# taz.de -- Grabstätte im Friedwald: Papa Baum | |
> Der Vater unserer Autorin liegt unter einer Buche begraben. Lange haderte | |
> sie mit dem Ort, bis sie bei einem Besuch verstand, was sie an ihm hat. | |
Bild: Alte Buchen brauchen lange Arme | |
Mein Vater ist zu Lebzeiten so groß und stark wie ein Baum. Das Gute daran | |
ist, dass er uns mit seinen ausladenden Ästen vor Regen und Sturm | |
beschützt, nicht so gut, dass er unser Wachstum nur insofern toleriert, als | |
es nicht über sein eigenes hinausgeht. Wo für andere der Himmel die Grenze | |
ist, ist es für uns seine Baumkrone. Wir haben unter seinen Fittichen zu | |
bleiben, sonst riskieren wir, aus seinem Wald hinausgeworfen zu werden. | |
Und trotzdem ist mein Vater einer zum Anlehnen. Für meine Mutter und uns | |
vier Kinder, für seine Freunde und Mandant*innen, egal, ob sie | |
Schokoladenfabrikbesitzer oder Sexarbeiterin sind. Wir alle profitieren von | |
seinem großen Herz und seiner Hilfsbereitschaft. Doch irgendwann bekommt er | |
eine Lungenfibrose und sein Ökosystem kippt. Bald ist er so schwach, dass | |
er manchmal einfach umfällt. Ich dürfe meiner Mutter aber nichts davon | |
erzählen, sagt er, sie soll sich keine Sorgen machen. Aber natürlich sind | |
wir krank vor Sorge. Es ist eine Tragödie, wenn ein Baum eingeht und man | |
nichts mehr für ihn tun kann. | |
Mein Vater stirbt. Bäume sterben gerade unzählige. Sie verdursten oder | |
werden gefällt. Dabei säubern sie unsere Luft und produzieren | |
überlebenswichtigen Sauerstoff. Daran will auch der [1][Tag des Baumes] | |
erinnern, der vor vielen Jahren in den USA ins Leben gerufen wurde. Seitdem | |
pflanzen Menschen auf der ganzen Welt im April Bäume. | |
Auch mein Vater pflanzte in unserem Garten einen Baum, eine japanische | |
Zierkirsche, die in meiner Teenagerzeit leider einging. | |
## Sanfte Hügel, liebliche Bachläufe | |
Ihm waren Umweltthemen sehr wichtig und er war einer, der höllische Angst | |
vor Friedhöfen hatte. Deshalb war irgendwie auch klar, dass er niemals | |
unter einem normalen Grabstein liegen würde. Doch als meine Mutter uns nach | |
seinem Tod eröffnet, dass unser Vater in einem sogenannten Ruheforst | |
begraben werden soll, bin ich erst mal nicht begeistert. Wie soll ich da | |
ohne Auto hinkommen? Doch die Entscheidung ist längst gefällt. | |
Bei einem Spaziergang durch den [2][Ruheforst] werden wir auf einer kleinen | |
Anhöhe fündig. Dort wächst eine stattliche Buche, die zu dieser Jahreszeit | |
so kahl wie der Kopf meines verstorbenen Vaters ist. Ganz in ihrer Nähe | |
stehen zwei kleinere Bäume, die sich fast schon Schutz suchend an sie | |
lehnen. Irgendwie familiär, das Bild, denke ich. Damals bin ich aber noch | |
viel zu aufgewühlt, um die Schönheit dieses Waldes zu erkennen, seine | |
sanften Hügel, die lieblichen Bachläufe zwischen den Bäumen, die | |
Buschwindröschen. | |
Nichts spricht mich an, ich kann weder den Baum noch den Ort gut leiden. | |
Doch irgendwann erreichen mich ein paar Fotos, auf denen meine Familie | |
unter dem Baum picknickt und die Kinder seinen Stamm mit bunter Knete | |
bekleben. Meine dreijährige Nichte Charlotte spreche jetzt immer von Opa | |
Baum, sagt meine Mutter am Telefon. | |
## Eine Energie geht hin und her | |
Ein Samstag Ende März. Meine Mutter und ich halten auf dem Parkplatz gleich | |
neben dem Bärlauchfeld. Es ist zwei Jahre her, dass ich zuletzt hier war | |
und ich merke gleich, dass sich etwas verändert hat. Wie wohltuend ich den | |
Wald mit einem Mal finde. Seine Stille und seinen frühlingshaften Geruch. | |
Den Nieselregen, der sich sanft über mein Gesicht legt und wenig später von | |
der Sonne getrocknet wird. Das Vogelgezwitscher, die langsam erblühende | |
Natur. Dieses Mal bin ich überwältigt von der Pracht der vielen | |
Buschwindröschen. | |
Dann sind wir da. Der Baum ist noch genauso groß und kahl, wie ich ihn in | |
Erinnerung habe. Ich mache einen kleinen Schritt auf ihn zu und berühre | |
seine Rinde. Und dann passiert etwas, das ich nicht für möglich gehalten | |
hätte. | |
Ich spüre etwas in meiner Handfläche. Es ist eine Art Energie, die zwischen | |
dem Baum und mir hin- und hergeht. Ich spüre, dass ein Teil meines Vaters | |
in diesem Baum ist und ich mit ihm kommunizieren kann. Nicht mit Worten, | |
sondern auf einer Ebene, die sich unserer Sprache entzieht. | |
Ich gebe mir einen Ruck und umschließe mit beiden Armen den Stamm. Ich | |
komme nicht um ihn herum, wie ich auch um meinen Vater nie herumgekommen | |
bin. Ich lege meine Wange an seine raue Haut. Ich weine. Ich vermisse dich, | |
schicke ich durch die Rinde. Ich hab dich lieb, Papa Baum. | |
7 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Anna Fastabend | |
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