# taz.de -- Vor den Parlamentswahlen: Was in Frankreich auf dem Spiel steht | |
> Nach der Auflösung der Nationalversammlung steht Frankreich vor einer | |
> ungewissen Zukunft. Zwei sehr heterogene Blöcke ziehen in den Kampf. | |
Bild: Starker Mann der Rechten: Jordan Bardella von Rassemblement National am 1… | |
Dass in der Politik alles möglich ist, dass das, was gestern noch als | |
völlig aussichtslos galt, morgen plötzlich Wirklichkeit werden kann, | |
scheint sich diesmal wieder einmal zu bestätigen. Ausgerechnet hier in | |
Frankreich, dem Land der Französischen Revolution und der Erklärung der | |
Menschenrechte, dem Land von Descartes, Rousseau, Victor Hugo, Émile Zola | |
und Jean-Paul Sartre, einem der Gründungsländer und Hauptpfeiler der | |
Europäischen Union. | |
Einem Land, von dem man wirklich alles andere erwartet hätte als das, was | |
nun geschieht. Mit der Entscheidung von Staatspräsident Emmanuel Macron, | |
vorzeitig das Parlament aufzulösen, stürzt das Land in eine schwere | |
politische Krise, die mit dem Wahlsieg der französischen Rechtspopulisten | |
des Rassemblement National (RN) von [1][Marine Le Pen] und [2][Jordan | |
Bardella] enden könnte. | |
Die umstrittene Auflösung der Nationalversammlung hat urplötzlich eine neue | |
Dynamik geschaffen, allerdings mit außerordentlich hohen Risiken für die | |
Demokratie und den Rechtsstaat, sollte das Kalkül der Rechtspopulisten | |
aufgehen und sie stärkste Partei werden. | |
Um ihre Pläne zu durchkreuzen, haben sich nun schon am 13. Juni praktisch | |
alle französischen Linksparteien in einem [3][24-Stunden-Marathon] zur | |
Volksfront, der Nouveau Front populaire, zusammengeschlossen, einem | |
politischen Kampfbündnis, das vom rechten Flügel der Sozialisten über die | |
Kommunisten und die Grünen bis zur radikal-revolutionären Linken der | |
Nouveau Parti anticapitaliste (NPA) reicht, mit einem Programm von | |
radikalen Reformen, um dem RN den Wind aus den Segeln zu nehmen. | |
## Miese Aussichten für die Ukraine | |
Dazu gehört eine Kehrtwende für Macrons umstrittene Rentenreform, die | |
Erhöhung des staatlich garantierten Mindestlohns auf 1.600 Euro monatlich, | |
die Rücknahme der Gas- und Strompreiserhöhungen sowie die Wiedereinführung | |
der Reichensteuer, die Macron abgeschafft hatte. Am Wahltag des 30. Juni | |
wird sich herausstellen, ob die Linke mit diesem Programm ihre Stammwähler | |
zurückgewinnen kann. | |
Außer Frage steht hier jedoch, dass unter den jetzigen Bedingungen der | |
rechtsextreme Rassemblement National zum ersten Mal seit dem Ende des | |
Zweiten Weltkriegs nicht nur die größte Parlamentsfraktion in der | |
französischen Nationalversammlung stellen wird, sondern möglicherweise | |
sogar eine absolute Mehrheit von mindestens 289 der insgesamt 577 Sitze. | |
Aktuelle Prognosen deuten derzeit auf 230 Sitze. | |
Wahrscheinlicher ist vorläufig, dass der RN nur die relative Mehrheit der | |
Parlamentssitze erringt und einen Partner aus dem bürgerlichen Lager | |
braucht, um regieren zu können. Ein Kandidat dafür sitzt schon in den | |
Startlöchern. Der Vorsitzende der rechtsbürgerlich-neogaullistischen Partei | |
Les Républicains, [4][Eric Ciotti], biederte sich bereits an, indem er ohne | |
jede Absprache mit den Parteigenossen ein Wahlbündnis mit den | |
Rechtsradikalen einging, was zu einem Skandal und schließlich dazu führte, | |
dass die Konservativen ihn absetzten. | |
