# taz.de -- Friedwälder in Deutschland: Mein Freund, der Baum | |
> Herbert Pietschmann wollte im Wald bestattet werden. Die besondere | |
> Ruhestätte spendet seinem Sohn heute Trost – und schützt gleichzeitig die | |
> Bäume. | |
Bild: Im Friedwald kommt der Mensch der Natur ganz nah | |
Nuthetal taz | Stefan Pietschmann sitzt vor der Urne mit der Asche seines | |
Vaters Herbert im Nuthetal-Wald bei Potsdam und stellt seine Kaffeekanne | |
und mehrere Stücke hausgebackenen Streuselkuchen auf eine Holzbank. | |
Pietschmann schaut kurz auf die Uhr. 10.30 Uhr. Dann heben er, seine Frau, | |
seine Cousine und ihr Partner ihren Kaffee im Pappbecher. Pietschmanns | |
Geschwister sind nicht angereist. Zu belastet war das Verhältnis zu ihrem | |
Vater. Doch auch sie wollen genau zu dieser Uhrzeit in der Ferne ein | |
letztes Mal auf ihn anstoßen. | |
Die letzten fünf Jahre waren für Pietschmanns dann 94-jährigen Vater | |
Herbert nicht leicht – die Demenz, die Coronazeit im Altenheim, zuletzt die | |
Hüftoperation. Irgendwann wurde er mittags müde, legte sich hin und wachte | |
nicht mehr auf. „Das runde Ende einer Reise“, sagt der 57-jährige Stefan | |
Pietschmann und lächelt, während ihm durchs Blätterdach die Sonne ins | |
Gesicht scheint. | |
Der Vater hat sich bewusst für eine Bestattung in einem Wald, bei einem | |
Baum, entschieden. Er gehört damit zu einer immer größer werdenden Gruppe | |
von Menschen, die in einem Wald statt auf dem Friedhof begraben werden. | |
Seit der Gründung des ersten Bestattungswaldes in Deutschland 2001 wächst | |
ihre Zahl kontinuierlich. | |
Allein die beiden Marktführer in Deutschland, FriedWald und RuheForst, | |
betreiben mittlerweile mehr als 170 Bestattungswälder. Im Jahr 2023 wurden | |
in ihnen rund 50.000 Tote bestattet, das entspricht rund 5 Prozent der | |
jährlichen Todesfälle hierzulande. | |
## Bäume als Trostspender | |
Doch was genau zieht immer mehr Menschen weg von Särgen und Grabsteinen hin | |
zu Waldboden und Bäumen? Und ist die Waldbestattung wirklich so „naturnah“, | |
wie sie verspricht? Ursprünglicher, umweltschonender, günstiger. Mit beiden | |
Händen umschließt Försterin Irka Mohr die auf einen großen Baumstamm | |
gebettete Urne von Herbert Pietschmann. Langsam geht es den Buntspechtweg | |
hinunter, tiefer in den Wald hinein zu der Buche, die sich Pietschmann | |
schon zu Lebzeiten als letzte Ruhestätte ausgesucht hatte. | |
Der Wald spendet Menschen Trost. Doch gleichzeitig, so schreibt | |
Deutschlands wohl bekanntester Förster und Mitbegründer eines | |
Bestattungswaldes, Peter Wohlleben, schützen die bestatteten Menschen auch | |
die Bäume über sich. Denn dem Zugriff der Forstwirtschaft ist der Wald als | |
letzter Ruheort für mindestens 99 Jahre entzogen. | |
Das [1][Ergebnis der in dieser Woche vorgestellten Waldinventur] zeigt, wie | |
wichtig der Schutz von Wäldern in Deutschland ist. Seit 2017 hat der Wald | |
mehr Kohlenstoff ausgestoßen als gespeichert. Dabei sollte er eigentlich | |
als CO2-Senke zum Klimaschutz beitragen. Das liegt sowohl am Klimawandel | |
als auch der intensiven forstwirtschaftlichen Nutzung der Wälder. 5.840 | |
Hektar Wald schützen FriedWald und RuheForst so mittlerweile, eine Fläche | |
etwa dreimal so groß wie die Nordseeinsel Amrum. So können auch alte Bäume | |
erhalten werden, die oft eine wichtige Rolle im lokalen Ökosystem spielen. | |
„Ich habe es nicht so mit Esoterik“, sagt der Sozialarbeiter Stefan | |
Pietschmann. Und trotzdem ist er froh, heute die Asche seines Vaters hier | |
im Wald beisetzen zu können und nicht auf einem klassischen Friedhof. | |
Es gibt rationale Argumente, die für eine Waldbestattung sprechen. Da sind | |
zum einen die Ressourcen, die klassische Erdbestattungen verschlingen. Die | |
Non-Profit-Organisation Green Burial Council hat am Beispiel der USA | |
errechnet, dass dort jedes Jahr rund 19 Millionen Liter | |
Einbalsamierungsflüssigkeit (dessen toxischer Inhaltsstoff Formaldeyhd | |
seinen Weg in den Boden finden kann), 64.500 Tonnen Stahl und 1,6 Millionen | |
Tonnen Beton genutzt werden. | |
## Auch Waldbestattungen sind nicht klimaneutral | |
Trotz der Einsparungen gegenüber der Erdbestattung: Genau wie bei einer | |
Urnenbestattung auf einem Friedhof verursacht auch die Bestattung in einer | |
Urne in einem Wald noch relativ viel CO2. So stoßen Krematorien in | |
Deutschland je nach Berechnung bis zu 300.000 Tonnen CO2 aus, das | |
entspricht dem Jahresausstoß von 33.000 Menschen im Land. Deshalb bemüht | |
sich die Branche um Alternativen. Neben CO2-neutralen Krematorien gehört | |
