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# taz.de -- Feminismus in der Familie: War nicht alles gut, so wie es war?
> Für unsere Autorin war Papa immer der Gute, Mama die Strenge – bis sie
> Feministin wurde und sich der Blick auf die Rollen in ihrer Familie
> änderte.
Bild: Mal nicht selbst kochen: die Autorin und ihre Mutter im Urlaub auf Gran C…
Ich liebe meine Spülmaschine. Jedes Mal, wenn ich ihren Startknopf drücke,
bin ich ihr dankbar, dass sie meine Teller und Tassen wäscht und mich damit
von wenigstens einer Alltagslast befreit. Umso näher war ich dem
Nervenzusammenbruch, als meine Bauknecht vor wenigen Wochen laut zu piepen
begann. Fehlermeldung, Neustart erfolglos. Allein die Vorstellung, bis zur
Reparatur mein Geschirr selbst waschen zu müssen, versetzte mich in Panik.
Dann dachte ich an meine Mutter. Als ich klein war, spülte sie nicht nur
ihr Geschirr mit der Hand, sondern auch das von mir, meinem Vater und
meinem Bruder. Jeden Tag, Jahr für Jahr. Bis sie irgendwann mit einer
Schiene am Handgelenk nach Hause kam. Sehnenscheidenentzündung, hieß es,
wegen Überlastung. Also mussten wir abwaschen, jeden Tag ein anderer.
Theoretisch. Als mein Vater einmal dran war, schlug er mir einen Deal vor:
zehn Euro, wenn ich seinen Spüldienst übernehme. „Ich habe keinen Bock“,
sagte er zu seiner damals vielleicht zehn Jahre alten Tochter.
Vor einer Weile hätte ich diese Anekdote noch als Beweis für den Witz und
die Schlitzohrigkeit meines Vaters verstanden. Heute hinterlässt sie ein
mulmiges Gefühl in meiner Magengegend – und eine vorsichtige Wut. War Papa
ein Macho, Mama chronisch überlastet, meine Familie ein Fallbeispiel
patriarchaler Rollenverteilung? Solche Fragen gehen mir immer wieder durch
den Kopf, seit ich vor ein paar Jahren angefangen habe, mich mit
[1][Feminismus] zu beschäftigen.
Den Anstoß dazu hatte eine toxische Beziehung gegeben, an deren Ende ich
ahnte: Dass ich unter diesem Mann so leide, liegt nicht daran, dass wir
verschiedene Vorstellungen von Beziehung haben, sondern vor allem daran,
dass er mich abwertete, weil ich eine Frau bin. Seitdem bin ich überzeugt:
Gleichberechtigung erreichen Frauen nicht, indem sie sich behaupten,
selbstbewusster werden oder fleißiger. Sondern indem die Gesellschaft als
Ganzes die strukturellen Ursachen der Benachteiligung erkennt und
aufbricht.
## Sprung in die Vergangenheit
Die Fragen, die sich mir infolgedessen auch zu meinen Eltern und deren
Partnerschaft stellten, schob ich immer wieder beiseite. Zu groß war die
Angst vor den Antworten, die ich finden würde, wenn ich mit meiner
feministischen Brille von heute auf die damalige Zeit schaute. Erst als ich
vor meiner streikenden Spülmaschine stand, gewann die Neugier.
Ich bin heute 30, meine Kindheit lag zwischen den 90er und 00er Jahren,
zwischen Wiedervereinigung und Griechenland-Rettung, Ära Kohl und Ära
Merkel. Es ist die Zeit, in der das zweite Gleichberechtigungsgesetz in
Kraft tritt, das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf befördern soll,
1997 wird die Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Gleichzeitig werden
weibliche Celebrities wie Britney Spears von der Öffentlichkeit
fertiggemacht, Frauenzeitschriften erklären ihren Leserinnen, warum Männer
zum Fremdgehen neigen, und die Filmreihe „American Pie“ vermittelt einer
ganzen Teenagergeneration, was eine Milf ist. Das Akronym meint eine
Mutter, mit der man Sex haben würde – so als würden sich Muttersein und
Attraktivität erst einmal ausschließen.
