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# taz.de -- Nach Alkoholparty in der JVA Meppen: Offener Vollzug im Wanken
> In Meppen filmen sich Inhaftierte beim Saufen. Die CDU nutzt das für eine
> Attacke auf die Justizministerin und ihre Pläne für den offenen Vollzug.
Bild: Unvorbereitet entlassene Häftlinge kommen später häufiger wieder hinte…
Hannover taz | Die Häftlinge tragen Jogginghosen und Schlappen, auf dem
Tisch stehen große Tabakdosen, aus einer Box dringen Malle-Schlager, die
Männer prosten sich mit Absinth und Wodka zu – und filmen sich selbst
dabei. [1][Dieses Video] sorgte schon vor zwei Wochen für Aufregung – vor
allem dank eines entsprechenden Berichts der Bild-Zeitung.
Die niedersächsische CDU nutzte dies am Mittwoch im Landtag erneut für
einen Angriff auf das SPD-geführte Justizministerium. Ministerin Kathrin
Wahlmann (SPD) hatte bereits im Februar angekündigt, den [2][offenen
Vollzug] in Niedersachsen wieder stärken zu wollen. Dessen Quoten sind in
den vergangenen Jahren – auch im Vergleich zu anderen Bundesländern –
dramatisch gesunken: Vor zehn Jahren lag Niedersachsen beim Anteil der
Gefangenen im offenen Vollzug noch auf Platz 4, inzwischen ist es nur noch
Platz 11 im Ländervergleich.
Dabei sei der offene Vollzug doch ein wirksames Instrument,
Resozialisierung zu fördern und Rückfallquoten zu mindern, sagt die
Ministerin. Eine „Kultur des reinen Wegsperrens“, wie sie die CDU
propagiere, sei dagegen fahrlässig und fachlich unhaltbar. Bei Gefangenen,
die aus dem geschlossenen Vollzug im schlimmsten Fall völlig unvorbereitet
in die Welt entlassen würden, seien hohe Rückfallquoten praktisch
vorprogrammiert, so Wahlmann. Sie kann sich dabei unter anderem auf eine
[3][Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen] (KFN)
aus dem vergangenen Jahr berufen.
## Undifferenzierzte Debatte
Für die CDU hingegen gibt es gute Gründe für den Rückgang des offenen
Vollzugs, nämlich eine immer schwierigere Gefangenenklientel, wie auch die
Beschäftigten im Justizvollzug immer wieder beklagen. Dazu gehören in ihren
Augen mehr Drogenabhängige, mehr psychisch Kranke, aber auch mehr Gefangene
mit Migrationshintergrund, die für die Bediensteten schwer zugänglich sind.
Wer in einer solchen Situation nach einer Stärkung des offenen Vollzugs
rufe, argwöhnt der justizpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christian
Calderone, fördere letztlich nur, dass aus politisch-ideologischen Gründen
Gefangene dorthin verlegt würden, die eigentlich gar nicht geeignet seien.
Und das Ergebnis seien dann Szenen wie das Saufvideo aus Meppen.
Denn die Regelungen, mit denen der offene Vollzug weiterentwickelt und
verbessert werden soll, seien noch in Arbeit. Derzeit gelten dafür in
Meppen noch dieselben Regeln wie unter ihrer CDU-Vorgängerin Barbara
Havliza.
Praktiker wie der Vorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten in
Niedersachsen, Oliver Mageney, ärgern sich vor allem über die
Undifferenziertheit der Debatte. In der Vergangenheit habe sich ein eher
restriktiver Umgang mit dem offenen Vollzug durchgesetzt – zum Teil, weil
es politisch so gewollt war, zum Teil, weil die Anstaltsleitungen
fürchteten, bei Ausbrüchen und Rückfällen in Haftung genommen zu werden.
Jetzt versuche man, den offenen Vollzug anzupassen und zu modernisieren.
Den aktuellen Fall hält er für einen aufgebauschten Einzelfall. „Da wollten
ein paar Leute auf dicke Hose machen.“
Man müsse sich klarmachen, welch komplexer Prozess hinter der Feststellung
der Eignung für den offenen Vollzug stehe. Und selbst dann bedeute er nicht
für alle dasselbe. Über die einzelnen Lockerungen – wer darf arbeiten
gehen, wer darf übers Wochenende nach Hause, wer hat welche
Vorbereitungsmaßnahmen und Therapien zu absolvieren – werde ja immer noch
gesondert entschieden. Und wenn sich da Personen als ungeeignet erweisen,
werde davon selbstverständlich auch einiges wieder zurückgenommen.
## Schärfere Kontrollen
Von den Partyteilnehmern in Meppen ist einer prompt zurück in den
geschlossenen Vollzug gewandert. Noch am selben Tag, an dem die
Bild-Zeitung das Video auf Youtube stellte, holten ihn Vollzugsbeamte der
JVA Meppen von seinem Arbeitsplatz ab. Die anderen drei Partyteilnehmer
waren nicht mehr greifbar, sie waren alle bereits entlassen worden.
Rätselhaft bleibt, warum sie sich überhaupt selbst filmten und wie das
Video zwei Monate später bei der Bild-Redaktion und dann in der
Öffentlichkeit landete.
Die anderen Häftlinge in der 21-Plätze-Einrichtung werden es ihm danken:
Sie würden nun schärfer kontrolliert, versicherte das Justizministerium den
Abgeordneten im Unterausschuss Strafvollzug. Bei einer sofort veranlassten
Durchsuchung der Hafträume, der Gemeinschaftsräume und des Außengeländes
wurden allerdings weder Absinth- oder Wodkaflaschen noch Handys gefunden.
Im kommenden Jahr wollen sich die Abgeordneten selbst ein Bild von der
Anstalt machen, auch um zu verstehen, warum das Gelage nicht früher
aufgefallen ist.
Dabei werden sie auch die anderen Abteilungen der JVA Meppen besichtigen,
die zum Teil ebenfalls in die Schlagzeilen geraten sind. Mitte Mai war ein
Sexualstraftäter beim Freigang mit dem Anstaltspfarrer aus der
Sicherungsverwahrung geflohen und nach 24 Stunden in den Niederlanden
wieder inhaftiert worden. Ein Häftling aus dem geschlossenen Vollzug
beklagte in einem Interview mit „Focus online“, nirgendwo sei es so leicht,
an Drogen zu kommen wie hier. Und gleich zwei Bedienstete mussten sich laut
der Neuen Osnabrücker Zeitung wegen Gewalt gegen Gefangene vor Gericht
verantworten.
19 Jun 2024
## LINKS
[1] https://bilder.bild.de/video/clip/news-inland/neuer-skandal-in-der-jva-mepp…
[2] /Offener-Vollzug-fuer-Sicherungsverwahrte/!5998688
[3] /!5921899
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Gefängnis
Strafvollzug
Niedersachsen
Haft
Gefängnis
Schwarz-rote Koalition in Berlin
Lesestück Recherche und Reportage
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