# taz.de -- Kylian Mbappé und Wahlen in Frankreich: Die Republik schaut auf di… | |
> Vor den Parlamentswahlen bringen Kylian Mbappé und seine Fußballkollegen | |
> ihre Prominenz ins Spiel – gegen die Rechten. | |
Bild: Kylian Mbappé am 4. Juni vor der Presse | |
Dass ein Weltstar des Fußballs während eines großen Turniers sagt, es gebe | |
Dinge, die wichtiger sind als der Fußball, ist außergewöhnlich. Kylian | |
Mbappé hat das nun getan, denn in Frankreich wurden Neuwahlen angesetzt. | |
[1][Dabei könnte der rechtsextreme Rassemblement National (RN) stärkste | |
Kraft werden]. | |
Was sie davon hielten, dass bald schon eine rassistische Partei regieren | |
könnte, werden die Kicker des französischen EM-Teams in diesen Tagen | |
regelmäßig vor ihren Spielen gefragt. [2][Ousmane Dembélé war der Erste, | |
der darauf zu antworten hatte]. Was er meinte, war unmissverständlich, auch | |
wenn er nicht mehr tat, als dazu aufzurufen, die Stimme abzugeben. Das tat | |
auch Mbappé dessen Plädoyer für eine offene Gesellschaft keine Zweifel | |
aufkommen ließ. Marcus Thuram sprach Klartext und forderte dazu auf, den RN | |
zu verhindern. | |
Dass Sportler*innen sich politisch äußern, passiert in Frankreich | |
häufiger als in anderen Ländern, Sport und Politik sind eng verzahnt. In | |
den Sechzigern haben sowohl Kommunisten als auch Gaullisten in seltener | |
Einigkeit staatliche Sportprogramme unterstützt. Es ging mehr um eine | |
Befriedung der Gesellschaft als um Spitzensport. Entsprechend ist | |
Frankreich auf internationaler Bühne bis in die Neunziger hinein eher | |
erfolglos geblieben. | |
Als in den Achtzigern erste Unruhen in den Vorstädten, den Banlieues, | |
aufflammten, bekamen diese Programme eine neue Bedeutung. Sport und Kultur | |
galten als Bereiche, in denen die Integration der neuen | |
„Problembevölkerungsgruppen“ gelingen könnte. Die war klar umrissen: jung… | |
arme, muslimische und nichtweiße Männer. | |
## Ohne Sport waren Einwander:innen quasi unsichtbar | |
Gerade im Sport erwies sich die Idee als fruchtbar. Frankreich war bis in | |
die Neunziger eine Nation, die zwar immer bei großen Turnieren antrat, aber | |
nur selten etwas gewann. Das ändert sich in den Neunzigern: Drei Mal | |
olympisches Gold für Marie-Jo Pérec, zwei Mal holt man im Tennis den | |
Daviscup, Gold und Bronze bei den Handballweltmeisterschaften, drei Mal | |
Gold für die Rugbynationalmannschaft beim Six Nations. | |
Damals ist es der Fußball, bisher ein Sport unter vielen, der Frankreich | |
den vorerst größten Triumph beschert: [3][Olympique Marseille] gewinnt 1993 | |
den Europapokal der Landesmeister. Das Tor von Basile Boli läuft wochenlang | |
in Dauerschleife im Fernsehen. | |
Bis zu diesem Zeitpunkt waren Einwanderer:innen in der französischen | |
Gesellschaft quasi unsichtbar. Mit den Erfolgen im Sport bekamen sie | |
plötzlich Repräsentant*innen, die sie in den Medien vertreten konnten. Es | |
ist in Frankreich keine Seltenheit, dass Sportler*innen in politischen | |
Talkshows sitzen. Etwa um zu erklären, was in den Banlieues vor sich geht. | |
Der nächste Triumph folgte 1998 mit dem Gewinn der Fußballweltmeisterschaft | |
im eigenen Land. Die Mannschaft sollte für ein neues, modernes Frankreich | |
stehen, das nicht mehr „bleu blanc rouge“ sei, sondern „black blanc beur�… | |
„Beur“ bezeichnet Französ*innen maghrebinischer Abstammung. Das Land, | |
das seit den Siebzigern wirtschaftlich stagnierte, würde zu neuer Größe | |