Was würde passieren, wenn ich den Sprung zurück in diese Zeit nicht allein
unternehme, sondern gemeinsam mit meiner Mutter? Welchen Einfluss hätte das
auf mein Bild von ihr und auf unsere Beziehung?
Schauplatz meiner Kindheit ist ein 800-Seelen-Ort in Franken. Ein altes
Fachwerkhaus, ein großer Garten mit Apfelbäumen und Johannisbeersträuchern,
Seerosenteich, Terrasse, Scheune: Hier lebe ich ab 1993 mit meinem drei
Jahre älteren Bruder und meinen Eltern. Im Sommer steht unsere Haustür den
halben Tag lang offen, es riecht nach frisch gemähtem Gras oder Gülle. Der
Soundtrack: ein Mix aus Vogelgezwitscher, Mähdrescher und ortseigener
Blaskapelle.
Wer hier lebt, ist in der Regel einheimisch, katholisch, konservativ. Meine
Eltern sind nichts davon. Mein Vater kommt zwar aus Rom, kann mit dem
Vatikan aber nichts anfangen. Meine Mutter stammt aus einer Kleinstadt bei
Hannover und ist Protestantin. Er, Jahrgang 1954, bestreitet unseren
Lebensunterhalt mit Antiquitätenhandel, ist leidenschaftlicher Musiker und
heißt das Kiffen gut. Sie, Jahrgang 1960, arbeitet als Teilzeitkraft in
einem Hotelschwimmbad, steht auf Naturheilkunde und sonnt sich im Sommer
oben ohne im Garten. Unsere Erziehung fällt recht liberal aus. Statt auf
Druck und Bestrafung setzen unsere Eltern auf Gelassenheit und Liebe. Sie
sind keine Hippies, aber haben auch nichts mit dem CSU-Mindset der Nachbarn
zu tun.
„Im Vergleich zu anderen Eltern waren unsere schon progressiv“, sagt mein
Bruder Julian, als ich mit ihm an einem verregneten Sonntag im März 2024
auf unsere Kindheitsjahre blicke. Er war sofort bereit zu dem Gespräch, wir
haben uns in Dresden verabredet, wo ich lebe. Julian sagt von sich selbst,
dass ihm Gleichberechtigung wichtig ist und er mit klassischen
Rollenbildern nichts anfangen kann. Trotzdem bin ich nun nervös. Muss das
sein? Unsere Kindheit in der Zeitung auseinandernehmen? War nicht alles
gut, so wie es war? Das, bin ich mir sicher, denkt auch Julian, während ich
ihn frage, wie er heute auf die Rollenverteilung unserer Eltern schaut.
„Diese Frage habe ich mir nie so grundsätzlich gestellt“, sagt er und
überlegt ein paar Sekunden. „In bestimmten Dingen“, findet er, „war Papa
halt ein klassischer Macho.“ Er habe nicht einmal gewusst, wie eine
Waschmaschine funktioniert.
Mein Bruder kann in seiner Erinnerung genauso wenig wie ich einen Vater mit
Putzlappen, Wäschekorb oder Staubsauger in der Hand ausfindig machen.
Rückblickend meint er, unser Vater hätte [2][mehr Care-Arbeit leisten
müssen], ergänzt aber, unsere Mutter hätte ihm wenigstens nicht
hinterherräumen müssen und unser Vater habe „widerspruchslos“ gekocht, we…
es sein musste. Während Julian diese Dinge positiv hervorhebt, denke ich:
bare minimum! Zu Recht kritisieren Feministinnen, wenn Männer für Dinge
gefeiert werden, die eben lediglich das Mindeste sind und bei Frauen für
selbstverständlich genommen werden.
## Sie schmiert Brote, sein Tag beginnt selten vor 10
Bei uns kümmert sich meine Mutter damals nicht nur wie selbstverständlich
ums Kochen, die Wäsche und den Abwasch. Sondern auch darum, dass mein
Bruder und ich regelmäßig zum Zahnarzt gehen, einen Schneeanzug fürs
Skilager haben und ordentliche Schnellhefter fürs neue Schuljahr. Sie
schmiert unsere Pausenbrote, achtet auf unsere Ernährung und überlegt mit
uns gemeinsam, welche Fremdsprache wir im nächsten Schuljahr wählen
sollten. [3][Sie ist – das merke ich beim Schreiben dieser Zeilen – unsere
Managerin].
