# taz.de -- Ökonom über geplante Bafög-Reform: „Es bräuchte mehr als 1.00… | |
> In dieser Woche beschließt der Bundestag eine erneute Bafög-Reform. | |
> Bildungsökonom Dohmen kritisiert, dass die Bedarfssätze nicht zum Leben | |
> reichen. | |
Bild: Student:innen im großen Hörsaal der Uni Köln am Tag der Erstsemesterbe… | |
taz: Herr Dohmen, diese Woche beschließt der Bundestag voraussichtlich die | |
dritte Bafög-Reform in dieser Legislatur. Neben einer lange geplanten | |
Studienstarthilfe für Bedürftige sieht [1][sie unter anderem höhere | |
Bedarfssätze und mehr Wohngeld] vor. Können Studierende in Not jetzt | |
aufatmen? | |
Dieter Dohmen: Aufatmen würde ich nicht sagen. Es ist gut, dass die | |
Bedarfssätze und Elternfreibeträge angehoben werden. Man muss aber | |
konstatieren, dass dies die Inflation der vergangenen Jahre nicht wirklich | |
kompensiert. Ein Teil der Studierenden ist also sicher weiter | |
armutsgefährdet. Wobei man auch immer gucken muss, was der Maßstab ist. Im | |
Vergleich zu Empfänger:innen von Grundsicherung etwa erwarten | |
Studierende nach ihrer Ausbildung ein gutes Einkommen. Dennoch sollte das | |
Bafög zum Leben reichen – nach allen Studien der letzten Jahre ist das aber | |
nicht der Fall. | |
Der neue Bafög-Höchstsatz inklusive Wohnpauschale steigt von 812 auf 855 | |
Euro, [2][eine regelmäßige Anpassung an Preissteigerungen] sieht die | |
Novelle aber nicht vor. Wann können die Betroffenen mit der nächsten | |
Erhöhung rechnen? | |
Die Legislatur endet kommendes Jahr. Wenn es beim Bafög nicht noch | |
irgendwelche Wahlkampfgeschenke geben sollte, wird vor 2026 oder 2027 | |
nicht mehr viel passieren. Natürlich ist die Haushaltslage des Bundes, der | |
das Bafög ja alleine trägt, nicht gerade rosig. Deshalb fallen die | |
Steigerungen auch nicht so aus, wie sich die Betroffenen das wünschen | |
würden – und es eigentlich nötig wäre. | |
Ein großes Problem sind die steigenden Mieten. Im Schnitt kostet ein | |
[3][WG-Zimmer heute bereits 479 Euro]. Die Wohnpauschale wird aber nur von | |
360 auf 380 Euro angehoben. | |
Die Durchschnittsmieten sagen gar nicht so viel aus. Da sind ja auch alte | |
Verträge mit vergleichsweise günstigen Mieten eingerechnet. Wir wissen aus | |
unseren Befragungen, dass die Mieten für Studienanfänger:innen oder | |
zugezogene Studierende sehr stark angestiegen sind und deutlich höher | |
liegen. Wir wissen auch, dass Studierende in der Regel bei den | |
Lebenshaltungskosten sparen, wenn sie höhere Mietausgaben haben. Am Essen | |
zu sparen ist aber keine sinnvolle Alternative. Mein Vorschlag wäre | |
deshalb, zur Wohnpauschale einen anteiligen Aufschlag zu zahlen, zum | |
Beispiel 50 oder 75 Prozent des zusätzlichen Betrags. Mehr als 450 oder 500 | |
Euro sollte es aber insgesamt nicht sein. Es muss mit Blick auf andere | |
gesellschaftliche Gruppen auch vertretbar sein. Wir dürfen nicht vergessen, | |
dass es auch viele Erwerbstätige gibt, die nicht viel mehr Geld zum Leben | |
haben als Studierende. | |
Was halten Sie denn von der Idee, je nach Wohnort mehr oder weniger | |
Wohnpauschale zu zahlen? | |
Das wäre natürlich wünschenswert für Studierende in Städten wie München | |
oder Berlin. Gleichzeitig macht es das Bafög wieder sehr kompliziert. Wir | |
diskutieren ja ohnehin schon, ob das Bafög nicht viel zu bürokratisch sei. | |
Das sollten wir bei der Frage, wie wir mit unterschiedlichen hohen Mieten | |
umgehen, berücksichtigen. | |
Aktuell befasst sich auch das Bundesverfassungsgericht mit der Höhe der | |
Bafög-Sätze. Möglicherweise orientieren sich die Richter:innen bei ihrer | |
Entscheidung an der sogenannten Düsseldorfer Tabelle, die | |
Unterhaltszahlungen festsetzt. Studierenden, die nicht bei ihren Eltern | |
leben, stehen demnach 930 Euro zu. Wäre das ein angemessener | |
Bafög-Höchstsatz? | |
