# taz.de -- 10 Jahre Volksentscheid Tempelhofer Feld: Simulierte Beteiligung | |
> Vor zehn Jahren wurde per Volksentscheid entschieden, dass das | |
> Tempelhofer Feld nicht angetastet werden darf. CDU und SPD wollen das | |
> nicht hinnehmen. | |
Bild: Geht es nach CDU und SPD, wird das Feld bald bebaut. Und das ganz ohne Not | |
Berlin taz | Drachen steigen lassen, mit Freund:innen im | |
Gemeinschaftsgarten entspannen, der Sonne beim Untergehen über der | |
beeindruckenden Weite zusehen. Das alles sind Dinge, die auf dem | |
Tempelhofer Feld mitten in Berlin möglich sind. | |
„Ganz besonders ist am Feld, dass dort alle Gesellschaftsschichten | |
zusammenkommen können – und das bis jetzt immer friedlich“, sagt Anita | |
Möller von der Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“. Mehr noch, so | |
Möller weiter: Das Feld sei auch ein Ort mit „großer Bedeutung für das | |
Stadtklima“. Eine einzigartige Freifläche, die „einen wichtigen Beitrag f�… | |
die Stadtnatur und die Erholung aller Besucher:innen“ leistet. | |
Nicht zuletzt Anita Möller und ihren Mitstreiter:innen ist es dabei zu | |
verdanken, dass es ebendiese einzigartige Fläche überhaupt noch gibt. Es | |
war ihre Initiative, die [1][vor zehn Jahren], am 25. Mai 2014, dafür | |
gesorgt hatte, dass die Berliner:innen bei einem Volksentscheid darüber | |
abstimmen konnten, was mit dem Areal des ehemaligen Flughafen Tempelhofs | |
geschehen soll. | |
Und das Ergebnis war eindeutig: Fast 750.000 von mehr als 1,1 Millionen | |
Wähler:innen sprachen sich für den von der Initiative vorgesehenen | |
Schutz des Feldes und gegen jegliche Bebauungsfantasien aus – eine | |
deutliche Abstimmungsmehrheit von fast 65 Prozent. | |
## „Behutsame Randbebauung“ | |
Tatsächlich waren die Nachnutzungsideen der damaligen Landesregierungen | |
bereits weit gediehen. 2017 sollte auf dem Feld die Internationale | |
Gartenbauausstellung stattfinden, 2020 dann die Internationale | |
Bauausstellung. Eine [2][Randbebauung mit rund 5.000 Wohnungen] stand | |
ohnehin auf der Agenda. Bis per Volksentscheid alle Pläne gekippt wurden. | |
Genau ein Jahrzehnt später heizt der aktuelle schwarz-rote Senat die | |
Debatte um das Tempelhofer Feld erneut an. Mit einem internationalen | |
städtebaulichen Wettbewerb sollen perspektivisch die „Möglichkeiten einer | |
behutsamen Randbebauung“ ausgelotet werden. So steht es im | |
Koalitionsvertrag. | |
„Ich kann den Berlinerinnen und Berlinern nicht erklären, dass ich | |
Innenhöfe bebauen muss, aber eine Riesenfläche frei halte“, hat der | |
Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) die Linie schon mal festgezurrt. | |
Zuvor wollen CDU und SPD aber reden. Oder besser: reden lassen. In drei | |
sogenannten Dialogwerkstätten sollen zufällig ausgeloste Menschen aus ganz | |
Berlin an einen Tisch gebracht werden. Sie sollen diskutieren, Fachleute | |
anhören, Ideen erarbeiten und diese am Ende an der Senatsverwaltung für | |
Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen überreichen. | |
## Dialogprozess statt Volksentscheid | |
Das Beteiligungsformat unterscheidet sich deutlich von direktdemokratischen | |
Verfahren wie einem Volksentscheid, bei dem nicht debattiert und abgewogen, | |
sondern mit einem klaren Ja oder Nein abgestimmt wird. | |
Anfang 2022 tagte mit dem Berliner Klimabürger:innenrat ein ähnliches | |
Forum. 100 Personen erarbeiteten damals [3][47 Empfehlungen für künftige | |
Klimapolitik]. Wie nun beim Tempelhofer Feld wurden auch die | |
Klimabürger:innen per Losverfahren ausgewählt, um allen | |
Berliner:innen die gleichen Chancen auf eine Teilnahme einzuräumen. | |
Vor Kurzem haben 20.000 ebenfalls zufällig geloste Berliner:innen | |
Einladungen erhalten, sich am Dialogprozess zum Feld zu beteiligen. Aus den | |
Rückmeldungen werden dann wiederum bis zu 275 ausgelost, wobei auf Alter, | |
Geschlecht, Bildungsabschluss, Migrationshintergrund und Wohnort geachtet | |
werden soll, damit die Teilnehmenden möglichst die gesamte | |