finden – dafür war dieser Weltmeistertitel das ideale Symbol. | |
Star der damaligen Mannschaft war [4][Zinédine Zidane]. Nach seinen beiden | |
Toren im Finale gegen Brasilien plakatierte man ihn als König der | |
Französ*innen auf den Champs Elysées. Präsident Jacques Chirac schlug | |
vor, ihn zum Weltbotschafter der Republik zu machen. Dabei hasst Zidane das | |
Rampenlicht und spricht ungern öffentlich. | |
## Das symbolhafte Spiel gegen Algerien | |
Der Traum vom multikulturellen Frankreich zerbarst unter den Folgen des 11. | |
September 2001 und dem Aufstieg des Front National. Symbolhaft wurde | |
diesmal ein Fußballspiel, das 2001 in Saint Denis stattfand: die erste | |
Begegnung der französischen Nationalmannschaft mit Algerien. Während der | |
Marseillaise pfiffen die algerischen Fans, es kam zum Platzsturm. Für | |
rechte Kommentator*innen der Beweis, dass die „Problembevölkerung“ | |
nicht integrierbar sei. | |
Ein Jahr später zog Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl um die | |
Präsidentschaft ein, 4,8 Millionen Französ*innen hatten rechtsextrem | |
gewählt. Daraufhin äußerte sich sogar Zidane politisch: Würde Le Pen | |
Präsident werden, würde er seine nationale Karriere beenden. Es kam anders. | |
Vier Jahre später streckte Zidane im Finale Marco Materazzi per Kopfstoß | |
nieder. Das rechtsextreme Revolverblatt Minute hob ihn auf seinen Titel mit | |
der Schlagzeile: „Ciao, Gauner“. In kaum acht Jahren war Zidane in der | |
öffentlichen Wahrnehmung vom König zum Kriminellen geworden. | |
Die symbolische Überfrachtung der équipe tricolore rächte sich vor allem | |
bei der WM 2010 in Südafrika. Anders als die Generation davor – in der auch | |
viele Spieler aus stabilen sozioökonomischen Verhältnissen herausragende | |
Rollen einnahmen – bestand die Mannschaft 2010 vor allem aus Kindern der | |
Banlieues. | |
## Gefundenes Fressen für die rechte Presse | |
Sie taten sich öffentlich schwer, sich auszudrücken, kannten die Regeln der | |
Presse nicht. Anders als ihre Vereine schaffte es der Nationalverband | |
nicht, sie zu schützen; auch weil er mit Raymond Domenech einen erratischen | |
Trainer installiert hatte. [5][In Südafrika beschimpfte Nicolas Anelka | |
schließlich in der Pause seinen Trainer, das wurde an die Medien | |
durchgestochen, Anelka suspendiert. Die Spieler streikten, es folgte das | |
Vorrundenaus]. | |
Es war ein gefundenes Fressen für die rechte Presse. Der rechtsextreme | |
Politiker Éric Zemmour sagte: „Ich denke, dass Domenech Politik macht, | |
indem er nur schwarze Spieler einsetzt.“ Der Philosoph Alain Finkielkraut | |
nannte die Mannschaft „einen Haufen Strolche“, der keine andere Moral kenne | |
als die der Mafia. Mit Zidane habe man noch geträumt, mittlerweile kriege | |
man das Kotzen angesichts dieser „Generation Gesindel“. Er meinte nicht nur | |
Patrice Evra, Franck Ribéry und William Gallas, sondern die Banlieues als | |
Ganzes. | |
Kylian Mbappé gilt, obwohl er in der Mittelschicht aufgewachsen ist, als | |
Aushängeschild der Banlieues. Sein Statement bleibt vage – er sei „gegen | |
Ideen die spalten“. Abgeordnete des RN haben seine Worte jetzt aufgegriffen | |
und behauptet, sie richteten sich gegen die extreme Linke und Macron. Gut | |
möglich, dass Mbappé noch deutlicher wird. | |
22 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Frédéric Valin | |
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