Ein Job, der schon frühmorgens beginnt. Ob wir in der zweiten oder zehnten
Klasse sind: Meine Mutter wartet auf uns um 6.15 Uhr am Küchentisch, hat
Toast und Marmelade bereitgestellt und manchmal auch ein Glas selbst
gepressten Orangensaft. Mein Vater liegt währenddessen im Bett. Sein Tag
beginnt selten vor 10 Uhr. Das kann er sich erlauben, weil er selbstständig
ist – und seine Frau die Care-Arbeit übernimmt. Muss er doch einmal
einspringen, betrete ich nach dem Aufstehen immer mit dem gleichen Gedanken
die Küche: Kriegt er das hin?
Was nicht heißt, dass er sich keine Mühe gibt. An einem Morgen zum Beispiel
hat er mir eine Kiwi aufgeschnitten und gezuckert. „Warum der Zucker?“,
frage ich überrascht, während im Wohnzimmer der Fernseher läuft und seine
erste Zigarette im Aschenbecher qualmt. „Weil die doch sonst so sauer
schmeckt“, sagt mein Vater. Wohingegen meine Mutter, wenn ich als Kind Lust
auf was Süßes habe, Naturjoghurt mit Marmelade oder einen Apfel
vorschlägt. Mein Vater ist in solchen Momenten der Großzügige, sie die
Strenge.
Ähnlich sehen ihre Rollen aus, wenn es um unsere Haustiere geht. Als ich
neun Jahre alt bin, ziehen zwei Kätzchen bei uns ein. Weil sie noch nicht
geimpft sind, müssen sie die ersten Wochen im Haus bleiben. Stubenrein sind
sie noch nicht. Und so beginnt der Tag meiner Mutter in dieser Zeit damit,
dass sie noch vor dem Schmieren unserer Pausenbrote die Notdurft der Katzen
sucht und aufwischt. Wie lästig das ist, kriegt mein Vater nicht mit. Der
liegt ja noch im Bett. Auch wenn es in den Jahren danach darum geht, die
Katzen am Abend in den Garten zu schicken, weil sie im Haus nachts Bambule
machen, fühlt sich mein Vater nicht zuständig. „Die Katzen“, sagt er dann
gern, „sind euer Bier.“
Damals bin ich weder irritiert noch sauer auf meinen Vater. Wäre er heute
noch am Leben, würde ich ihm Mackertum vorwerfen, ihn fragen, was das
sollte. Ob es ihm auch so geht, frage ich meinen Bruder. „Ich denke, Papa
war einfach ein bisschen faul“, sagt Julian, „und weniger sexistisch im
Sinne, dass er dachte, das alles sei Frauenarbeit.“ Ich dagegen denke:
Faulsein + die Frau machen lassen = sexistisch. Ob ihn das denn gar nicht
wütend macht? „Na ja“, sagt Julian, „es wäre schon cool gewesen, wenn P…
gewusst hätte, wie die Waschmaschine funktioniert.“ Ein Satz, der so absurd
klingt, dass wir beide laut lachen müssen.
Aber was war damals überhaupt Standard in Sachen Rollenverteilung? Die
Soziologin Jutta Allmendinger kommt in ihrem Buch „Es geht nur gemeinsam!
Wie wir endlich Geschlechtergerechtigkeit erreichen“ zu folgenden Zahlen:
Während Frauen 1992 im Schnitt fast fünf Stunden am Tag mit Hausarbeit und
rund zweieinhalb Stunden mit Kinderbetreuung beschäftigt waren, kamen die
Männer auf etwa zweieinhalb Stunden im Haushalt und gute 45 Minuten mit den
Kindern. Gleichzeitig lag die Erwerbstätigenquote Anfang der 90er unter den
Frauen fast 20 Prozent niedriger als bei den Männern.