Stadtgesellschaft widerspiegeln. | |
Der Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ stößt das komplette Vorhaben | |
bitter auf. Sprecherin Anita Möller sagt: „Die Pläne des Senats sind | |
vorgeschoben, unehrlich und demokratiegefährdend.“ Dies umso mehr, als die | |
Frage, ob das Feld bebaut werden soll oder nicht, gar nicht auf der | |
Tagesordnung der Dialogwerkstätten steht. | |
Wie der Regierende Kai Wegner hatte auch Bausenator Christian Gaebler (SPD) | |
von Beginn an deutlich gemacht, dass er wenig davon hält, das Tempelhofer | |
Feld so zu belassen, wie es momentan ist. „Die Teilnehmerinnen und | |
Teilnehmer der Dialogwerkstatt treffen keine Entscheidung darüber, ob das | |
Tempelhofer Feld an den Rändern bebaut wird oder nicht“, stellte er Ende | |
April dann auch noch einmal klar. | |
Das alles widerspreche den Berliner Leitlinien für | |
Bürger:innenbeteiligung, ärgert sich Hendrikje Klein. Sie ist | |
Sprecherin für Bürger:innenbeteiligung der Linksfraktion im | |
Abgeordnetenhaus. Für Klein steht fest: „Dadurch, dass die Diskussion auf | |
einen Aspekt, nämlich das Wie einer Randbebauung begrenzt wird, werden die | |
Leitlinien ad absurdum geführt.“ | |
## Bebauung des Feldes nicht notwendig | |
Aber braucht es nicht dringend neuen Wohnraum in Berlin? Dauerhafter Zuzug, | |
ungebremster Mietenanstieg: Das Argument des schwarz-roten Senats, mehr | |
Wohnraum würde die Mieten senken, scheint auf den ersten Blick schlüssig. | |
Allerdings brauche es dafür überhaupt nicht die Flächen auf dem Tempelhofer | |
Feld, heißt es von Kritiker:innen. | |
CDU und SPD nehmen die Wohnungsnot zum Anlass, den Bürger:innenwillen | |
von 2014 zu ignorieren, sagt auch Linken-Politikerin Klein. „Der Eindruck, | |
der erweckt wird, dass die Bebauung des Tempelhofer Feldes die Wohnungsnot | |
löst, ist die totale Irreführung.“ Klein plädiert stattdessen für einen | |
echten Mieter:innenschutz, eine Deckelung der Mieten und dafür, den | |
erfolgreichen [4][Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“] endlich | |
umzusetzen. | |
Um herauszufinden, wie hoch der Bedarf an Wohnungen in der Hauptstadt | |
künftig sein wird und wo neue Wohnungen gebaut werden können, genügt | |
eigentlich ein Blick in den Entwurf des Stadtentwicklungsplans Wohnen 2040. | |
Dort werden Flächen für fast 250.000 Wohnungen ausgewiesen. | |
Das sind fast 30.000 mehr als die 222.000 Wohnungen, deren Bau laut | |
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bis 2040 nötig wären. Das Tempelhofer | |
Feld ist nicht darunter. Der Bedarf könnte also auch [5][ohne eine | |
Randbebauung des Feldes gedeckt werden]. | |
## Bedrohung von Stadtnatur und Freizeitangeboten | |
Sollten sich trotzdem irgendwann Baukräne am Rand des Felds drehen, wäre | |
dabei nicht nur ein besonderer Ort Stadtnatur bedroht, sondern auch das | |
vielfältige Sport-, Kultur- und Freizeitangebot, das hier über die Jahre | |
entstanden ist. | |
Anita Möller von „100 Prozent Tempelhofer Feld“ betont, es gebe über 25 | |
verschiedene Projekte, die durch Bürger:innenbeteiligung gewachsen | |
seien. Diese sollen ausgebaut werden, auch wenn nach dem Willen der | |
Initiative dafür keine festen Gebäude errichtet werden dürfen. | |
Klar ist: Wie das Tempelhofer Feld in den kommenden Jahren weiterentwickelt | |
wird, ist offen. Es wird von den Teilnehmenden des Dialogprozesses, aber | |
auch vom Engagement der restlichen Stadtgesellschaft abhängen. Hendrikje | |
Klein stellt sich das Feld in zehn Jahren als eine „weiterhin weltweit | |
einzigartige Grünfläche“ vor, offen für alle Berliner:innen, für Sport | |
und Freizeit – und mit dem einmaligen Blick über das Wiesenmeer. | |
24 May 2024 | |
## LINKS | |
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[4] /Deutsche-Wohnen--Co-enteignen/!5961670 | |
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## AUTOREN | |
Leonel Steinbrich | |
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