| # taz.de -- Wie weiter nach der Haftentlassung?: Der schwierige Weg zurück in … | |
| > Nach einer Haftstrafe wieder in die Freiheit entlassen zu werden, ist | |
| > eine große Herausforderung. In Bremen gibt es ein Netzwerk, das dabei | |
| > hilft. | |
| Bild: Der Weg zurück nach draußen ist schwierig: Gefängnisflur | |
| Bremen taz | Thomas E.* ist ein massiger Mann mit Bürstenschnitt. Er | |
| spricht leise und wirkt in seiner Gestik defensiv. Unentwegt spielt er mit | |
| seinem Schlüsselband, an dem nur ein einziger Schlüssel baumelt. „Ich muss | |
| mich erst mal wieder ans Leben gewöhnen“, sagt der 60-Jährige, der in einer | |
| Sporthose am Tisch sitzt. | |
| E. ist zum Zeitpunkt des Gesprächs seit zwei Wochen wieder frei. Er wurde | |
| aus der Haft in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Uelzen entlassen. Dort saß | |
| er zweieinhalb Jahre wegen schweren Autodiebstahls. Es war nicht seine | |
| erste Haftstrafe. Er war schon viermal für längere Zeiträume wegen | |
| organisierten Auto-Diebstahls in Haft. Einmal sogar neun Jahre. | |
| E. erzählt davon, wie es war, sich dieses Mal auf die Entlassung | |
| vorzubereiten: „Ich habe da nicht groß rumgeträumt, ich wusste ja, was | |
| kommt“, beschreibt er seine Erwartungen. „Ich musste mir Gedanken über die | |
| Zukunft machen“, sagt er. „Ich wollte ja nicht obdachlos auf der Straße | |
| liegen.“ Vom Knast aus sei es unmöglich, eine Wohnung zu suchen. Auf einem | |
| Flyer für die Zeit nach der Haftentlassung erfuhr er vom Haus Fedelhören in | |
| Bremen. | |
| Das Haus in der Bremer Innenstadt ist ein stationäres Wohnprojekt für | |
| Männer wie Thomas E., die aus Bremen oder Niedersachsen aus der Haft | |
| entlassen wurden. Es bietet maximal 17 Männern für bis zu zwei Jahre eine | |
| betreute Unterkunft. | |
| ## Erstmal ins Wohnheim | |
| Das Haus Fedelhören habe sich für ihn angeboten, sagt E.. „Wir haben ein | |
| paar Mal telefoniert, und sie haben gesagt, sie würden helfen und dann | |
| haben sie mich abgeholt, als ich entlassen wurde. Jetzt bin ich hier. Ich | |
| habe eine Unterkunft. Das ist erst mal das Wichtigste. Alles andere kommt | |
| Schritt für Schritt.“ | |
| Mit der Haft und seinem vorherigen Leben wolle er nichts mehr zu tun haben, | |
| sagt E.. Der gebürtige Hannoveraner erzählt, er habe entschieden, nach | |
| Bremen zu kommen, weil er hier niemanden kenne. „Ich wollte einen | |
| Neuanfang“, sagt E. Seine Familie sei verstorben. Kontakt zu Freunden habe | |
| er nicht mehr. In alte Kreise zurückzukehren, sei dieses Mal keine Option. | |
| „Dann müsste ich zwar jetzt nicht mit zwölf Euro in der Tasche rumlaufen“, | |
| sagt er. „Aber ich will nicht mehr zurück.“ | |
| Das Haus Fedelhören gehört zum Verein Hoppenbank, der in Bremen noch | |
| weitere Unterstützungsangebote für straffällig gewordene Menschen anbietet. | |
| Auf seiner Webseite schreibt der Träger: „Unser erklärtes Ziel ist es, von | |
| Straffälligkeit Betroffene zu unterstützen, soziale Probleme zu mindern und | |
| Straffälligkeit als gesamtgesellschaftliches Problem deutlich zu machen.“ | |
| Die Sozialarbeiterin Denise Tietjen leitet das Haus Fedelhören. Die meisten | |
| der Bewohner hätten wie Thomas E. in der Vergangenheit schon mehrmals | |
| Haftstrafen verbüßt, erzählt sie. Viele seien drogenabhängig, Thomas E. | |
| nicht. | |
| Das Wohnprojekt bietet an 365 Tagen im Jahr Betreuung an. „Wir machen | |
