# taz.de -- taz-Serie Nah am Wasser: Nun muss es nur noch regnen | |
> Der Evangelische Friedhofsverband macht einen Friedrichshainer Friedhof | |
> fit für den Klimawandel. Eine riesige Regenwasserzisterne ist das | |
> Kernstück. | |
Bild: Sven Hänichen und seine Kollegin Han Van Acoleyen im Inneren der Regenwa… | |
Berlin taz | Das hier ist eine persönliche Sache: Es geht um meinen | |
Lieblingsfriedhof. Die Gründe dafür sind ganz pragmatisch, denn der | |
Friedhof im Friedrichshainer Nordkiez liegt an der Landsberger Allee, | |
gegenüber vom Friedrichshainer Krankenhaus und damit nur zehn | |
Spazierminuten von meinem Zuhause entfernt. Seit 20 Jahren schon drehe ich | |
mindestens einmal in der Woche eine ausgiebige Runde auf dem weitläufigen | |
Areal, das eigentlich aus drei Friedhöfen besteht (s. Kasten). Auf dem Weg | |
ins Büro und zurück spaziere ich morgens und abends mit dem Fahrrad an der | |
Hand einmal quer übers Gelände. Immer wachen Auges für die Veränderungen, | |
die Flora und Fauna im Wechsel der Jahreszeiten bieten. | |
Ernüchternd fällt seit einigen Dürrejahren der Blick auf die Vegetation | |
aus, die immer mehr mit der Trockenheit zu kämpfen hat. Zahlreiche Bäume | |
und Sträucher sind bereits verschwunden, mussten gefällt oder gerodet | |
werden, zuletzt zwei alte Birken – deren Stämme aber als Lebensraum für | |
Insekten oder Baumpilze stehen blieben. Eine alte Thuja-Allee ist schon | |
halb abgestorben. | |
Vor ein paar Wochen klaffte plötzlich am Rand des Friedhofs ein riesiges | |
Loch – dort, wo sich ein kleiner Parkplatz und zwei neue Gebäudekomplexe | |
befinden. Viele Meter tief und breit, gab es Rätsel auf. Mittlerweile ist | |
es wieder verschwunden, auch wenn in der Ecke immer noch gewerkelt wird. | |
Dafür informiert nun ein Plakat am Eingangstor über die „Klimaanpassung auf | |
unserem Friedhof“. In dem Loch befindet sich demnach jetzt eine riesige | |
Regenwasserzisterne. „Ende September soll sie fertig sein, ab Mitte Oktober | |
in Betrieb genommen werden“, sagt Sven Hänichen von [1][Oikotec | |
Ingenieur*innen]. Das Unternehmen hat sich auf Regen- und Abwasser | |
spezialisiert und ist hier für das Regenwassermanagement zuständig. | |
Die Regenwasserzisterne auf dem „Friedhof Georgen-Parochial II“, wie er | |
offiziell heißt, ist Teil eines Pilotprojekts des Evangelischen | |
Friedhofverbandes Berlin-Stadtmitte zur Klimaanpassung auf Friedhöfen im | |
Rahmen des Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms. In Zusammenarbeit | |
mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg werden seit März letzten Jahres | |
umfassende Untersuchungen zur Klimaanpassung durchgeführt, die dann in | |
konkrete Maßnahmen münden. | |
## Grüne Oasen der Großstadt | |
Eine dringend nötige Investition: Sind doch Friedhöfe neben ihrer Funktion | |
als Bestattungs- und Gedenkorte wichtige grüne Oasen in der Großstadt – und | |
kühle Schattenorte. „Rund 14 Prozent der Fläche Friedrichshains sind | |
Friedhöfe“, sagt Bettina Neff, die beim Friedhofsverband das Projekt | |
„Ökologische und soziale Nachnutzung“ leitet. Und auch das: „Friedhöfe … | |
krass unterfinanziert und sehr auf Fördermittel angewiesen.“ Für | |
