| # taz.de -- AfD und französische Rechte: Le Pen lässt Weidel abblitzen | |
| > Die AfD-Chefin scheitert mit dem Versuch, in Paris die Wogen zu glätten. | |
| > Wegen der Vertreibungspläne der AfD geht Marine Le Pen auf Distanz. | |
| Bild: Ziemlich radikal: Doch sogar Marine Le Pen gehen die Vertreibungspläne d… | |
| Berlin taz | Der Spitzname von Alice Weidel in der AfD ist nicht umsonst | |
| „Eisprinzessin“: Die Bundessprecherin schaltet mitunter innerhalb weniger | |
| Sekunden von freundlich auf unterkühlt – und teilt dann ordentlich aus. | |
| Nun bekommt sie ihre eigene Medizin zu schmecken: Marine Le Pen, die | |
| Fraktionsvorsitzende der rechtsradikalen Rassemblement National (RN) in | |
| Frankreich, ließ die AfD-Parteichefin eiskalt abblitzen. Nachdem Weidel in | |
| einem persönlichen Brief auf Französisch zum Begriff „Remigration“ Abitte | |
| leisten sollte, zeigte Le Pen sich gänzlich unbeeindruckt: „Da bleiben | |
| viele Fragen ungeklärt – es hat mir auch nicht sonderlich gefallen, den | |
| Inhalt des Schreibens aus der Presse zu erfahren, bevor ich es erhalten | |
| habe“, sagte Le Pen. Die Beziehungen zwischen AfD und RN sind damit | |
| weiterhin frostig. | |
| Worum ging es? Die [1][Correctiv-Enthüllungen zum Potsdamer Geheimtreffen] | |
| zwischen hochrangigen AfD-Politikern und dem Chef-Identitären Martin | |
| Sellner ziehen mittlerweile für die extrem rechte Partei auch international | |
| Konsequenzen nach sich. Während immer mehr [2][Treffen von AfD-Politikern | |
| mit dem Rechtsextremisten Sellner] bekannt werden, hatte sich nach den | |
| ersten Enthüllungen auch Le Pen deutlich von der AfD und deren | |
| rassistischen Vertreibungsplänen distanziert – die ihr deutsches Pendant | |
| unter dem Stichwort „Remigration“ verharmlost. | |
| Le Pen hatte nach Bekanntwerden des Treffens mit Blick auf die AfD von | |
| „krassen Meinungsunterschieden“ gesprochen und behauptet, dass sie „nie | |
| eine Politik der Remigration“ verfolgt habe, „die beinhalten würde, | |
| Menschen die französische Staatsangehörigkeit zu entziehen“, so Le Pen. Sie | |
| stellte gar infrage, ob man künftig noch gemeinsam in einer [3][Fraktion im | |
| Europaparlament sitzen könne]. Am Potsdamer Treffen nahm auch der | |
| persönliche Referent der AfD-Chefin Alice Weidel teil, den sie nach der | |
| Veröffentlichung entließ. | |
| ## Keine Entspannung bei Risotto und Tiramisu | |
| Letzte Woche reiste Weidel dann nach Paris, um bei Le Pen die Wogen zu | |
| glätten. Weidel gab sich nach dem [4][zweieinhalbstündigen Treffen bei | |
| Risotto und Tiramisu] mit Le Pen und RN-Chef Jordan Bardella versöhnlich. | |
| Man habe festgestellt, dass man die gleichen Lösungsansätze verfolge, sagte | |
| sie und bedankte sich für den „herzlichen Empfang“. | |
| Dass es bei beiden rechten Parteien grundsätzliche Übereinstimmungen gibt, | |
| ist zwar richtig – allerdings sind ihre Strategien grundverschieden: Le Pen | |
| setzt anders als die AfD auf Verharmlosung und politische | |
| Anschlussfähigkeit und nicht auf Radikalisierung und maximale | |
| Fundamentalopposition. Den AfD-Kurs sieht in Europa dabei nicht nur Le Pen | |
| schon länger kritisch – auch bei Netzwerk-Veranstaltungen des ungarischen | |
| Staatschefs Victor Orbán war die AfD zuletzt nicht eingeladen. | |
| Sich von der AfD zumindest formal abzugrenzen, könnte Le Pen wiederum | |
| innenpolitisch helfen, um sich als vermeintlich gemäßigt darzustellen, vor | |
| allem, nachdem der von ihrer Partei befeuerte [5][Rechtsruck] in Frankreich | |
| bereits in ein verschärftes Einwanderungsrecht mündete. | |
| Ein Dorn dürfte Le Pen und den europäischen Partnern der AfD auch die | |
| Nominierung von [6][Maximilian Krah zum Spitzenkandidaten] für die | |
| Europawahl sein. Krah macht sich bei jeder Gelegenheit für den Radikalkurs | |
