# taz.de -- Diskussion über Polizeigewalt: Aktivist:innen im Schmerzgriff | |
> Extinction Rebellion zettelt in Hannover eine Debatte über Polizeigewalt | |
> gegen Klimaaktivisten an. Der Redebedarf in der Bewegung ist groß. | |
Bild: Alle milderen Mittel ausgeschöpft? Manche Polizeiaktionen werfen Fragen … | |
HANNOVER taz | Am Anfang sind es ja oft nur Einzelne, von denen das | |
ausgeht, sagt Stefan Müller. Bei der Berliner Polizei beispielsweise gebe | |
es diesen einen Typen – „so ein Rothaariger“ – wenn der kommt, fangen d… | |
Aktivisten schon an zu rufen: „Presse, Presse, bitte hierher!“ [1][Weil er | |
bekannt dafür ist, Schmerzgriffe anzuwenden, möglichst hart hinzulangen] – | |
selbst bei friedlichen Sitzblockaden, wo man die Leute auch einfach | |
wegtragen könnte. | |
Stefan Müller ist Fotojournalist. Seit 2019 begleitet er Klimaproteste und | |
seit einiger Zeit hat er das Gefühl, dass dabei etwas aus dem Ruder läuft. | |
Damit erklärt er, warum er nun auf diesem Podium im Kulturzentrum Pavillon | |
in Hannover sitzt. Und das zustimmende Gemurmel aus dem Publikum macht | |
deutlich, dass er mit diesem Gefühl nicht allein ist. | |
Mehr als hundert Leute sind an diesem Dienstagabend zusammengekommen, | |
obwohl es draußen heiß ist und Fußball läuft. Eingeladen haben das | |
[2][Forschungsinstitut für Philosophie Hannover], [3][Extinction Rebellion] | |
und der Pavillon zum Thema „Polizeigewalt gegen Klimaaktivist*innen“. | |
Und wenn man sich in diesem Publikum umschaut, ahnt man schnell, woher der | |
Redebedarf kommt: Die Klimabewegung rekrutiert sich immer noch aus | |
überwiegend weißen, bürgerlichen Kreisen, das Altersspektrum reicht sehr | |
weit – von jungen Aktivisten bis zu älteren Herrschaften. | |
## Erschüttertes Vertrauen in den Rechtsstaat | |
Das sind keine Menschen, die mit der Polizei als Feindbild aufwachsen, eher | |
im Gegenteil. Die Erfahrung von Gewaltanwendungen, die sie als | |
unverhältnismäßig empfinden, erschüttert ihr ursprüngliches Vertrauen in | |
den Rechtsstaat. | |
Wie bei Edmund Schultz aus Braunschweig: Er schildert, wie er bei einer | |
Sitzblockade der Letzten Generation von einem Polizisten von hinten | |
umgerannt und so brutal angerempelt wurde, dass er sich das Schlüsselbein | |
brach und eine Gehirnerschütterung zuzog. | |
Der Polizist behauptete später, er sei über den Bordstein gestolpert. Auf | |
eine Anzeige verzichtete der Aktivist trotzdem: Man habe ihm davon | |
abgeraten, sagt er. Weil man am Ende nur eine Gegenanzeige kassiert. | |
Das passt zu dem, was die Rechts- und Politikwissenschaftlerin Hannah Espín | |
Grau zuvor schon ausgeführt hat. Sie gehört zur Forschungsgruppe um Tobias | |
Singelnstein an der Universität Frankfurt und gibt einen kurzen Einblick | |
[4][in die Studie „Gewalt im Amt“.] | |
Darin beschäftigt sie sich unter anderem mit der Frage, warum so viele | |
Verfahren gegen Polizisten von der Staatsanwaltschaft eingestellt werden. | |
Aber auch damit, wie innerhalb des Apparates selbst die Gewaltausübung | |
gerechtfertigt, normalisiert oder reglementiert wird. | |
## Der Kriminaloberrat hat einen schweren Stand | |
Für die Polizeiperspektive sind an diesem Abend Kriminaloberrat Markus | |
Hackl von der Polizeidirektion Hannover und die Dokumentartheatergruppe | |
Werkgruppe 2 zuständig. Das ist vor allem für Hackl eine äußerst schwierige | |
und undankbare Rolle, immerhin kann er zu den Einsätzen, von denen hier die | |
Rede ist, kaum etwas Sinnvolles sagen – er war ja nicht dabei. | |
So bleibt ihm nur immer wieder, einen differenzierten Diskurs einzufordern | |
und darauf zu verweisen, dass es in der Polizei – insbesondere in Hannover | |
– ja durchaus Reflexions- und Veränderungsprozesse gibt. | |
Sehr viel freier aufspielen können da die Schauspieler der Werkgruppe 2. | |
[5][Mit ihrem Stück „Hier spricht die Polizei“] sind sie gerade noch bei | |
den Ruhrfestspielen gefeiert worden, ab September wird es im Ballhof | |
gezeigt. Es basiert auf Interviews mit Polizisten aus Niedersachsen und | |
Nordrhein-Westfalen. | |
Und schon der kleine Auszug, den sie hier präsentieren, fächert ein | |
beeindruckendes Spektrum auf. Von trotzigen Rechtfertigungsversuchen nach | |
fragwürdigen Demo-Einsätzen bis zur fühlbaren Erschütterung nach einem | |
Einsatz wegen häuslicher Gewalt, bei dem kleine Kinder aus einer | |
blutverschmierten Wohnung geholt werden mussten, in der ein Mann gerade | |
versucht hatte, seine Frau abzustechen. | |
Das dürfte ein Moment sein, in dem auch vielen Aktivisten das „Defund the | |
police“ nicht mehr ganz so leicht über die Lippen geht. Und eigentlich – | |
darauf weisen alle Diskussionsteilnehmer auf unterschiedliche Art und Weise | |
hin – müsste die Diskussion da überhaupt erst ansetzen. | |
## Viele Fragen bleiben unbeantwortet | |
Bei Fragen wie: Welche Polizei wollen wir eigentlich? Und wie bekommt man | |
das hin? Welche Rolle spielt die gesellschaftliche Stimmung, der politische | |
Diskurs beim mal mehr, mal weniger rabiaten Vorgehen der Polizei? Welche | |
Rolle spielen die Bilder im Kopf, spielt die tatsächliche oder vermutete | |
Radikalisierung auf der anderen Seite dabei, das eigene Handeln zu | |
rechtfertigen? | |
Diese Fragen können an diesem vollgepackten Abend, zu dem auch noch das | |
Orchester Musica assoluta und der Rapper Amewu beigetragen haben, nur | |
angetickt werden. Aber vielleicht, äußert sich Mit-Organisator Jürgen | |
Manemann am Ende hoffnungsvoll, ist dies ja auch bloß der Auftakt. | |
28 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Beschwerde-beim-Polizeibeauftragten/!5962418 | |
[2] https://fiph.de/ | |
[3] https://extinctionrebellion.de/og/hannover/ | |
[4] https://kviapol.uni-frankfurt.de/index.php/publikationen/buch-gewalt-im-amt | |
[5] /Archiv-Suche/!5981613&s=Ruhrfestspiele&SuchRahmen=Print/ | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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