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# taz.de -- Lobby-Vereine im Umfeld der Grünen: Doppelt hält schlechter
> Über ein Jahr lang buhlten zwei grünennahe Organisationen um Gunst von
> Unternehmen. Jetzt endet die Konkurrenzsituation mit einer Fusion.
Bild: Mit der Konkurrenz ist es vorbei: einträchtige Wellensttiche auf einer S…
Berlin taz | In Monty Pythons „Das Leben des Brian“ blieb die Versöhnung
bis zum Ende aus. Die „Judäische Volksfront“ und die „Volksfront von Jud…
näherten sich nicht an. Die beiden Gruppen, die im Kampf gegen die römische
Besatzung doch eigentlich das gleiche wollten, aber trotzdem nicht an einem
Strang zogen, blieben im Film verfeindet.
Ein ähnlich skurriles Nebeneinander aus der Wirklichkeit nimmt jetzt ein
anderes Ende: Seit etwas mehr als einem Jahr [1][konkurrierten zwei
Organisationen aus dem Umfeld der Grünen um die gleiche Zielgruppe]. Der
„Grüne Wirtschaftsdialog“ und die „Wirtschaftsvereinigung der Grünen“
definierten ihre Mission fast wortgleich darin, Brücken zwischen
Unternehmen und der grünen Partei zu bauen – also zwei Sphären miteinander
zu verbinden, die sich traditionell mit einer gewissen Skepsis
betrachteten. Mit der Konkurrenz zwischen den beiden Vereinen soll es jetzt
aber vorbei sein.
Am Mittwoch kündigten die jeweiligen Vorstände die Fusion an. Falls ihre
Mitglieder auf Versammlungen am 14. Juni zustimmen, werden beide
Organisationen in einem neuen, gemeinsamen Verein aufgehen, der den Namen
der Wirtschaftsvereinigung übernimmt. Die Verantwortlichen sind
zuversichtlich, dass sie grünes Licht bekommen: „Wir sind kurz vor Signing.
The train has left the station“, sagte Thomas Fischer, Unternehmensberater
und Vorsitzender der Wirtschaftsvereinigung.
Es mache keinen Sinn, dass weiterhin zwei Organisation am gleichen Ziel
arbeiten, so Fischer weiter. Daher wolle man die Kräfte bündeln. Gabriele
Klug, zweite Vorsitzende des Wirtschaftsdialogs, sprach von einer
„kontroversen Diskussion“ über die Fusion in ihrem Verein. Mit dem
Zusammenschluss reagiere man aber auf „Rückfragen unserer Mitglieder“.
Viele Unternehmen hätten gefragt: „Mensch, warum seid ihr nicht zusammen?“
Eine Frage, die allerdings schon auf der Hand lag, als die Doppelstruktur
vor einem Jahr überhaupt erst entstand. Mit dem Wirtschaftsdialog
existierte damals bereits ein erster Lobby-Verein im Vorfeld der Grünen.
Die Organisation, vom ehemaligen Bundestagsabgeordneten Thomas Gambke
geleitet, organisierte seit fünf Jahren Gesprächsrunden zwischen
Wirtschaftsvertreter*innen und Grünen-Politiker*innen. Im Prinzip
ähnelte der Verein stark dem CDU-Wirtschaftsrat und dem Wirtschaftsforum
der SPD – mit dem Unterschied allerdings, dass er von der grünen Partei
personell und strukturell klar getrennt war. Das Wirtschaftsforum unterhält
einen mit SPD-Politiker*innen besetzten Beirat, die Präsidentin des
Wirtschaftsrats darf sogar an CDU-Vorstandssitzungen teilnehmen.
## Von nichts gewusst
Als Konkurrenzorganisation trat dann Anfang 2023 erstmals die
Wirtschaftsvereinigung in Erscheinung. Die Initiative zur Gründung ging
nach eigenen Angaben von Unternehmer*innen aus. Im Hintergrund mischte
auch der ehemalige Grünen-Politiker und heutige Post-Lobbyist Volker
Ratzmann mit.
Den Gründer*innen habe damals ein Andockpunkt an die Grünen gefehlt,
sagt Unternehmensberater Fischer. Dass es schon einen entsprechenden Verein
gab, habe man schlicht „nicht auf dem Schirm gehabt“.
Wirtschaftsdialog-Vorständin Klug sagt im Rückblick selbstkritisch, man
habe in der Vergangenheit „zu wenig die Werbetrommel gerührt“, war in der
Öffentlichkeit also zu wenig wahrnehmbar.
Zwischen beiden Organisationen gab es aber auch einen zentralen
Unterschied: Die Verbindungen zwischen Partei und Verein sind bei der
jungen Wirtschaftsvereinigungen ausgeprägter als beim Wirtschaftsdialog.
Die Bundespartei gewährte ihr einen Kredit zur Anschubfinanzierung. Vor
allem Parteichef Omid Nouripour unterstützte die Neugründung, trat auch bei
einer Auftaktveranstaltung auf und ließ sich – zusammen mit 30 weiteren
Grünen-Politiker*innen aller Ebenen – in den „Politischen Beirat“ des
Vereins berufen. Dieser soll laut Selbstbeschreibung „als beratendes
Gremium viele Funktionsträger*innen von Bündnis 90/Die Grünen
versammeln“.