Klimaanpassungen auf den Friedhöfen im Bezirk stehen nun fast eine halbe | |
Million Euro zur Verfügung. | |
„Im Rahmen unseres Projekts wurden alle 14 Friedhöfe im Bezirk | |
begutachtet“, erläutert Projektkoordinatorin Ruth Vicente bei einem | |
Vor-Ort-Termin auf dem Friedhof an der Landsberger Allee, der das Rennen | |
gemacht hat: Hier werden erste Pilotmaßnahmen umgesetzt. Die | |
Regenwasserzisterne ist die größte davon. „Ursprünglich waren 50 Kubikmeter | |
geplant“, sagt Vicente, „aber nun sind es rund 200 Kubikmeter.“ Alles | |
andere wäre zu klein ausgefallen. Neun mal acht Meter Fläche bei drei | |
Metern Höhe misst der unterirdische Behälter. | |
In unmittelbarer Nachbarschaft zum Friedhof (und dessen Parkplatz – also | |
da, wo nun im Untergrund die Zisterne liegt) ist auf mehr als 6.000 | |
Quadratmetern ein riesiges [2][Büroensemble namens „Centrum“] in den Himmel | |
gewachsen, genau da, wo noch [3][vor vier Jahren ein Kino] stand. Im | |
Oktober soll das Objekt schlüsselfertig sein. „Ein Glücksfall“, findet Sv… | |
Hänichen von Oikotec, der gerade mit seiner Kollegin Han Van Acoleyen aus | |
der Zisterne geklettert ist, wo die beiden mit den Filteranlagen zu tun | |
hatten. | |
Warum ein Glücksfall? „Weil das Gebäudeensemble rund 4.500 Quadratmeter | |
Dachfläche hat und das Regenwasser dann nicht ins Abwasser geleitet wird“, | |
erklärt Hänichen – „sondern in die Zisterne.“ Der Architekt des | |
Gebäudekomplexes sei schon bei den ersten Anfragen sehr aufgeschlossen | |
gewesen. Es handele sich um die erste Kooperation dieser Art – „vertraglich | |
für 100 Jahre vereinbart“, so Hänichen. | |
Eine Win-win-Situation also. Längst ist in Berlin vorgeschrieben, dass | |
Niederschläge, die auf neu gebaute Hof- und Dachflächen fallen, vor Ort | |
versickern sollen und auf keinen Fall einfach in die Kanalisation | |
eingeleitet werden dürfen. Die Idee dahinter: das Regenwasser so lange wie | |
möglich in der Stadt zu halten, um die Stadt zu kühlen. „Das funktioniert | |
am besten über Bäume“, erklärt Sven Hänichen. Und die muss man wässern. … | |
kommt die Zisterne ins Spiel. | |
Denn bald soll der Regenwassertank für die Bewässerung des Friedhofs | |
genutzt werden. „So wird dieses Wasser als Ressource genutzt, anstatt | |
nutzlos in der Kanalisation zu verschwinden“, sagt Vicente. „Außerdem | |
ersetzt es einen großen Teil des Frischwassers, das bislang zur Bewässerung | |
notwendig ist.“ | |
Auch die Wasserentnahmestellen auf dem Gelände werden dann aus der Zisterne | |
gespeist: Statt Trinkwasser kommt bald gereinigtes Regenwasser aus der | |
Leitung, mit dem das Grün auf den Gräbern gegossen werden kann. Und selbst | |
der Regen, der auf den Friedhofsparkplatz fällt, wird nach dessen Umbau | |
durch einen sogenannten biogenen Boden gesäubert und gelangt schließlich in | |
die Zisterne | |
„Wettergesteuert“ ist der Wasserspeicher, so der Fachbegriff: Trockenphasen | |
sind genauso eingeplant wie Zeiten, in denen es viel oder stark regnet. | |
Dadurch könne die Kapazität der Anlage optimal ausgenutzt werden, sagen die | |
Fachleute. „Die Zisterne entleert sich zum Beispiel vor angekündigten | |
starken Regenfällen automatisch und schafft Platz für neuen Regenabfluss“, | |