Natürlich würde eine rechtsextreme Regierung in Paris die [5][Hilfe für die | |
Ukraine] sofort stoppen, und ähnlich wie Donald Trump in den USA, sollte er | |
die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden, die Ukraine im Stich | |
lassen und vermutlich sogar Präsident Wolodymyr Selenskyj zur Kapitulation | |
drängen. Unmittelbarer Auslöser für diesen Umschwung in Frankreich war das | |
schlechte Abschneiden von Macrons Zentrumspartei bei der Europawahl, bei | |
der die Liste des RN 32 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten hatte, | |
Macrons Zentrumspartei jedoch nur 13 Prozent. | |
## Hoffnung auf politischen Realismus | |
Diese Niederlage des Zentrums ermutigte die Rechtspopulisten dazu, eine | |
[6][sofortige Parlamentsauflösung und Neuwahlen] zu fordern, eine | |
Forderung, der der Präsident unglücklicherweise umgehend nachgekommen ist. | |
Vermutlich trieb ihn die Illusion, seine Partei könne gestärkt aus diesen | |
Parlamentsneuwahlen hervorgehen. In Wirklichkeit erwies sich seine | |
Entscheidung als willkommenes Geschenk an die Rechtsextremisten, die damit | |
sofort in die Offensive gingen. | |
Die Linksparteien reagierten bekanntermaßen mit dem Zusammenschluss zur | |
Nouveau Front populaire, der Neuen Volksfront, die die Linkspopulisten der | |
France insoumise (FI) umfasst, die Sozialistische Partei (PS) von Olivier | |
Faure, die Grünen, die Kommunistische Partei (PCF) und die trotzkistische | |
NPA. Meinungsumfragen zufolge könnte diese große Wahlplattform von fünf | |
Linksparteien im ersten Wahlgang 30 Prozent der Wählerstimmen gewinnen, | |
wohingegen der RN auf 40 Prozent käme. | |
Gelingt es der rechtsextremen Partei, mithilfe von Le Pen an die Regierung | |
zu kommen, wäre das nichts anderes als ein erdrutschartiger Sieg der | |
Rechtsradikalen, der die politische Landschaft in Frankreich total | |
verändern würde. Es wäre ein noch nie dagewesenen Rechtsruck. Macron wäre | |
dazu gezwungen, Jordan Bardella zum neuen Ministerpräsidenten zu ernennen. | |
Die neue, gefährliche, politische Konstellation ist die einer extremen | |
Polarisierung: hier der vereinigte und durch das bürgerliche Lager zum Teil | |
verstärkte Rechtsblock, dort die in der neuen Volksfront vereinigte Linke, | |
die allerdings längst nicht homogen ist. Nach wie vor bestehen erhebliche | |
politische Differenzen zwischen der sozialdemokratischen Partei, den Grünen | |
und der linkssozialistisch-radikalen FI. | |
Anzumerken wäre noch, dass im Gegensatz zu dem früheren Wahlbündnis Nupes | |
(Nouvelle union populaire ecologiste et socialiste) in der neu gegründeten | |
Volksfront die politischen Gewichte verschoben sind. So ist die FI nicht | |
mehr dominierend, wohingegen der Einfluss der Sozialisten und der Grünen | |
erheblich zugenommen hat. Ihr politischer Realismus lässt darauf hoffen, | |
dass die Volksfront bei den Parlamentswahlen letztendlich besser | |
abschneiden wird als vorausgesagt. | |
20 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Le-Pen-bricht-mit-den-deutschen-Rechten/!6009066 | |
[2] /Vorsitzender-des-Rassemblement-National/!5890232 | |
[3] /Frankreich-vor-den-Parlamentswahlen/!6014480 | |
[4] https://www.france24.com/en/live-news/20240612-%F0%9F%94%B4-france-s-rightw… | |
[5] /Abstimmung-ueber-Macrons-Ukraine-Abkommen/!5998254 | |
[6] /Europawahl-in-Frankreich/!6016542 | |
## AUTOREN | |
Arno Münster | |
Arnold Münster | |
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