# taz.de -- Streit um Bezahlkarte für Geflüchtete: Ohrfeige für die Vorreiter | |
> Niedersachsen will zügig die Bezahlkarte einführen und watscht Kommunen | |
> ab, die dabei schon vorgeprescht sind. Das trifft auch Hannovers grünen | |
> OB. | |
Bild: Dürfte über das Vorgehen der rot-grünen Landesregierung nicht erfreut … | |
Nun soll sie also endlich kommen, die Bezahlkarte. Ab Dezember will | |
Niedersachsen sie in den Landesaufnahmestellen ausgeben, ab Januar sollen | |
dann die Kommunen folgen. [1][Mit der Bezahlkarte sollen Geflüchtete ihre | |
Leistungen] nach dem Asylbewerberleistungsgesetz künftig auf eine | |
Debitkarte überwiesen bekommen – mit der können sie dann ganz normal | |
bezahlen oder auch bis zu 50 Euro Bargeld an einem Geldautomaten abheben. | |
Darüber hatte es nicht nur auf Bundesebene und in der | |
Ministerpräsidentenkonferenz lange und zeitweise hässliche Debatten | |
gegeben, sondern auch innerhalb der rot-grünen Koalition in Niedersachsen. | |
Die Grünen halten diese Bargeldgrenze für überflüssig. Viele | |
[2][Flüchtlingsorganisationen sehen darin vor allem eine Schikane]. | |
Einzelne Gerichtsurteile hatten sie zudem in Frage gestellt – weil eben der | |
individuelle Bedarf zu berücksichtigen wäre. Das zeigte ziemlich | |
einleuchtend ein Fall, der vor dem Landessozialgericht in Hamburg | |
verhandelt wurde: Eine schwangere Geflüchtete mit Kleinkind hatte dort | |
erfolgreich eine höhere Bargeldverfügung eingeklagt, weil sie sonst nicht | |
auf den üblichen Secondhand-Basaren Umstands- und Kinderbekleidung kaufen | |
kann. | |
Auch Niedersachsen hat dies in seiner Erlassregelung nun berücksichtigt – | |
was sich die Grünen gern als ihren Erfolg auf die Fahnen schreiben | |
möchten. Auch gegen weitere Einschränkungen hatten sie sich gestemmt: Die | |
Karte soll bundesweit nutzbar sein und nicht nur in bestimmten Regionen. | |
Auch soll es keine Einschränkungen auf bestimmte Waren und Dienstleistungen | |
geben. Online-Einkäufe bleiben möglich. | |
## Keine Überweisung ins Ausland | |
Einzige Ausnahme: Sogenannte Money-Transfer-Services, die zur Überweisung | |
ins Ausland dienen. Denn das gehörte ja zu den großen Befürchtungen, wenn | |
man den Geflüchteten die volle Verfügungsgewalt über ihre monatlichen | |
Leistungen überlässt: Dass damit Schleuser bezahlt oder die Familie im | |
Heimatland unterstützt wird. | |
Die möglichen Ausnahmen bei der Bargeldobergrenze bedeuten allerdings auch, | |
dass auf die Kommunen nun doch wieder ein höherer Verwaltungsaufwand | |
zukommt: Denn solche Einzelfallentscheidungen müssen ja bei ihnen beantragt | |
und geprüft werden, Widersprüche bearbeitet werden. Klare Kriterien und | |
Richtlinien gibt es dazu noch nicht, was bedeutet, dass man von der | |
eigentlich angestrebten Einheitlichkeit wieder ein Stück entfernt ist. | |
Noch komplizierter wird es möglicherweise für die Städte und Landkreise, | |
die der langen Debatte überdrüssig waren und eigene Lösungen angeschafft | |
haben. „Soweit eine Kommune entgegen den bisherigen Empfehlungen des | |
Ministeriums bereits einen Einzelvertrag mit einem Kartenanbieter | |
abgeschlossen hat, gehen die Kosten für eine vorzeitige Vertragsauflösung | |
zu Lasten dieser Kommune“, heißt es in der Pressemitteilung des | |
Innenministeriums. | |
Das klingt erst einmal nach einer ziemlichen Ohrfeige. Der Gedanke liegt | |
nahe, dass sich das auch gegen den grünen Oberbürgermeister [3][Belit Onay | |
in Hannover richtet, der mit seiner schon im Dezember 2023 eingeführten | |
Socialcard] ein ganz anderes Modell verfolgt. Onay hatte stets betont, er | |
betrachte die Karte vor allem als modernes Bezahlmittel, das das Leben | |
aller Beteiligter einfacher machen soll. | |
Sechs bis sieben Mitarbeitende waren zuvor mit der Ausgabe der | |
Verpflichtungsscheine beschäftigt, für die die Leistungsbezieher erst bei | |
der Behörde und dann noch einmal bei der auszahlenden Bank anstehen mussten | |
– und das jeden Monat. | |
Anders als vom Land vorgesehen, hat Hannover die Bargeldabhebungen nicht | |
beschränkt, weil man eine möglichst diskriminierungsfreie Teilhabe | |
erreichen wollte. Das hätte die Stadt gern beibehalten. Jetzt muss die | |
Stadt möglicherweise ihre rund 400 schon ausgegebenen Karten wieder | |
einkassieren und die vom Land vorgesehenen ausgeben – zumindest bei | |
denjenigen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen. | |
Allerdings hat die Stadt ihr Kartensystem auch für Sozialleistungsempfänger | |
benutzt, die über kein eigenes Konto verfügen. Wie mit denen nun weiter | |
verfahren werden soll, ist unklar. Möglicherweise muss die Stadt zumindest | |
vorübergehend zwei Kartensysteme parallel führen. | |
Immerhin: Kosten für die vorzeitige Vertragsauflösung werden wohl nicht | |
fällig, das hatte die Stadt im Vertragswerk sichergestellt, erklärt ein | |
Sprecher. Der von der Stadt ausgewählte Anbieter Publk gehört zu dem | |
Konsortium, das nun für die große Mehrheit der Bundesländer den Zuschlag | |
bekommen hat. Lediglich Bayern und Mecklenburg-Vorpommern haben sich für | |
eine eigene Ausschreibung entschieden. | |
Auch die Stadt Wolfsburg und die Landkreise Göttingen und Osnabrück hatten | |
schon eigene Bezahlkarten ausgegeben. Wie sich die Vorgaben des Landes hier | |
auswirken, konnten die Kommunen auf Nachfrage der taz nicht so schnell | |
beantworten. Fest steht jedenfalls: Wenn das Land die Einführung eines | |
bestimmten Systems per Erlass fordert, greift das Konnexitätsprinzip: Wer | |
eine Leistung bestellt, muss sie auch bezahlen. | |
Die Kommunen, die vorgeprescht sind, riskieren nun auf bestimmten Kosten | |
sitzen zu bleiben. Aber das wäre in diesem Politikbereich ja auch nicht das | |
erste Mal, [4][wie die kommunalen Spitzenverbände] mit Blick auf die | |
Flüchtlingsunterbringung immer wieder beklagen. | |
5 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Massnahme-gegen-Migration/!6002676 | |
[2] /Hamburgs-Bezahlkarte-fuer-Gefluechtete/!5997873 | |
[3] /Bezahlkarten-fuer-Gefluechtete/!5975868 | |
[4] https://nst.de/ | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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