| seiner Partei stark. Kritisch sieht man beim RN, dass er die Nähe zu Le | |
| Pens rechtsextremem Konkurrenten Éric Zemmour gesucht hatte, was in der | |
| gemeinsamen Fraktion sogar zu Ordnungsmaßnahmen gegen Krah führte. | |
| Auch hatte Krah in der Vergangenheit einen ehemaligen RN-Mitarbeiter | |
| eingestellt, [7][der dort wegen Antisemitismus entlassen wurde]. Hinzu | |
| kommt, dass Le Pen den von der rechtsextremen Identitären Bewegung | |
| geprägten Begriff „Remigration“ ablehnt, mit dem in Frankreich [8][Zemmour | |
| Wahlkampf auch gegen den RN] gemacht hatte. | |
| Entsprechend klang das Ergebnis des Treffens aus Le Pens Sicht auch ganz | |
| anders als bei Weidel: So versicherte ein hochrangiger RN-Politiker dem | |
| französischen Radiosender France Inter, dass die französischen | |
| Parteispitzen beim Mittagessen mit Weidel eine schriftliche Zusage verlangt | |
| hätten, dass [9][„Remigration“ niemals Teil des AfD-Programms sein werde]. | |
| Auf taz-Anfrage bestätigte Weidel die Aufforderung nach einer schriftlichen | |
| Erklärung im „Nachgang des Treffens“. Man habe dem RN einen Brief | |
| geschickt. | |
| ## Keine Distanzierung möglich | |
| In dem der taz vorliegenden, zweiseitigen Brief von Alice Weidel an Marine | |
| Le Pen distanziert sich die AfD-Chefin allerdings kein Stück vom Begriff | |
| „Remigration“, sondern spielt ihn runter und verteidigt ihn. Weidel | |
| behauptet, der Begriff bedeute im Deutschen lediglich die Anwendung | |
| bestehender Gesetze. Dabei ist zwar richtig, dass der Begriff ursprünglich | |
| aus der Forschung stammt – allerdings arbeiten Rechtsextremisten seit | |
| geraumer Zeit daran, den Terminus als vermeintlich harmloses Wort für ihre | |
| rassistischen Ziele zu kapern. | |
| In dieser Weise verwendete ihn auch Martin Sellner. Beim Potsdamer Treffen | |
| sprach der Rechtsextremist laut Correctiv davon, missliebige Deutsche mit | |
| Migrationshintergrund mit maßgeschneiderten Gesetzen unter Druck setzen zu | |
| wollen – mit dem Ziel, sie letztlich zu vertreiben. Mittlerweile taucht der | |
| Begriff in der öffentlichen Debatte vor allem als rechtsextremer | |
| Kampfbegriff für einen ethnisch-homogenen Staat auf. | |
| Der Rest des Schreibens erschöpft sich in verschwörungsideologischen | |
| Unterstellungen, Correctiv betreibe mit „hinterlistigen Vergleichen, | |
| Dramatisierungen und Lügen“ eine regierungsgesteuerte Kampagne gegen die | |
| AfD. | |
| Dabei stellt Weidel Behauptungen auf, die sich an der Grenze zur Lüge | |
| bewegen: Weidel schreibt, dass das „linksradikale“ Medienunternehmen | |
| Correctiv mehrere Millionen Euro jährlich von der Bundesregierung erhalte, | |
| und legt nahe, dass Correctiv staatlich gelenkt sei. | |
| Richtig ist: Ausweislich ihrer Website bekommt das als gemeinnützig | |
| anerkannte Rechercheportal zwar staatliche Förderung, allerdings 2023 | |
| lediglich eine halbe Million Euro, der größte Teil der Finanzierung sind | |
| private Spenden sowie gemeinnützige Stiftungen. Externen Einfluss auf die | |
| inhaltliche Ausrichtung schließt die Redaktion aus. | |
| Dann behauptet Weidel, dass die „Lügenkonstruktion“ von Correctiv | |
| zusammenbreche und Teilnehmer erfolgreich gegen die Berichterstattung | |
| vorgingen. Tatsächlich klagen [10][Teilnehmer des Potsdamer Treffens] gegen | |
| die Berichterstattung von Correctiv, [11][bisher allerdings mit mäßigem | |
| Erfolg]. Die [12][Kernaussagen der Recherche stehen] weiter. | |
| Kurzum: Der Brief ist eine Schimpftirade gegen die Pressefreiheit und das | |
| gewohnte Suhlen in der Opferrolle. Der Ton wirkt eher distanziert, Weidel | |
| spricht Le Pen mit „Madame“ an, die vom RN geforderte Distanzierung von | |
| „Remigration“ bleibt sie schuldig. Kein Wunder also, dass Le Pen das | |