Dass diese Rollenverteilung ein Ergebnis partnerschaftlicher Verhandlungen
war, scheint unwahrscheinlich, wenn man Emilia Roig fragt. „In den 90ern
war es selbstverständlich, dass die Mütter sich vorrangig um die Kinder
kümmern“, sagt die Politologin, die in ihrem neuen Buch [4][„Das Ende der
Ehe“] darlegt, wie das Patriarchat in heterosexuelle Partnerschaften
hineinwirkt. Emilia Roig gehört wie ich zur Generation Y, die zwischen 1980
und 1995 geboren ist. Care-Arbeit und die Frage, wer diese leistet, seien
in diesen Jahren kein Gegenstand von Debatten gewesen, ein „Non-Thema“, wie
sie sagt.
## Sorgearbeit ist auch emotionale Zuwendung
Care-Arbeit bedeutet nicht nur Putzen und Pausenbrote schmieren, sondern
auch emotionale Zuwendung. Hier kann mein Vater in meiner Kindheit punkten.
Während meine Freundinnen ihre Väter nur am Abend und an den Wochenenden
sehen, habe ich immer Zugriff auf meinen, weil er seinen Antiquitätenhandel
von zu Hause aus betreibt. Wenn mir langweilig ist, gehe ich in sein
Arbeitszimmer und er zeichnet ein Eichhörnchen auf einem Motorrad oder
anderen Quatsch vor, den ich danach ausmalen kann. Wenn ich heule, weil ich
Streit mit einer Freundin habe, nimmt er mich in den Arm.
Und als ich noch zu jung bin, um die ersten Folgen „Germany’s Next
Topmodel“ am Abend zu Ende zu schauen, erträgt mein Vater die Sendung bis
zum Schluss und schreibt die Kandidatinnen, die kein Foto bekommen haben,
auf einen Zettel, der am nächsten Morgen auf dem Küchentisch liegt. Mein
Vater spielt den Clown an meinem Geburtstag und bringt mich einmal so sehr
zum Lachen, dass ich auf unseren Flurteppich pinkele. Er geht mit mir Eis
essen und auf den Flohmarkt und holt mich mit dem Auto nach der Schule von
der Bushaltestelle ab, die keine fünf Minuten von uns entfernt liegt. Er
fährt nicht nur mich nach Hause, sondern auch alle meine Freunde.
Auch mein Bruder hat solche Erinnerungen. „Das war bei vielen meiner
Freunde damals nicht so“, sagt er. Und trotzdem: Wo war unser Vater, als es
um den Haushalt ging, unsere Schulangelegenheiten? „Ich glaube, Papa
wusste, was er gut konnte“, sagt Julian. „Und was er nicht so gut konnte,
hat er gern abgegeben.“ Was er demnach auch gut konnte: Versicherungen
abschließen, grillen, Holz hacken, Regale bauen und unsere
Faschingskostüme designen.
Die Aufgabenverteilung meiner Eltern entspricht damals dem Skript vieler
Familien, in denen laut Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach die
Väter „mit Tätigkeiten zur Familienarbeit beitragen, die nicht unmittelbar
dringend sind“, während die Mütter in den Aufgaben festhingen, die „ein
hohes Maß an Dringlichkeit aufweisen“ – wie eben das Schmieren von
Pausenbroten oder Wegwischen von Katzenkot. Dass Schutzbach sich in ihrem
Buch [5][„Die Erschöpfung der Frauen“] auf heutige Paare bezieht, zeigt,
wie schwer es ist, mit diesen Rollen zu brechen.
Schwer, aber nicht unmöglich. Was, wenn sich Eltern eine gleichberechtigte
Rollenverteilung fest vornehmen? Besuch bei meinen Bekannten Lisa und
Peter. Er arbeitet 35 Stunden die Woche als Informatiker, sie macht aktuell
ihr Lehramtsreferendariat. Sie sind Mitte 30 und haben einen einjährigen
Sohn und eine sechsjährige Tochter.