| alles, was ansteht, beim Wiederankommen“, sagt Tietjen. Geldleistungen | |
| sicherstellen, Personalausweise beantragen, erst mal die Basics schaffen. | |
| „Und danach geht’s an die richtige Betreuungsarbeit, sagt Tietjen. „Eine | |
| Betreuungsbeziehung aufbauen, aber auch zu schauen, wo geht es jetzt hin“. | |
| Frauen nimmt das Haus nicht auf. Der Bedarf für Männer ist viel größer. Die | |
| Frauenvollzüge haben niedrigere Fallzahlen und die Frauen sind oft besser | |
| in familiäre Kontexte eingebettet. „Das macht einen großen Unterschied“, | |
| sagt Tietjen. „Mit Frauen würde man kein Haus füllen können.“ Laut | |
| Justizressort sind nur circa drei Prozent der Häftlinge in Bremen weiblich. | |
| Die Herausforderungen der Zeit nach der Haftentlassung sind für Tietjens | |
| Klienten groß: „Es ist aufregend, es ist alles neu, es ist mit Stress | |
| verbunden“, sagt sie. Vollzug bedeute in der Regel einen vorstrukturierten | |
| Tag: Man wird geweckt, man hat im besten Fall eine Arbeit in der Haft. Man | |
| geht zum Mittagessen, man geht wieder arbeiten, man wird eingeschlossen. | |
| Oft sind Menschen mit Suchthintergrund inhaftiert, die sonst wenig Struktur | |
| haben. „Dann kommen sie raus, und diese Struktur ist weg“, sagt die | |
| Sozialarbeiterin. Der Kontrast sei dann groß. | |
| „Auf einmal muss man wieder selbstständig Dinge erledigen, zum Jobcenter | |
| gehen. Es dauert, bis es Bürgergeld gibt. Das ist für viele frustrierend.“ | |
| Wieder ohne die Struktur zurechtzukommen, sei für die meisten, kaum | |
| schaffbar. Die Betreuung im Haus Fedelhören setze dort an, um die | |
| überwältigende Zeit nach der Haft zu begleiten. | |
| ## Viele Drehtür-Klienten | |
| Auch, wenn Klienten wie E. schon mehrmals in Haft waren, sei jede | |
| Entlassung neu, sagt Tietjen. Es sei genauso anstrengend und aufregend wie | |
| beim ersten Mal. „Keiner, der rausgeht, denkt: Boah, jetzt mach’ ich das | |
| mit links, weil ich kenne es vom letzten Mal.“ | |
| Dies führt Tietjen auch auf strukturelle Probleme zurück. Manchmal fehlten | |
| Personalausweise. „Ohne Perso kriegst du kein Bürgergeld, ohne Bürgergeld | |
| hast du keine Krankenversicherung und ohne Krankenversicherung kriegst du | |
| keine Substitution, also konsumierst du wieder“, sagt Tietjen. Diese | |
| Bedingungen förderten eine erneute Straffälligkeit. | |
| „Drehtür-Klienten haben wir viele“, sagt die Sozialarbeiterin Die Anzahl | |
| der Menschen, die in Bremen allein in diesem Jahr mehrfach inhaftiert | |
| waren, ist dem Bremer Justizvollzug nicht bekannt. Sie werde aus Gründen | |
| des Aufwands nicht erhoben, teilt die Behörde mit. Dennoch gebe es auch | |
| Erfolgserlebnisse, sagt Tietjen. Etwa, wenn Klienten vom Haus Fedelhören | |
| aus in eine eigene Wohnung zögen. | |
| Das ist auch Thomas E.’s Plan: „Mein Ziel ist es, eine kleine Wohnung zu | |
| finden“, sagt er. Ein Zimmer, Küche, Bad – das reicht ihm schon. Dann werde | |
| er seine Rente beantragen und dann war es das. „Ich bin 60, was will ich | |
| noch“, sagt er. Vielleicht kaufe ich mir einen kleinen Hund.“ | |
| E. lacht, wird aber schnell wieder ernst. Er rechnet damit, circa [1][ein | |
| Jahr auf eine Wohnung in Bremen warten] zu müssen. In der Zwischenzeit sei | |
| er im Haus Fedelhören zufrieden. „Ich muss mich nicht an- und abmelden, ich | |
| kann gehen und kommen, wann ich will.“ | |
| Neben dem Angebot im Fedelhören gibt es in Bremen weitere Anlaufstellen, an | |