Wenn wir die Lebenshaltungskosten von Studierenden abdecken wollten, | |
müssten wir auf deutlich mehr als 1.000 Euro gehen. Der Bafög-Grundbedarf | |
liegt auch nach der Erhöhung bei 475 Euro und damit deutlich niedriger als | |
die Grundsicherung. Wenn man bedenkt, dass Studierende neben | |
Lebenshaltungskosten im engeren Sinn auch Bildungsausgaben wie Bücher oder | |
Apps haben, kann es gut sein, dass das Bundesverfassungsgericht die | |
Bafög-Sätze als zu niedrig einstuft. | |
Sollte Karlsruhe die Bundesregierung tatsächlich dazu verpflichten, die | |
Bedarfssätze anders zu berechnen, könnte das zu Sparzwängen an anderer | |
Stelle führen. Haben Sie einen Vorschlag für die Ampel? | |
Das ist eine ganz schwierige Frage. Es gibt sicher Bereiche, in denen man | |
sparen kann. Etwa bei Subventionen, die das Gestern zementieren. Man kann | |
auch diskutieren, ob es sinnvoll ist, dass man die Rente derart anheben | |
muss. Gleichzeitig finde ich, dass wir deutlich mehr Investitionen in die | |
Zukunft und damit auch in die Bildung brauchen. Die Behauptung, dass | |
Verschuldung immer schlecht sei, trifft hier nicht zu. Wir wissen, dass | |
sich Investitionen in Bildung nicht nur für die Betroffenen, sondern auch | |
für die öffentlichen Haushalte bezahlt machen. Vor allem bei Kindern aus | |
sogenannten bildungsfernen Schichten. Aktuell machen wir aber genau das | |
Gegenteil: Wir deinvestieren in Bildung, auch wenn die Ausgaben steigen. | |
Das wird sich dauerhaft negativ auf den öffentlichen Haushalt auswirken. | |
Die Ampel lobt sich für ihre Bafög-Reformen, dabei bleiben mehrere | |
Versprechen unerfüllt: allen voran die Senkung des Darlehensanteils am | |
Bafög und ein elternunabhängigeres Bafög. Wie wichtig wären diese beiden | |
Punkte im Hinblick auf mehr soziale Gerechtigkeit? | |
Es hat mich in unserer letzten Studie überrascht, wie viele Studierende | |
Angst haben, sich zu verschulden. Obwohl die Rückzahlungssumme beim Bafög | |
ja bei 10.010 Euro gedeckelt ist. Der Anteil des Darlehens beträgt dadurch | |
in der Regel nur 20 bis 25 Prozent der Summe, die man mal über Bafög | |
erhalten hat, wenn man Inflation et cetera berücksichtigt. Trotzdem sollten | |
diese Ängste nicht dazu führen, dass jemand das Studium abbricht. Deshalb | |
fände ich es richtig, wenn der Darlehensanteil weiter abgesenkt würde. | |
Beim elternunabhängigen Bafög bin ich mittlerweile sehr zurückhaltend. Die | |
Folge wäre ja, dass auch vermögende Eltern ihrer Verantwortung entbunden | |
würden und die Studierenden vielleicht später ein höheres Erbe bekommen. | |
Dann müsste man auch die Erbschaftsteuer neu regeln. | |
Viele Jahre war der Anteil der Bafög-Empfänger:innen im Sinkflug. | |
Zuletzt ist deren Zahl wieder leicht gestiegen, auf rund 489.000 | |
Studierende. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) erkennt | |
darin eine Trendwende. Sie auch? | |
Ich bin da skeptisch. Wir hatten im vergangenen Jahr deutliche | |
Einkommenssteigerungen, zum Teil inflationsbedingt … | |
… womit einige Studierende über die Bemessungsgrenze kommen und damit nicht | |
mehr bafögberechtigt sind … | |
Genau. Deswegen gehe ich davon aus, dass die Zahl der Geförderten nicht | |
dauerhaft steigen wird. Bei 2024 würde ich ein großes Fragezeichen setzen. | |
Laut unserer Prognose sinkt der Anteil der Bafög-Empfänger:innen in den | |
nächsten Jahren wohl auf unter 10 Prozent. | |
Wer kein Bafög erhält und nicht von zu Hause unterstützt wird, kann | |
eigentlich nur noch auf einen Studienkredit der staatlichen Förderbank KfW | |
zurückgreifen – [4][mit 8 Prozent Zinsen]. | |
Ein KfW-Kredit mit so hohen Zinsen mag aus Bankensicht richtig sein, | |
politisch ist das ein völliges Unding. | |
12 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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