auch die Humankompostierung in einem Kokon dazu, die verspricht, dass der | |
Körper nach 40 Tagen zu frischer Erde verarbeitet ist – durch natürliche | |
Zersetzungsprozesse und optimale Luft- und Feuchtigkeitsbedingungen. | |
Anders als bei der Urnenbestattung auf einem klassischen Friedhof braucht | |
es im Wald keine aus fernen Ländern importierten Grabsteine und auch keine | |
teure Grabpflege. Im Durchschnitt ist das damit eine der preiswertesten | |
Bestattungsarten. Bei FriedWald kostet die Bestattung einer Urne auf einem | |
Basisplatz beispielsweise 1.030 Euro. Für die Pacht eines ganzen Baums mit | |
20 potenziellen Grabplätzen, Pachtdauer 99 Jahre, können aber auch bis zu | |
7.490 Euro plus Bestattungskosten ausgegeben werden. | |
Für die meisten Menschen geben jedoch die emotionalen Argumente den | |
Ausschlag. So war es auch bei Herbert Pietschmann. Sein Weg zum Wald begann | |
mit einer Tragödie. Vor einigen Jahren starb sein Enkel plötzlich. Der | |
damals erst Ende 20-Jährige hatte seinen Freund:innen und Kund:innen im | |
eigenen Friseursalon in Berlin gerade noch die Haare geschnitten. Im | |
nächsten Moment musste seine Mutter ein Grab für ihn suchen. Auf der Suche | |
nach einem Ort, an dem sie ihren Sohn so feiern konnten, wie er war, | |
stießen sie auf den Friedwald. | |
Mit knapp 150 Menschen führten sie eine Prozession durch den Wald an, | |
vorneweg ein Bollerwagen mit riesigen Lautsprechern, die Playlist voller | |
Lieder, die Freunde und Familie an ihn erinnerten. Ein Fest des Lebens | |
inmitten der Bäume – für Stefan Pietschmann wäre das auf einem klassischen | |
Friedhof bei einer christlichen Beerdigung mit striktem Protokoll | |
unvorstellbar gewesen. Der Kontrast zur heutigen Beerdigung seines Vaters | |
im kleinsten Kreis ist riesig. Und doch meint Pietschmann: „Inmitten der | |
Bäume fühlt sich beides genau richtig an.“ | |
## Zahl der Waldbestattungen in Deutschland steigt | |
Für viele Trauernde ist die Beisetzung im Wald der Beginn einer neuen | |
Beziehung zur Natur. „Eichhörnchen, Rehkitze, Vögel – das Leben um sie | |
herum zieht die Menschen aus ihren Gedanken“, sagt Irka Mohr. Viele würden | |
anfangen, Pflanzenbestimmungs-Apps auszuprobieren. Eine Angehörige habe | |
sogar eine Karte mit allen Ameisenhaufen im Wald gezeichnet. „Mich freut | |
das“, sagt Mohr. Denn nur was die Menschen kennen und schätzen würden, | |
könnten sie letztlich auch schützen. | |
Noch ist es eine Minderheit der Deutschen, die sich für eine Bestattung im | |
Wald entscheidet, auch wenn die Zahl in den vergangenen Jahren zugenommen | |
hat. Und für den Umweltschutz und die Biodiversität ist der Nutzen der | |
Wälder im Vergleich zu anderen Stellschrauben klein. Doch für die | |
trauernden Menschen scheint der wissenschaftlich erwiesene beruhigende | |
Effekt des Waldes zu wirken. | |
Etwas abseits des Weges kommt die Gesellschaft um Stefan Pietschmann vor | |
einer schief gewachsenen jungen Buche zum Stehen. Sein Vater hat diesen | |
krummen Baum noch vor seinem Tod ausgewählt; warum genau, weiß Pietschmann | |
selber nicht. Um ihn herum stehen viele gerade, vermeintlich schönere | |
Bäume. „Vielleicht wusste er, dass das Leben nicht immer so geradlinig | |
ist“, sagt Pietschmann. | |
## Symbole und Metaphern spenden Trost | |
Försterin Mohr kniet sich neben das Grab und gibt die Urne behutsam in die | |
Erde. Aus dem ausgehobenen Loch wächst ein winziger Baumtrieb heran. „Neues | |
Leben auf altem Leben“, sagt Pietschmann später. | |
Es sind Symbole und Metaphern wie diese, die vielen Hinterbliebenen Trost | |
spenden. „Hier spüren wir, dass wir mittendrin sind, ein Teil des | |
Naturkreislaufs.“ Und dann ist das Sterben auch ein normaler Teil dessen. | |
„Das fühlt man einfach. Da braucht es gar nicht viele Worte“, sagt Irka | |
Mohr. „Hier im Wald sind wir alle gleich“, sagt Pietschmann. „Hier gibt es | |
kein Bewerten, kein Klassifizieren, kein Abstufen mehr.“ | |
Ob er sich selbst auch am Baum seines Vaters bestatten lassen will, weiß | |
Pietschmann noch nicht. Die Ruhe, die Tiere, das Sonnenlicht – vieles am | |
Wald gefällt ihm. Wenn es eines Tages auch für ihn ein Grab im Wald werden | |
sollte, dann will er schon zu Lebzeiten viel Zeit mit seinen Liebsten dort | |
verbringen. Um den Wald mit Erinnerungen zu füllen, die ihn lange | |
überdauern. | |
13 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bundeswaldinventur.de/fileadmin/Projekte/2024/bundeswaldinventu… | |
## AUTOREN | |
Mitsuo Iwamoto | |
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