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# taz.de -- Ehepaar Klarsfeld über Frankreich: „Ich kann nicht für die ande…
> Das „Nazi-Jäger“-Ehepaar Klarsfeld stellt sich im französischen Wahlkam…
> hinter Marine Le Pen. Die linken Kräfte halten sie für antisemitisch.
Bild: Ikone des Antifaschismus: Beate Klarsfeld mit Mann Serge (M) und Sohn bei…
taz: Beate und Serge Klarsfeld, Sie haben Ihr Leben lang Nazis verfolgt und
vor Gericht gebracht. Seit einigen Monaten sprechen Sie sich, Herr
Klarsfeld, öffentlich für Marine Le Pen und ihre rechtsextreme Partei
Rassemblement National (RN) aus. Warum?
Serge Klarsfeld (SK): Präsident Macron hat die Franzosen in eine schwierige
Situation gebracht. Im zweiten Wahlgang wird es nur noch zwei Blöcke geben.
Eine Linke, die anti-israelisch eingestellt ist, mit antisemitischem
Beigeschmack. Und auf der anderen Seite eine Partei, die früher
antisemitisch war und es jetzt nicht mehr ist. Manche bezweifeln, dass der
Wandel ehrlich ist – ich nicht.
Der RN-Vorsitzende Jordan Bardella hat 2023 gesagt, dass Parteigründer
Jean-Marie Le Pen, der die NS-Gaskammern als „Detail der Geschichte“
bezeichnete, kein Antisemit sei.
SK: Naja, Bardella ist 28 Jahre alt. Seine Aussage war eine unüberlegte
Reaktion, würde ich sagen. Chef der Partei ist immer noch Marine Le Pen,
nicht Bardella.
Bardella könnte in Kürze französischer Premierminister werden.
Beate Klarsfeld (BK): Das war eine Dummheit. Marine Le Pen hätte ihn dafür
verurteilen sollen. Ich weiß es nicht. Fragen Sie Marine Le Pen, warum sie
ihn nicht verurteilt hat.
Ich frage aber Sie, weil Ihr ganzes Lebenswerk daraus besteht, Nazis und
Antisemiten zu verfolgen.
BK: Wir hoffen natürlich, dass der RN keine Mehrheit im Parlament bekommt,
sondern Macron.
SK: [1][Bardella ist nach dieser Aussage zurückgerudert]. Das sind keine
Worte, die sein wahrhaftiges Denken widerspiegeln. Außerdem ist Bardella
nicht derjenige, der diese Partei in den Wandel geführt hat.
Reden wir also über Marine Le Pen. Sie stand etlichen Rechtsextremen lange
sehr nahe und war mit dem verurteilten [2][Holocaustleugner Alain Soral
befreundet].
BK: Sie selbst hat sich von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen distanziert. Und
von vielen anderen Dingen auch. Sie hat die Vel d’Hiv [die Massenverhaftung
und Deportation Tausender Juden 1942 durch die Nazis und französische
Kollaborateure, Anm. d. Red.] anerkannt und die Gayssot-Gesetze akzeptiert
[[3][Antidiskriminierungsgesetze] von 1990, Anm. d. Red.].
2017 sagte Le Pen, Frankreich sei für die [4][Vel d’hiv] nicht
verantwortlich und leugnete somit die französische Kollaboration. 2022
sagte sie, dass ihre Partei seit der Gründung 1972 „die Flamme der Nation
am Brennen gehalten hat“. Das klingt nicht so, als hätte sie mit der
Vergangenheit ihrer von ehemaligen Waffen-SS-Männern gegründeten Partei
gebrochen.
SK: Ich zweifle nicht an der Ehrlichkeit von Marine Le Pen. Mir ist nur
bekannt, dass sie die Vel d’Hiv scharf verurteilt hat. Sie hat die Ansagen
gemacht, die es brauchte. Ich habe kein Problem mehr mit ihr. Sie
unterstützt Israel und den Kampf gegen Antisemitismus. Es gab kein einziges
rechtsextremes Attentat gegen Juden, aber aus der radikal islamistischen
Ecke gab es das sehr wohl. Die radikale Linke ist anti-israelisch geworden
und in Teilen antisemitisch. Wenn sich die zwei Parteien gegenüber stehen,
werde ich nicht zögern.
Moment: 2023 wurden in Frankreich in mehreren Fällen [5][Rechtsextreme für
geplante Anschläge gegen Juden] zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.
