# taz.de -- Bezahlkarte für Geflüchtete: Alles eine Frage der Obergrenze | |
> Bremen schert aus dem Kurs der Länder bei der Bezahlkarte aus und will | |
> bis zu 120 Euro Barauszahlung zulassen. Niedersachsen streitet noch | |
> darüber. | |
Bild: Bargeld ist auch Teilhabe, denn in vielen Sozialkaufhäusern können Gefl… | |
HAMBURG/HANNOVER taz | Von einem „gefährlichem Sonderweg“ ist da am Montag | |
auf einmal die Rede, von sich verstärkenden „Pull-Faktoren“ und davon, dass | |
Bremen nun das „Schlaraffenland der Republik für illegale Migration“ werde. | |
Auslöser für diese Zwischenrufe aus den Reihen der Bremer CDU und FDP ist | |
eine Ankündigung aus der vergangenen Woche. | |
Da hatte sich die Konferenz der Ministerpräsidentinnen und | |
Ministerpräsidenten [1][mit der bundesweiten Einführung einer Bezahlkarte | |
für Asylsuchende befasst] und sich darauf geeinigt, dass Geflüchtete mit | |
der [2][Bezahlkarte] maximal 50 Euro Bargeld pro Person und Monat abheben | |
dürfen. [3][Bremen, Thüringen und Rheinland-Pfalz ist das zu wenig]. Sie | |
sehen regionale Voraussetzungen nicht ausreichend berücksichtigt und | |
schlagen einen „Bargeldkorridor von 50 bis 120 Euro“ vor. Der rot-grün-rote | |
Bremer Senat werde, so teilte er am Freitag mit, den Bargeldbetrag auf | |
maximal 120 Euro festlegen. | |
„Wenn in den niedersächsischen Umlandgemeinden in Zukunft nur 50 Euro | |
Bargeldauszahlung möglich sind, in Bremen aber mehr als das Doppelte, ist | |
doch klar, wo sich Asylbewerber dann registrieren lassen“, teilte Heiko | |
Strothmann, Landesvorsitzender der Bremer CDU, am Montag mit. Und Ol | |
Humpich, Sprecher für Soziales der Bremer FDP-Fraktion, haute in eine | |
ähnliche Kerbe: „Statt den Flüchtlingszustrom zu begrenzen, verstärkt die | |
Senats-Entscheidung die Pull-Faktoren und macht unser Bundesland zum | |
Schlaraffenland der Republik für illegale Migration.“ | |
Wie viel Milch und Honig in diesem Schlaraffenland fließen, also schlicht | |
die Frage, wie hoch die Leistungen für die Asylsuchenden in Deutschland | |
sind, hängt von der jeweiligen Lebenssituation ab. Ein alleinstehender | |
Erwachsener beispielsweise bekommt gemäß [4][Asylbewerberleistungsgesetz] | |
maximal 256 Euro pro Monat für den notwendigen Bedarf, etwa für Unterkunft, | |
Essen und Kleidung. Zusätzlich gibt es höchstens 204 Euro für den | |
persönlichen Bedarf. Der aktuelle Streit dreht sich darum, wie viel nach | |
Einführung der Bezahlkarte künftig in bar zur Verfügung steht. | |
## Bremer FDP und CDU kritisieren Bezahlkarte | |
Die Bezahlkarte, so vor allem die Argumentation auch aus dem konservativen | |
politischen Lager in Bremen, soll Anreize für „illegale Migration“ | |
unterbinden, indem sie beispielsweise verhindert, dass Geflüchtete | |
Sozialleistungen ins Ausland überweisen. Die wenigen [5][Statistiken, die | |
es dazu gibt], zeigen allerdings, dass es ohnehin nur um geringe Beträge | |
geht. | |
Auch die von FDP-Mann Humpich angesprochene Rolle der „Pull-Faktoren“, | |
wonach Menschen nicht nur vor Krieg, Armut oder Verfolgung fliehen, sondern | |
sich von Orten angezogen fühlen, von denen sie sich bessere | |
Lebensbedingungen oder die Aussicht auf mehr Geld versprechen, [6][ist | |
wissenschaftlich] umstritten. | |
## In Niedersachsens Regierung rumort es | |
Niedersachsen trägt anders als Bremen die beschlossene Bargeldbeschränkung | |
von 50 Euro pro Monat und Person mit. Wohl auch, weil Ministerpräsident | |
Stephan Weil (SPD) den Beschluss mit durchgefochten hat. Es rumort deswegen | |
nun in der rot-grünen Koalition. In den Augen etlicher Grüner widerspricht | |
das dem Geist des [7][Koalitionsvertrages], in dem man sich ausdrücklich | |
auf einen Abbau von Diskriminierungen und eine möglichst rasche | |
gesellschaftliche Teilhabe von Geflüchteten geeinigt hatte. | |
Zu mehr als einer Protestnote scheint es aber nicht zu reichen: Man halte | |