| Schreiben wenig überzeugend findet. | |
| ## Remigration fester Teil des AfD-Programms | |
| Eine Distanzierung wäre allerdings auch wenig glaubhaft gewesen: Denn die | |
| sogenannte „Remigration“ ist längst Teil der AfD-Programmatik und steht | |
| sogar wörtlich im aktuellen Europaprogramm. Dort fordert die AfD | |
| „Resettlements“, Umsiedlungsprogramme aus Europa, sowie | |
| „Remigrationsprogramme auf nationaler und europäischer Ebene“. | |
| Zudem ist völkisches Denken mittlerweile Mainstream in der AfD. Im Zuge der | |
| Enthüllungen unterstrichen verschiedene hochrangige AfD-Politiker, dass | |
| „millionenfache Remigration“ eben kein „Geheimplan“ sei, sondern ein | |
| „Versprechen“. Der Begriff taucht in AfD-Bundestagsreden auf, auf | |
| Social-Media-Sharepics, als Parole in einem AfD-Kalender mit Bildern von | |
| „Abschiebefliegern“. | |
| Ebenso wollte die AfD die Debatte um die verfassungswidrigen Sellner-Pläne | |
| ausgerechnet damit einfangen, dass sie den Begriff als vermeintlich im | |
| Einklang mit dem Rechtsstaat darstellte und eine Neu-Definition quasi als | |
| Grundsatz-Positionierung veröffentlichte. Dies ganz offen im Namen des | |
| Bundesvorstands, verabschiedet im Bundesfachausschuss. | |
| Auch die Fraktionsvorsitzenden in den Ost-Bundesländern haben direkt nach | |
| der Correctiv-Enthüllung ein gemeinsames Positionspapier herausgegeben, in | |
| dem sie den Begriff „Remigration“ verteidigen. | |
| Die völkisch dominierten Landesverbände schreiben hier, dass man das | |
| Staatsangehörigkeitsrecht zurückdrehen wolle, und formulieren ähnliche | |
| Ziele wie der Rechtsextremist Sellner. Man wolle Maßnahmen ergreifen, um | |
| den „Assimilationsdruck auf nichtintegrierte Ausländer zu erhöhen“ und | |
| „Anreize“ schaffen, „um nichtintegrierten Migranten die Heimkehr zu | |
| ermöglichen“, heißt es auch dort als offizielle AfD-Position. Der Begriff | |
| „Remigration“ ist in diesem Sinne also längst Teil der Programmatik. | |
| Sellner, der bis vor Kurzem noch von einem „meta-politischen“ Erfolg | |
| sprach, weil nach der Recherche nun überall von „Remigration“ die Rede sei, | |
| empfiehlt aber mittlerweile selbst auf seinem Telegram-Kanal seinen | |
| Anhängern, den aufgeladenen Begriff im Zweifel zu vermeiden – „wenn ihr | |
| euch in eurem Umfeld und eurer Position nicht traut ‚Remigration‘ zu sagen: | |
| Begriffe sind wichtig – aber nicht alles“. Er empfehle in solchen | |
| Situationen weniger aufgeladene Begriffe. Für die AfD ist es dafür deutlich | |
| zu spät. | |
| Weidel wollte sich auf taz-Anfrage nicht zu Le Pens Reaktion auf den Brief | |
| äußern. In Kreisen des Bundesvorstands tat man Le Pens Reaktion allerdings | |
| als „machttaktisches Geplänkel im Vorfeld der Wahl und der | |
| Fraktionsbildung“ ab. Das Verhältnis bleibt also zunächst frostig. | |
| 29 Feb 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigrati… | |
| [2] /AfD-Geheimtreffen-mit-Martin-Sellner/!5992121 | |
| [3] https://www.morgenpost.de/politik/article241544888/AfD-ueberschreitet-Grenz… | |
| [4] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/afd-weidel-le-pen-brief-… | |
| [5] https://www.dw.com/de/migration-wie-weit-r%C3%BCckt-europa-nach-rechts/a-67… | |
| [6] /AfD-Parteitag-in-Magdeburg/!5946568 | |
| [7] /AfD-Mitarbeiter-im-Europaparlament/!5615129 | |
| [8] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_100350924/n… | |
| [9] https://www.francetvinfo.fr/politique/front-national/plan-de-remigration-le… | |
| [10] https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/beschluss-lg-hamburg-324-o-61-24-vo… | |
| [11] /Potsdamer-Remigrations-Treffen/!5992120 | |
| [12] https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigrat… | |
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