Darauf, „alte Geschlechterrollen zu reproduzieren“, haben sie keine Lust,
sagt Lisa gleich zu Beginn unseres Gesprächs am Wohnzimmertisch, während
der Nachwuchs schon im Bett liegt. Haushalt und Kinderbetreuung seien bei
ihnen „relativ 50/50“ verteilt, Absprachen darüber, wer was übernimmt,
nicht mehr nötig. „Wer morgens den Kleinen fertig macht und in die Krippe
bringt“, sagt Lisa, „muss sich abends nicht noch das schreiende Bündel auf
dem Wickeltisch antun.“
Also alles ausgeglichen? „Lisa macht alles das deutlich mehr, was man heute
unter mental load versteht“, antwortet Peter. „Welches Kind braucht
Klamotten in welcher Größe? Wann steht die nächste Vorsorgeuntersuchung an?
Solche Sachen.“ Er kaufe dann zwar die Klamotten und bringe das Kind zum
Arzt, sagt Peter, aber bis zu diesem Punkt liege die Organisation zu 90
Prozent bei Lisa. Die Ursache dafür vermutet er in der Elternzeit, die in
beiden Fällen größtenteils seine Partnerin übernommen hat. Dadurch sei sie
mehr oder weniger in die Rolle der Organisatorin gerutscht, und der mental
load habe sich auf ihrer Seite „eingeschlichen“.
Mein Blick wandert zu Lisa. „Es nervt schon“, gibt sie zu. „Aber oft habe
ich auch keine Lust, zu sagen, was zu tun ist.“ Also tut sie es eben
selbst. Ein Zustand, mit dem beide unzufrieden sind. Rückblickend, erzählt
Peter, hätte er gern mehr Elternzeit genommen. Während der vier Monate mit
seiner Tochter zu Hause habe er nicht nur genossen, Zeit mit ihr allein zu
verbringen, sondern auch „Respekt vor Care-Arbeit“ bekommen.
Wie kann es sein, dass selbst solche Eltern nicht vor dem Rückfall in alte
Rollenbilder gefeit sind, die diesen unbedingt vermeiden wollen? Anruf beim
Journalisten Tillmann Prüfer, der in seinem Buch „Vatersein. Warum wir mehr
denn je neue Väter brauchen“ dafür plädiert, den neuen Feminismus als
Chance wahrzunehmen, um die männliche Rolle in der Familie neu zu erfinden.
„Paare sind von einer Gesellschaft umgeben, die sie in bestimmte Muster
hineindrängt“, sagt Prüfer. Deshalb reicht es seiner Meinung nach nicht,
wenn Eltern heute für sich beschließen: Wir machen es anders! Vielmehr
müsse sich der Rest der Gesellschaft mitbewegen. Passiert das nicht, „wird
es die neuen Väter nur in bestimmten Milieus geben“, sagt Prüfer. „Das si…
dann die, die im Prenzlauer Berg barfuß mit ihren Kindern auf dem
Spielplatz sitzen und in Vätercafés gehen.“
Dass es vielleicht auch die Bilder in unseren Köpfen sind, die die neuen
Väter verhindern, legt eine 2023 in der Zeitschrift „Sex Roles“
veröffentlichte Metaanalyse zum Thema mental load nahe. Als einen zentralen
Faktor für die Ungleichverteilung von Care-Arbeit nennen die Autoren darin
die Tatsache, dass diese Form von Arbeit nach wie vor als Frauenarbeit
eingestuft wird – und zwar von Studienteilnehmern beider Geschlechter.
Lastet der mental load dadurch dauerhaft auf den Schultern der Frauen,
führt das bei diesen zu vermindertem Wohlbefinden, emotionalem Stress und
Beziehungszufriedenheit, so die Forscher. Die Journalistin und Autorin
Teresa Bücker geht in dem Sammelband „unlearn patriarchy“ noch weiter:
Solange Care-Arbeit in Familien Sache der Mütter bleibt, verzichten diese
nicht nur auf Sehnsüchte, sondern auch auf [6][„existenzielle Ressourcen“
wie Zeit], berufliche Entwicklung, Geld.