das beschlossene Limit für falsch. „Bei der Umsetzung der Karte muss jetzt | |
umso mehr auf Diskriminierungsfreiheit und Alltagstauglichkeit geachtet | |
werden“, heißt es in einer Pressemitteilung der Grünen | |
Fraktionsvorsitzenden Anne Kura fatalistisch. | |
Zuvor hatte der Ministerpräsident ein Machtwort gesprochen: „Ich kannte die | |
Kritik der Grünen und sie kannten meine Position. Im Ergebnis wird der | |
bundeseinheitliche Betrag von 50 Euro auch in Niedersachsen zur Anwendung | |
kommen. Auch dies ist intern geklärt“, wird Weil in der Pressemitteilung | |
der Staatskanzlei zitiert. Deutlicher kann man nicht Basta sagen. | |
## Flüchtlingsrat gegen das System | |
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat diese Position scharf kritisiert. Wie | |
die Grünen hätte er das [8][Hannoversche Modell] präferiert, wo die | |
Bezahlkarte einfach nur als Zahlungsmittel ohne irgendwelche Beschränkungen | |
und Kontrollen eingesetzt wird. Womit sich die Stadt immer noch sehr viel | |
Verwaltungsaufwand und die Geflüchteten das monatliche Schlange stehen | |
ersparen. | |
Die Beschränkungen bei der Bargeldauszahlung sieht er in einer langen | |
Tradition der Demütigung und Ausgrenzung, die ab 1994 mit Sachleistungen | |
und [9][Gutscheinsystemen] praktiziert wurde. Ob damit tatsächlich je eine | |
Abschreckungswirkung erzielt wurde, ist umstritten. 2012 erklärte ein | |
Gerichtsurteil es für verfassungswidrig, Asylbewerbern ein anderes | |
Existenzminimum zu Grunde zu legen als anderen Sozialleistungsempfängern | |
und beendete die Beschränkung auf Gutscheine und Sachleistungen. | |
Zumindest in einem Punkt scheint die Kritik bei den Ministerpräsidenten | |
angekommen zu sein: Weil kündigte an, dass die Bezahlkarte – anders als | |
ursprünglich geplant – vereinzelt Lastschriftverfahren ermöglichen soll, | |
etwa für Handyverträge, den ÖPNV oder Vereinsbeiträge. Ohne | |
Überweisungsmöglichkeit wären Geflüchtete hier sonst ausgeschlossen oder | |
müssten auf die teureren Varianten wie Einzeltickets, Prepaidkarten und | |
ähnliches ausweichen. Mit der Umsetzung wird Niedersachsen allerdings wie | |
die meisten anderen Bundesländer auch noch den Ausgang des bundesweiten | |
Vergabeverfahrens abwarten müssen. Bis dahin wird noch weiter über die | |
Ausgestaltung gerungen werden. | |
## Widerstand gegen Bezahlkarte geht weiter | |
Der Widerstand dagegen geht weiter. In Bremen wurde bereits vor drei | |
Monaten die [10][Petition „Nein zur Bezahlkarte in Bremen“] gestartet und | |
in Niedersachsen hat ein Bündnis aus mehr als 40 Initiativen und | |
Organisationen vor wenigen Tagen ebenfalls eine Petition gegen die | |
Bezahlkarte begonnen, die in ihren Augen lediglich populistische | |
Symbolpolitik ist. | |
Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) hat bereits | |
angekündigt, die Bezahlkarte sobald wie möglich landesweit einheitlich | |
einführen zu wollen. Künftig sollen die Geflüchteten diese schon in der | |
Landesaufnahmebehörde erhalten. | |
24 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Bund-Laender-Beratungen-zu-Migration/!6018700 | |
[2] /Debatte-um-Bezahlkarte-fuer-Gefluechtete/!5994527 | |
[3] https://hessen.de/sites/hessen.hessen.de/files/2024-06/mpk_20.06._top_1.5.1… | |
[4] https://www.gesetze-im-internet.de/asylblg/BJNR107410993.html | |
[5] https://www.bundesbank.de/de/statistiken/aussenwirtschaft/zahlungsbilanz/za… | |
[6] https://www.bundestag.de/resource/blob/799860/b555457732e3ec012177cdf435711… | |
[7] /Koalitionsvertrag-in-Niedersachsen/!5888928 | |
[8] /Bezahlkarten-fuer-Gefluechtete/!5950500 | |
[9] /Vielfalt-in-der-Fluechtlingspolitik/!5071865 | |
[10] https://weact.campact.de/petitions/nein-zur-bezahlkarte-in-bremen-2 | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
Ilka Kreutzträger | |
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