Eine Nähe, die für Kritik unter anderem von der Organisation Lobbycontrol
sorgte. Von einem „Lobbykanal zu grünen Spitzenpolitiker*innen“ war dort
die Rede. Eine Sprecherin forderte eine „klare Trennlinien zwischen Partei
und Vorfeldorganisationen“. In die gleiche Kerbe schlug der Ex-Abgeordnete
Thomas Gambke, dessen Wirtschaftsdialog sich plötzlich in einem
Konkurrenzkampf wiederfand.
## Auf und ab der Mitgliederzahlen
Für Unternehmen stellte sich schließlich die Frage: Warum in seinem Verein
mitmachen, wenn ein anderer das Placet des Grünen-Vorstands hat? Die
Mitgliederzahl des Wirtschaftsdialogs stieg zwar zunächst trotzdem an. 71
Unternehmen waren Anfang 2023 [2][online als Fördermitglieder
(Jahresbeitrag: bis zu 15.000 Euro) angegeben], zum Jahresende waren es 87.
Mittlerweile ist die Zahl aber auf 76 gesunken.
5 Unternehmen (Amazon, Tank & Rast, ING-Diba, Siemens und Tennet TSO)
wechselten direkt zur neuen Konkurrenz. Insgesamt konnte die
Wirtschaftsvereinigung die Zahl ihrer Fördermitglieder (Jahresbeitrag: bis
zu 20.000 Euro) [3][nach Angaben auf ihrer Internetseite] von anfangs 19
auf aktuell 51 erhöhen. Nur zwei Unternehmen – Rewe und das
Handels-Imperium des zweitreichsten Deutschen, Dieter Schwarz – machen bei
beiden Vereinen mit.
Jetzt soll das Konkurrieren um Mitglieder also ein Ende haben. Der Vorstand
des Wirtschaftsdialogs nimmt dafür in Kauf, dass nicht nur der Name der
Wirtschaftsvereinigung übernommen wird, sondern auch dessen Politischer
Beirat bestehen bleibt.
Bei der Kritik an diesem Gremium sei es ihrem Verein nie um dessen Existenz
an sich gegangen, sagt Vorständin Klug auf Nachfrage. Irritierend sei nur
gewesen, dass mit diesem Beirat öffentlich geworben wurde. „Das Werben mit
Politikern in der jeweiligen Organisation lehnen wir ab und dabei bleibt es
auch“, so Klug weiter. „Aber das heißt ja nicht, dass man sich nicht
Politiker, Wirtschaftsleute und Wissenschaftler direkt zusammenholt, um
sich beraten zu lassen und um auch ein direktes Gegenüber in der Politik zu
haben.“
## Lobbycontrol warnt vor Interessenskonflikten
„Enttäuschend“ findet es dagegen Lobbycontrol-Sprecherin Christina
Deckwirth, dass der Beirat übernommen wird. „Das schafft eine enge Bindung
zwischen dem Lobbyverband und grünen Politiker*innen, die die Gefahr von
Interessenkonflikten mit sich bringt“, sagte sie der taz. Positiv sei
immerhin, dass die Wirtschaftsvereinigung einen Finanzbericht mit einer
Übersicht ihrer Einnahmen und Ausgaben veröffentlicht hat: „Davon könnten
sich andere parteinahe Lobbyverbände wie etwa der Wirtschaftsrat der CDU
etwas abschauen.“
Unabhängig von der Frage des Beirats geht es aber natürlich in allen
Vereinen – den beiden alten wie dem geplanten neuen – um Lobbyarbeit und
Drähte in die Politik. Der Wirtschaftsdialog hatte sich zuletzt zum
Beispiel in die Diskussion um [4][ein Gesetzesvorhaben von
Ernährungsminister Cem Özdemir] eingeschaltet. Der Grünen-Politiker will
Werbung, mit der Kindern ungesunde Lebensmittel schmackhaft gemacht wird,
zum Teil verbieten.
Der Grüne Wirtschaftsdialog verschickte dazu [5][ein Positionspapier an
Ministerien und Abgeordnete]. Der aktuelle Gesetzesentwurf müsse
„nachgeschärft“ werden, um das Gesetz „effektiv, ausgewogen und realisti…
umsetzbar“ zu machen, heißt es darin. Ab wann ist ein Lebensmittel zum
Beispiel ungesund? Bestehende Kriterien der Weltgesundheitsorganisation WHO
seien zu streng. Die Ampel-Koalition solle für das Gesetz weichere
Kriterien anlegen. Andernfalls hätten Hersteller und Handel den Schaden: Es
würde „die Wirtschaftlichkeit einiger Produkte in Frage gestellt“.
29 May 2024
## LINKS
[1] /Verbindungen-zur-Wirtschaft/!5927446
[2] https://gruener-wirtschaftsdialog.de/mitglieder/
[3] https://www.wirtschaftsvereinigung-gruene.de/ueber-uns/
[4] /Minister-Oezdemir-bietet-Kompromiss-an/!5940124
[5] https://www.lobbyregister.bundestag.de/media/f8/50/268483/Stellungnahme-Gut…
## AUTOREN
Tobias Schulze
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