Zudem muss sich doch aus der Zurückweisung der radikalen Linken keine
Unterstützung der Rechtsextremen ergeben.
SK: Unser Sohn Arno hat ein paar Zehntel von seinem Auge verloren, als er
mit 35 Jahren auf das Podium von Jean-Marie Le Pen sprang. Wenn wir das
jetzt so machen, dann eben nur, weil wir wirklich an positive Änderungen
glauben. Die positive Änderung im Kampf gegen Antisemitismus besteht
darin, dass die rechtsextremen Parteien philosemitisch geworden sind. Das
ist eine große Errungenschaft, die einzige.
Es ist schwer fassbar, das von Ihnen zu hören. Hinter Ihnen, Frau
Klarsfeld, hängt eingerahmt der Zeitungsartikel, in dem von Ihrer Ohrfeige
1968 gegen den deutschen Bundeskanzler Georg Kiesinger für seine
NSDAP-Vergangenheit berichtet wird. Auch der hat nach außenhin ein
rechtschaffenes Bild abgegeben. Solche Leute haben Sie entlarvt.
SK: Wir sind keine Politiker oder Politikerinnen, wir waren noch nie in
einer Partei. Unsere Priorität ist das Schicksal der Juden, mehr nicht.
BK: Viele Jahre lang haben wir Anzeigen in den Zeitungen geschaltet:
Figaro, Libération – gegen den RN, für Macron. Wir haben Macron von Anfang
an unterstützt. Und wir werden ihn wieder wählen. Aber es ist doch gut,
wenn eine Partei sich ändert.
Die AfD ist zum Beispiel nicht bereit dazu. Alexander Gauland
[Ex-AfD-Fraktionschef, Anm. d. Red.] und Björn Höcke [rechtsextremer Chef
der Thüringer AfD-Fraktion, Anm. d. Red.] sind maximal antisemitisch. Sie
haben gesagt, das Holocaust-Mahnmal sei eine Schande. Und sie hassen
Israel.
Reicht es denn, dass eine Partei „philosemitisch“ ist, wie Sie sagen, wenn
sie gleichzeitig den Hass auf andere Minderheiten schürt und verbreitet?
BK: Der RN bekämpft den Islamismus, und das ist für Juden wichtig.
Was der RN bekämpft, ist die Gesamtheit aller Einwanderer.
SK: Die Muslime haben keine Partei ergriffen. Wir haben sie nicht auf der
Straße gesehen, wir haben sie in Paris nicht gegen die Hamas demonstrieren
sehen.
Ob Muslime unter den 100.000 Demonstrierenden waren, können Sie doch gar
nicht so genau wissen. Selbst wenn nicht: Lässt sich damit eine
Diskriminierung sämtlicher Einwanderer rechtfertigen?
SK: Bestimmt ist ein Großteil der muslimischen Bevölkerung sehr glücklich,
in Frankreich zu sein, und teilt wahrscheinlich nicht die Perspektive der
Hamas. Bestimmt. Sie haben einfach eine allgemeine Sympathie für das Leiden
der Palästinenser. Aber sie haben Angst und warten ab. Und es gibt eine
große islamistische Eroberungsbewegung, für die sich manche begeistern.
Ich kann jedenfalls nicht für die anderen kämpfen. Ich kämpfe für meine
eigene Seite. Dafür haben wir unser Leben und unsere Freiheit riskiert, und
übrigens auch die unserer Kinder.
Der Theologe Martin Niemöller hat einmal gesagt: „Als die Nazis die
Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, denn ich war kein Kommunist …“
SK: Ja, ja, das kennen wir.
Und am Ende war also niemand mehr da, weil jeder nur an seine Seite dachte.
SK: Aber die Ideologie des RN ist nicht faschistisch! Es ist keine
faschistische Partei, sondern eine populistische.
Es ist eine Partei, die Teile der Bevölkerung diskriminiert und aus dem
Land heraushaben will.
SK: In ganz West- und Zentraleuropa gibt es populistische Parteien, die
pro-jüdisch und pro-israelisch sind. Außer die AfD, das bleibt eine
deutsche Partei mit Nazi-Ideen. Aber die anderen haben sich davon frei
gemacht, es sind keine faschistischen Parteien.
Auf EU-Ebene kooperieren diese Parteien – auch der RN – als Fraktion
„Identität und Demokratie“ mit der AfD.