Doch was, wenn meiner Mutter solche Dinge gar nicht wichtig waren? Sehe ich
Probleme, wo gar keine sind? Ich setze mich in den Zug nach Franken. Als
ich meiner Mutter vor zwei Monaten am Telefon von der Idee für diesen
Artikel erzählt habe, schoss es direkt, wie eine Verteidigung, aus ihr
heraus: „Aber ich habe es doch gern gemacht!“ Ähnlich klingt sie, als wir
jetzt, im April 2024, zusammen in ihrer Küche sitzen. Ihre Haare sind
ergraut, und ihr Gesicht hat zarte Falten bekommen.
„Ich war damals sehr zufrieden in meiner Rolle“, sagt sie gleich am Anfang
unseres Gesprächs. „Aber man hat auch nichts gesagt, wenn man erschöpft
war.“ Dabei hätte sie „schon mehr Entlastung gebraucht“.
Die erste große Erschöpfung, erinnert sich meine Mutter, spürt sie, als ich
zwei Jahre alt bin. Die zweite, nachdem sie und mein Vater das Haus samt
Grundstück gekauft haben, wo wir vorher zur Miete gewohnt hatten. Neben
Haushalt, Kindern und Katzen muss sich meine Mutter jetzt auch um einen
riesigen Garten kümmern. Und weil der Kredit für den Hauskauf abbezahlt
werden will, muss sie mit ihren Stunden hochgehen. Eine Zeit lang arbeitet
sie in zwei Hotels gleichzeitig.
Meine Mutter nimmt mich in unserem Gespräch mit in ihren damaligen Alltag:
6 Uhr aufstehen, Kinder für die Schule vorbereiten, Katzen versorgen,
Haushalt machen, 12.30 Uhr in die Stadt fahren, Großeinkauf, 14 Uhr
Schichtbeginn, 22.30 Uhr zurück nach Hause, bei Schnee im Winter die
Zufahrt zum Haus freischaufeln, Einkauf wegräumen, Küche sauber machen,
vielleicht auch noch das Katzenklo. „Bis ich im Bett war, war es manchmal 1
Uhr. Und dann konnte ich oft nicht einschlafen.“ Ob sie meinem Vater gesagt
hat, wie gestresst sie war? „Ein Mal.“ Aber da sei sie nicht zu ihm
durchgedrungen. „Mir hat auch die Stärke gefehlt, öfter Nein zu sagen.“
Während ich meiner Mutter zuhöre, bildet sich ein Kloß in meinem Hals.
Tränen schießen mir in die Augen. Mein Puls rast. Nicht nur die Tatsache,
dass sie zeitweise so überlastet war, bricht mir das Herz, sondern vor
allem, dass es niemanden interessiert hat. „Es wurde damals nicht über
solche Themen geredet“, betont meine Mutter. „Es war selbstverständlich:
Die Frau macht dies, der Mann macht das.“
So habe sie es gelernt in einem Elternhaus, in dem die Mutter ihre vier
Kinder mehr oder weniger allein großgezogen hat. Ob meine Mutter
Wertschätzung für ihre Care-Arbeit erfahren hat – [7][abgesehen vom
Muttertag]? „Nein“, sagt meine Mutter und schweigt für einen Moment. „Sie
wurde ja gar nicht gesehen.“ Ein Satz, der mich fertig macht. Was ich höre,
klingt für mich wie ein Skandal, eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.
Auch ich bin als Kind blind für die Care-Arbeit meiner Mutter. Was ich aber
sehe, ist ihre Anspannung, die ich mir damals nicht erklären kann. Zum
Beispiel als ich sie um einen Eintrag in mein Poesiealbum bitte. Mein Vater
hat sich kurz davor in dem Album verewigt, zwei Seiten lang in Schönschrift
mit Foto und Herzchenaufklebern. Dementsprechend gespannt bin ich auf den
Eintrag meiner Mutter, die das Büchlein genervt entgegennimmt und mir nach
fünf Minuten wieder in die Hand drückt. Das Ergebnis: Ein schlichtes „Hab
dich lieb!“ Ich erinnere mich nicht mehr, wie alt ich damals bin – aber an
meine Enttäuschung.
