dürfen die Reerdigungs-Kokons nur in Schleswig-Holstein stehen, | |
aber das werde sich ändern, glaubt Metz: „Schon jetzt kann die Erde in | |
Hamburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern bestattet werden, andere | |
Länder setzen sich damit auseinander.“ Mit der Zeit würden die Bedenken | |
ausgeräumt, glaubt er: „Es ist ja nur neu.“ | |
29 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Oekologische-Bestattungsalternative/!5947963 | |
[2] https://www.schleswig-holstein.de/DE/landesregierung/ministerien-behoerden/… | |
[3] /Gewinnaussichten/!5241633 | |
[4] /Alternative-Bestattungsmethode/!5903114 | |
[5] /Friedhoefe-als-Gruenflaeche/!6016948 | |
[6] https://www.bestatter.de/presse/aktuelles/artikel/pilotprojekt-reerdigung-e… | |
[7] https://www.spiegel.de/panorama/berlin-ein-start-up-will-die-beerdigungsbra… | |
[8] https://link.springer.com/article/10.1007/s00194-023-00681-6 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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