SK: [6][Marine Le Pen hat mit der AfD gebrochen]. Wir werden sehen, wie
sich die Gruppierungen im EU-Parlament aufstellen. Die extreme Linke und
der Pöbel werden sagen: „Faschisten, Faschisten.“ Man darf nicht
übertreiben, das sind keine Faschisten, sondern Populisten. Sobald eine
Partei nicht mehr antisemitisch ist, ist sie für mich auch nicht mehr
rechtsextrem. Das ist alles. Ja, vielleicht ist das ein Blick mit
Scheuklappen.
Ja, schon. Wenn andere Minderheiten diskriminiert oder entrechtet werden,
ist das doch nicht vertretbar?
SK: Es kann vertretbar sein, wenn es gegen Elemente geht, die die
französischen Gesetze nicht akzeptieren und eigene Gesetze umsetzen wollen,
etwa die Scharia.
[7][In einem Interview vor zwei Jahren] haben Sie noch gesagt, Herr
Klarsfeld: Der Rechtsextreme Eric Zemmour spreche über Muslime so, wie man
früher über Juden sprach. Was ist passiert?
SK: Marine Le Pen ist nicht Zemmour und es ist offensichtlich, dass ein
laizistisches Frankreich nicht akzeptieren kann, dass Muslime die Scharia
durchsetzen wollen. Aber, um das klarzustellen: Wenn es ungerechte Gesetze
gibt, die gegen die Menschenrechte stehen, dann werden wir dagegen
protestieren.
Das Linksbündnis Nouveau Front Populaire hat sich klar gegen Antisemitismus
positioniert und die Anschläge der Hamas als terroristisch verurteilt. Der
jüdische Sozialist Raphaël Glucksmann hat sich gegen den Parteichef der
linken La France Insoumise, Jean-Luc Mélenchon, durchgesetzt.
SK: Das ist eine wahltaktische Einigung. Unvereinbare linke Parteien haben
plötzlich, in 24 Stunden, eine Einigung gefunden.
Wäre es nicht denkbar, Antisemitismus und Rassismus durch Bildung
abzubauen, statt mit noch mehr Diskriminierung darauf zu antworten?
SK: Das braucht Generationen. Kinder haben Eltern. Wenn Eltern
antisemitisch oder antijüdisch sind, wie soll ein Kind da anders werden?
Können Sie sich jetzt wirklich nicht dazu durchringen, zu sagen, dass
Bildung gegen Antisemitismus besser hilft, als beispielsweise Abschiebung?
BK: Doch, natürlich.
SK: Wir haben Scheuklappen auf und wir können nicht alle unsere
Widersprüche regeln.
Es ist ja mehr als ein innerer Widerspruch, wenn Sie sich dazu so
öffentlich äußern.
SK: Wir haben uns nicht verändert, es ist ja der Rassemblement National,
der sich geändert hat. Er hat Millionen Wähler gewonnen, die überhaupt
nicht antisemitisch sind.
Gruppen von vermummten Rechtsextremen, die von dem RN-Erfolg bei den
EU-Wahlen berauscht waren, haben in Paris, Nancy und anderen Städten
Gewalttaten verübt.
SK: Millionen Franzosen sind wählen gegangen. Ganz generell sind die
Franzosen nicht antisemitisch. Sie sind da offenbar pessimistischer als
ich.
Ja. Auch Frankreich hat eine Nazi- beziehungsweise
Kollaborationsvergangenheit, die nicht umfassend aufgearbeitet wurde. Bis
heute gibt es weit verbreitete antisemitische Denkmuster.
SK: Die französische Bevölkerung hat im Zweiten Weltkrieg drei Viertel
aller Juden gerettet. Man muss optimistisch sein. Mir jedenfalls ist es
lieber, dass die Franzosen eine Partei wählen, die nicht antisemitisch ist
und die Juden unterstützt. Ob diese Partei das ernst meint? Wir werden
sehen!
23 Jun 2024
## LINKS
[1] https://www.bfmtv.com/politique/front-national/jordan-bardella-reconnait-qu…
[2] https://www.tf1info.fr/politique/video-quand-marine-le-pen-poussait-la-chan…
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Gayssot_Act
[4] https://aboutholocaust.org/de/facts/was-geschah-in-vel-d-hiv
[5] https://www.humanite.fr/politique/antisemitisme/en-2023-les-saillies-antise…
[6] /AfD-und-franzoesische-Rechte/!5995236
[7] https://x.com/MediapartVideos/status/1485681648893141000
## AUTOREN
Lea Fauth
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