Heute sehe ich den Kontext. Als ich meiner Mutter das Poesiealbum gebe,
kocht sie gerade. Generell ist sie eigentlich immer beschäftigt. Den
Einkauf wegräumen, die Katzen füttern, den Küchentisch abwischen, das Brot
aus dem Gefrierfach holen. Wenn ich heute an meine Mutter denke, sehe ich
eine Frau, die immer in Bewegung ist, die, während sie die eine Aufgabe
erledigt, in Gedanken schon bei der nächsten ist. Wenn ich an meinen Vater
denke, ist das Bild still und er entspannt.
## Die dritte große Erschöpfung – der Burn-out
Wenn das alles nicht nur Frage des Charakters ist, sondern der Prägung:
Welches Bild würde ich heute abgeben, wenn ich Kinder hätte? „Ich bin auch
mit dem Archetyp der tollen Mutter großgeworden, die sich aufopfert“,
erzählt Autorin Emilia Roig während unseres Videogesprächs. „Heute denke
ich, es wäre gut gewesen, wenn meine Mutter auf ihre eigenen Bedürfnisse
besser geachtet und sie nicht als unterste Priorität behandelt hätte.“
Folgt man den Worten der Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach, würde
das allerdings mit dem kollidieren, was der Großteil der Gesellschaft auch
heute noch von Müttern erwartet: permanente Fürsorge und Verfügbarkeit.
Dass meine Mutter mir erstmals nicht zur Verfügung steht, merke ich kurz
nach dem Tod meines Vaters. Ich bin damals 17 Jahre alt, und dieses
Ereignis offenbart die Zerbrechlichkeit unserer Kernfamilie, die kaum
Verwandte in der Nähe hat. Zwar schafft es meine Mutter – plötzlich Witwe
und Alleinerziehende –, unseren Alltag ein paar Monate am Laufen zu halten.
Doch dann setzt bei ihr die dritte große Erschöpfung ein – der Burn-out.
Konnte ich mich sonst immer zu 100 Prozent auf sie verlassen, geht es auf
einmal um ihre Bedürfnisse. Am Abend zusammen einen Film schauen? Geht
nicht, der Fernseher ist meiner Mutter zu laut. Am Wochenende einen
Abstecher in die Pizzeria, in der wir früher immer zu viert waren? Geht
nicht, meine Mutter will ihre Ruhe. Die Enttäuschung über Momente wie diese
lässt in meiner Gefühlswelt keinen Platz für Verständnis und setzt einen
großen Entfremdungsprozess in Gang. Fragt mich jemand fortan nach meinen
Eltern, habe ich nur meinen Vater vor Augen, den ich schon in meiner
Kindheit vergöttere – obwohl ich damals mehr Zeit mit meiner Mutter
verbringe und mich ihr eher anvertraue.
Emilia Roig nickt hinter ihrem Laptop, während ich ihr das erzähle. Auch
ihre Mutter habe in ihrer Zuneigung lange im Schatten ihres Vaters
gestanden. Den Grund dafür sieht die Autorin in einer misogynen
Gesellschaft, die Frauen herabsetze und Männer anhimmele: „Kinder verstehen
diese Hierarchie schon sehr früh, und deshalb wirkt sie auch in unseren
Beziehungen.“
Laut Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach gründet die Matrophobie,
wie die Ablehnung der Mutter auch genannt wird, darin, dass entscheidende
Bereiche der Gesellschaft wie Wirtschaft oder Politik männerdominiert sind
und Frauen ab dem Zeitpunkt des Kinderkriegens im gesellschaftlich
abgewerteten Bereich der Familie verortet werden. Das mache den Töchtern
eine Identifikation mit ihren Müttern schwer.
Erst als ich in solche feministischen Theorien eintauche und erkenne,
welche Ungerechtigkeiten das Patriarchat für Frauen mit sich bringt,
bekommt meine Mutter den Platz in meinen Kindheitserinnerungen, den sie
verdient. Erst als ich mich mit Themen wie Care-Arbeit und mental load
beschäftige, erkenne ich, was sie – neben ihrer Erwerbsarbeit – alles für
uns getan hat. Ich sehe die saubere Wäsche, die Kinderarztbesuche, die
Elternsprechtage.