| die sich Menschen, die aus der Haft entlassen wurden, wenden können. Zu | |
| deren Koordination wurde das der Justizsenatorin unterstellte | |
| „Chance-Netzwerk“ gegründet. Um Menschen auf die Haftentlassung | |
| vorzubereiten, bietet das Netzwerk mit den freien Trägern in der JVA seit | |
| 2002 einen Entlassungsvorbereitungs-pool an. | |
| ## Manche fallen durchs Raster | |
| „Der EVB-Pool ist Dreh- und Angelpunkt, wenn es darum geht, wie der | |
| Übergang von der Haft in die Freiheit gut gestaltet werden kann“, sagt | |
| Julia Diers, die das Netzwerk leitet. Inhaftierte sollen noch während der | |
| Haft mit Sozialarbeiter*innen ihre Entlassung vorbereiten können. | |
| Dazu gehöre es, ein Ausweisdokument, eine Wohnung, eine Krankenversicherung | |
| und, bei Bedarf, einen Therapieplatz zu beschaffen. Die Arbeit des | |
| EVB-Pools habe sich inzwischen bewährt. Allerdings gehe die [2][Sparpolitik | |
| Bremens] im Sozialen und die allgemeine Knappheit an Therapieplätzen nicht | |
| an der Arbeit des Netzwerks vorbei. | |
| Problematisch findet Denise Tietjen die Situation von Menschen ohne | |
| Aufenthaltserlaubnis in Bremen nach der Haftentlassung: „Wir haben in den | |
| letzten Jahren durch das Crack eine große, offene Drogenszene bekommen“, | |
| berichtet sie. Zur Szene gehörten oft Menschen, die keinen Anspruch auf | |
| Leistungen in Deutschland hätten, also keinen Anspruch auf eine | |
| Krankenversicherung, auf Leistungen für ihren Lebensunterhalt und auch | |
| nicht auf betreutes Wohnen oder Ähnliches. | |
| „Diese Menschen fallen einfach durchs System“, sagt Tietjen. „Das steigert | |
| die Kriminalität und gleichzeitig das [3][Armutsgefälle].“ Das seien | |
| Probleme, die sie und ihr Team nicht bewältigen könnten. „Teilweise sind | |
| uns die Hände gebunden“, sagt die Sozialarbeiterin. „Wir probieren es | |
| trotzdem immer weiter – das ist unser Job.“ | |
| Thomas E. blickt zuversichtlich auf seine neue Freiheit: „Abends, um elf | |
| oder so, gehe ich noch raus, setze mich im Park auf eine Bank, das ist | |
| gut“, erzählt er. Nach dem Gespräch macht er sich aber erst mal auf den | |
| Weg. Er hat spontan einen Termin bekommen, um einen Personalausweis zu | |
| beantragen. | |
| *Name geändert | |
| 10 Nov 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Betrug-bei-Wohnungssuche/!6044270 | |
| [2] /Haushaltsnotlage-steht-vor-der-Tuer/!6032577 | |
| [3] https://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Pressemitteilungen/2021/sechster-armu… | |
| ## AUTOREN | |
| Emmy Thume | |
| ## TAGS | |
| Haft | |
| Justizvollzug | |
| Justiz | |
| Knast | |
| Wohnheim | |
| Gefängnis | |
| Haftbedingungen | |
| Gewalt | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Nach Alkoholparty in der JVA Meppen: Offener Vollzug im Wanken | |
| In Meppen filmen sich Inhaftierte beim Saufen. Die CDU nutzt das für eine | |
| Attacke auf die Justizministerin und ihre Pläne für den offenen Vollzug. | |
| Justizvollzug in Deutschland: Mehr Suizide in Gefängnissen | |
| Die Zahl der Selbsttötungen in Haft hat sich seit 2019 mehr als verdoppelt. | |
| Die Linke fordert eine bessere psychosoziale Versorgung der Häftlinge. | |
| Messerattacke in Zug bei Brokstedt: System U-Haft ist gemeingefährlich | |
| Wer als staatenloser Ausländer aus langer U-Haft entlassen wird, hat ein | |
| doppeltes Problem: keine Vorbereitung auf die Entlassung, kaum Hilfe | |
| draußen. |