# taz.de -- Ist die Gas-Lobby zu mächtig?: Im Schnitt ein Treffen pro Tag | |
> Die NGO Lobbycontrol wirft der Bundesregierung zu engen Kontakt zur | |
> Gasbranche vor. Das Wirtschaftsministerium widerspricht. | |
Bild: Robert Habeck im Juli 2022 in der Gasspeicheranlage in Bad Lauchstädt | |
BERLIN taz | Die Organisation Lobbycontrol wirft der Bundesregierung eine | |
zu große Nähe zur klimaschädlichen Erdgaswirtschaft vor. Am Mittwoch | |
veröffentlichten die Lobbyismus-Kritiker:innen eine [1][Studie] mit | |
entsprechenden Daten. | |
Die Vorwürfe betreffen vor allem frühere Bundesregierungen, aber auch die | |
Ampelkoalition. Beispielsweise habe es im Zeitraum von Mitte Dezember 2021 | |
bis Mitte September 2022 mehr als 260 Treffen zum Thema Erdgaspolitik | |
zwischen Vertreter:innen von Gaskonzernen und dem politischen | |
Spitzenpersonal gegeben, wozu die Studie den Bundeskanzler, die | |
Bundesminister:innen und deren Staatssekretär:innen zählt. Im | |
Durchschnitt ergibt das etwa ein Treffen pro Tag. | |
Das sei sogar „deutlich mehr“ als bei den Vorgängerregierungen, heißt es | |
bei Lobbycontrol. Daneben hat die Organisation noch Treffen mit weiteren | |
Unternehmen und Verbänden ausgewertet, die zwar keine Gaskonzerne, aber eng | |
mit der Branche verwoben sind. Dazu zählt Lobbycontrol etwa den | |
Chemiekonzern BASF, Deutschlands größten Gaskunden, oder den Energieverband | |
BDEW, der allerdings nicht speziell die Gaswirtschaft vertritt. | |
Diese alle eingerechnet, hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an 24 Terminen | |
teilgenommen, sein Staatssekretär Jörg Kukies an 132. Besonders viel | |
Kontakt habe das Wirtschaftsministerium gehabt, in dessen Zuständigkeit die | |
Energiewirtschaft fällt. 39-mal habe Bundeswirtschaftsminister Robert | |
Habeck (Grüne) an derartigen Treffen teilgenommen, seine | |
Staatssekretär:innen zusammengenommen 122-mal. | |
## Studienautorin: „Lobby-Pipelines in die Politik“ | |
Auch personell gebe es Verflechtungen zwischen Wirtschaftsministerium und | |
Gasbranche, sagt Lobbycontrol. Zwar habe Habeck nach Amtseintritt die | |
Führungsebene seines Hauses ausgetauscht: Sein Staatssekretär Patrick | |
Graichen war etwa vorher Chef des progressiven Thinktanks Agora | |
Energiewende, sein Staatssekretär Sven Giegold saß lange für die Grünen im | |
Europaparlament und ist [2][Mitbegründer der globalisierungskritischen | |
Organisation Attac in Deutschland]. | |
Die Abteilung „Wasserstoff und Gas, Energieeffizienz in Industrie und | |
Gewerbe“ jedoch sei auf Ebene der Unterabteilungsleitung und | |
Referatsleitung noch immer mit Personen besetzt, „die über Jahre enge | |
Verbindungen mit der Gasindustrie gepflegt haben“, wie es in der Studie | |
heißt. | |
„Gaslobby-Netzwerke aus Gaskonzernen und Industrie haben der Gesellschaft | |
großen Schaden zugefügt: Klimaschäden, hohe Gaspreise, fatale | |
Abhängigkeiten und milliardenschwere Fehlinvestitionen“, sagte Christina | |
Deckwirth von Lobbycontrol. „Dennoch gewährt auch die aktuelle | |
Bundesregierung der Gaslobby weiterhin Lobby-Pipelines in die Politik.“ | |
## Bundesregierung widerspricht | |
Das Bundeswirtschaftsministerium sieht das anders. „Den Vorwurf von | |
besonderer Nähe und Einflussnahme möchte ich ausdrücklich zurückweisen“, | |
sagte eine Sprecherin zur taz. „Wir führen beispielsweise zu jedem | |
Gesetzgebungsverfahren im Energiebereich, aber auch in allen anderen | |
Bereichen in unserer Zuständigkeit, Länder- und Verbändeanhörungen durch.“ | |
Dabei könnten alle Akteure Stellung nehmen. | |
„Darunter sind sicher auch Verbände der Gaswirtschaft, aber auch die | |
Verbände der erneuerbaren Energien wie auch Umwelt- und | |
Verbraucherschutzverbände“, so die Sprecherin. Zudem seien „gerade im | |
Bereich Gas“ im Jahr 2022 eine Reihe von Entscheidungen getroffen wurden, | |
die eine Abkehr von der Politik der Vorgängerregierung darstellten. | |
Die Sprecherin nannte etwa das Stoppen des Zertifizierungsverfahrens für | |
die Ostsee-Pipeline Nordstream 2 von Russland nach Deutschland, „noch vor | |
Kriegsbeginn im Februar 2022“, oder die Regulierung des Gasspeichermarkts. | |
Als Gegenbeispiel führte die Energieökonomin Claudia Kemfert, die nicht an | |
der Lobbycontrol-Studie beteiligt, aber zu deren Präsentation eingeladen | |
war, die [3][Planung neuer Flüssiggas-Terminals] an. Nach einer Studie von | |
Kemferts Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) führt diese zu | |
Überkapazitäten. | |
Die Wissenschaftler:innen hätten mehrfach nach der Datengrundlage des | |
Wirtschaftsministeriums gefragt, berichtet Kemfert, aber keine Antwort | |
erhalten. „Bei uns verfestigte sich der Eindruck, dass das Zahlen der | |
Gaslobby sind.“ Das ist allerdings nicht gesichert. Bald dürfte darüber | |
mehr bekannt sein. Der Haushaltsausschuss des Bundestags hatte das | |
Wirtschaftsministerium im vergangenen Herbst um die Vorlage eines | |
Gesamtkonzepts zur Flüssiggasplanung bis Mittwoch gebeten. | |
15 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.lobbycontrol.de/wp-content/uploads/gaslobby-studie-lobbycontrol… | |
[2] /Reform-des-Wettbewerbsrechts/!5857993 | |
[3] /Neue-LNG-Terminals-vor-Ruegen/!5915788 | |
## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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