weiß Hänichen. | |
Überschüssiges Regenwasser, so der Plan, wird nebenan in eine rund 600 | |
Quadratmeter große, naturnah gestaltete Versickerungsfläche mit | |
unterschiedlichen Bodensubstraten laufen, die gleichzeitig einen | |
„wechselfeuchten“ Lebensraum bietet – wo sich also vielleicht eines Tages | |
Amphibien ansiedeln. | |
Eine Hausnummer kleiner fallen die übrigen Klimaanpassungsmaßnahmen auf dem | |
Friedhof aus. Doch auch sie sind wichtig, auch sie verweisen in eine | |
heißere und trockenere Zukunft. „Anfangs dachten wir, dass wir viele junge | |
Bäume pflanzen müssten“, berichtet Vicente. „Aber dann wurde uns klar, da… | |
wir auch die großen, alten Bäume brauchen, die auf dem Friedhof stehen. | |
Weil jeder ein Ökosystem für sich ist mit vielen Einwohnern, mit Insekten, | |
Vögeln und anderen Tieren, und mit Pilzen.“ Entlang der Hauptallee wurde | |
deshalb der Wurzelraum von Bestandsbäumen testweise mit „natürlichen und | |
wasserspeichernden Hilfsstoffen angereichert“. | |
Neu gepflanzt haben sie auf dem Friedhof schließlich statt 50 nur 16 Bäume. | |
Neun davon stehen nur ein paar Gehminuten von der Zisterne entfernt: acht | |
Winterlinden in zwei Viererreihen. Die einheimische Art gilt als | |
widerstandsfähig. „Die Bäume sind in Brandenburg langsam gewachsen“, | |
erzählt Sven Hänichen, sie wurden nicht mithilfe von viel Chemie zu schnell | |
hochgezüchtet. Die eine Hälfte wurde versuchsweise mit einem besonderen | |
Substrat versorgt, die andere muss mit der normalen Friedhofserde | |
auskommen. Daneben, in der Mitte einer Wiese, steht ein Taschentuchbaum. | |
## Nur eines fehlt: Regen | |
Alle Jungbäume wurden zusammen mit feinfühligen Sensoren in den Boden | |
gebracht. Die reagieren auf die Bodenfeuchte, erklärt Sven Hänichen. „Wenn | |
der Hitzestress zu groß ist, schlagen sie Alarm. Erst dann werden die Bäume | |
gegossen.“ Warum? „Sie sollen erzogen werden“, sagt Hänichen. Man kennt … | |
vielleicht von seinen Grünpflanzen zu Hause, die man nur einmal die Woche | |
wässert und nicht andauernd gießt. Außerdem: Junge Bäume nur dann zu | |
gießen, wenn es wirklich notwendig ist, spart Wasser. | |
Ende Oktober soll das Projekt seinen Abschluss finden. „Alle unsere | |
Erfahrungen und Daten würden wir dann gern aufarbeiten“, sagt Ruth Vicente. | |
„Es soll ja etwas bleiben.“ Wird es eine zweite Projektphase geben? „Das | |
soll beantragt werden.“ | |
Eine letzte, so einfache wie einleuchtende Maßnahme auf dem Friedhof an der | |
Landsberger Allee sind neue Querrinnen an den Hauptwegen. Das Areal | |
befindet sich in einer Hanglage, und bei stärkerem Regen entstanden schnell | |
Bächlein, die den Wegbelag wegschwemmten. Die Rinnen sollen das nun | |
verhindern. Außerdem leiten sie das Wasser zu angrenzenden Grünflächen und | |
Bäumen. | |
Fehlt eigentlich nur noch eines: richtig langer und ausgiebiger Regen. | |
20 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] http://www.oikotec.de/ | |
[2] https://www.centrum-group.de/de/ | |
[3] /Berliner-Kinosterben/!5538117 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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Bremen | |
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