Je mehr Wertschätzung ich auf diesem Weg für meine Mutter spüre, desto
öfter meldet sich die vorsichtige Wut auf meinen Vater und damit auch die
Wut auf alle Väter, die – damals wie heute – ihren Teil der Care-Arbeit
nicht übernehmen. Was fange ich damit an, will ich am Telefon vom
Vaterexperten Tillmann Prüfer wissen. Eine konkrete Antwort hat er nicht.
Stattdessen versucht er es mit einem Perspektivwechsel: Stecke ein Vater –
anstatt in Haushalt und Kinderbetreuung – viel Zeit in seinen Job, dann sei
das aus dessen Selbstverständnis heraus ebenfalls Care-Arbeit. Weil er
denke: Ich schaffe eine Grundlage, investiere in unseren Lebensstandard.
„Das verstehen die Väter gar nicht als Egoismus, sondern als etwas, was sie
für ihre Familie tun“, betont der Autor.
Während des Gesprächs fällt mir dieser Perspektivwechsel schwer. Doch ein,
zwei Stunden später erinnere ich mich an den sorgenvollen Blick meines
Vaters, als unsere Waschmaschine kaputt ist und eine neue her muss, als die
Bank ihm keinen Kredit gibt für das Auto, das wir brauchen. Ich erinnere
mich, wie er sich in seinen letzten Jahren bis spätabends abmüht, seine
Antiquitäten auf Ebay zu verkaufen, weil das Geschäft im Laden nicht mehr
läuft. Wie er selbst dann noch den Tag durcharbeitet, als er bereits schwer
krank ist. Obwohl es niemand ausspricht und meine Mutter auch Geld
verdient, scheint damals klar: Unseren Lebensstandard halten muss mein
Vater, und zwar allein. „Wenn wir jetzt also wütend sind auf unsere Väter�…
sagt Tillmann Prüfer, „dann lohnt oft ein Blick auf das nie ausgesprochene
Leid auf deren Seite.“
Mehr als 20 Jahre sind seit meiner Kindheit im fränkischen Dorfidyll
vergangen. Seitdem ist etwas in Gang gekommen, sind Diskussionen über
Care-Arbeit und neue Väter entstanden. Mit Folgen? Laut Soziologin Jutta
Allmendinger verbrachten Frauen 2016 im Vergleich zu 1992 am Tag zwar rund
zwei Stunden weniger mit Haushalt und Kinderbetreuung. Allerdings nicht,
weil die Männer plötzlich mehr machten, sondern weil die Frauen selbst mehr
Erwerbsarbeit leisteten und damit weniger Zeit hatten für Care-Arbeit. „Von
Veränderung keine Spur“, konstatiert Allmendinger ernüchtert. Und auch die
Zahlen des letzten [8][Gleichstellungsberichts der Bundesregierung], wonach
der Gender-Care-Gap 2022 immer noch bei 44,3 Prozent lag, zeigen: Der Weg
bis zur gelebten Gleichberechtigung ist noch weit.
Und was können wir bis dahin tun? Zum Beispiel die Leistung der Mütter
nachträglich anerkennen – als „Korrektiv“, wie Emilia Roig sagt. Denn es
sei zwar normal gewesen, dass diese sich „stillschweigend erschöpft und
aufgeopfert haben, aber nicht richtig“.
Doch wie sieht so eine nachträgliche Anerkennung aus? Vor dem Gespräch mit
meiner Mutter habe ich lange überlegt. Ein Brief, ein Geschenk? Als wir uns
am Küchentisch gegenübersitzen, bin ich mir auf einmal sicher. Ich will
Danke sagen, und zwar ein einfaches, aufrichtiges Danke. Kein
Muttertags-Danke, das ich früher auf Karten geschrieben oder bei Whatsapp
getippt und am nächsten Tag wieder vergessen habe. Sondern eines, in dem
die Trauer darüber steckt, dass die Leistung meiner und so vieler anderer
Mütter viel zu lange nicht gesehen wurde.
„Danke“, sage ich also zu ihr, während mir die Tränen übers Gesicht lauf…
Und während auf ein Danke normalerweise ein Bitte folgt, erscheint das, was
meine Mutter stattdessen antwortet, ganz logisch: „Danke.“
2 Jun 2024
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## AUTOREN
Laura Catoni
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