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# taz.de -- Gedenktag in Israel: Die Kerzen in der Dunkelheit
> Am Vorabend des Unabhängigkeitstages gedenken jüdische und
> palästinensische Israelis der Opfer beider Seiten. Nicht alle sind damit
> einverstanden.
Bild: Kerzen auch auf dem Mount Hertzl in Jerusalem in Gedenken an die getötet…
Jerusalem taz | Vor einem Banner mit der Aufschrift „Die Besatzung führt zu
Kriegsverbrechen“ steht Maoz Inon und zündet eine Fackel an. „Schalom,
Salam, Peace“, ruft er – Hebräisch, Arabisch und Englisch für Frieden. Am
7. Oktober töteten Terroristen der Hamas seine Mutter – eine
Mandalakünstlerin, die an Frieden glaubte – und seinen Vater – einen
Farmer, der die Arbeit auf dem Feld trotz aller Schwierigkeiten liebte. Die
beiden lebten in dem Moschav Netiv HaAsara, ganz nah am Grenzübergang Erez
zwischen Israel und dem Gazastreifen.
Das Anzünden von Fackeln markiert in Israel den Übergang vom sogenannten
Jom HaZikaron – dem Gedenktag für die Gefallenen der Kriege Israels und die
Opfer von Terroranschlägen – zum Unabhängigkeitsfeiertag. An diesem feiern
die Israelis jährlich die Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948.
Normalerweise ist der Unabhängigkeitstag ein Anlass zur Freude, der mit
Feuerwerk, Konzerten und großen Partys zelebriert wird. Doch dieses Jahr
ist alles anders: Über 120 Geiseln oder ihre Leichen werden noch immer in
Gaza festgehalten. Zehntausende sind noch immer aus dem Norden Israels oder
dem Umland Gazas evakuiert. Das israelische Militär kämpft gegen die Hamas
und gegen die libanesische Miliz Hisbollah. Die Stimmung in Israel ist
gedrückt.
Auf einem mit Metallgittern abgesperrten Straßenabschnitt vor der Knesset
wollen es sich wenige Hundert Menschen dennoch nicht nehmen lassen, ihre
[1][eigene Version des Fackelanzündens] zu begehen. Hier kommen am
Montagabend arabische und jüdische Israelis zusammen. Man feiert nicht nur
die Unabhängigkeit Israels, sondern gedenkt auch der Palästinenserinnen und
Palästinensern, die bei der Geburt des israelischen Staates im Jahr 1948
ihre Heimat verloren haben – und der [2][Menschen] in Gaza, die nun den
Preis für die Terrorakte der Hamas am 7. Oktober bezahlen.
## „Krieg ist niemals die Antwort“
Viele ältere Menschen sind gekommen. Einige sind mit einem eigens
organisierten Bus aus Tel Aviv in das konservativere Jerusalem angereist.
Eine Kippa oder ein Kopftuch trägt kaum jemand, dafür T-Shirts mit Aufrufen
zum Frieden. Einem Hund wurde eine gelbe Schleife ans Halsband gebunden –
ein Symbol für Solidarität mit den Geiseln in Gaza.
Wer teilnehmen will, muss an den vielen Polizisten vorbei, die die
Veranstaltung sichern. Eine augenscheinlich orthodox-jüdische Familie – die
vier Kinder winken mit Israel-Fahnen – darf nicht passieren. Ein junger
Mann, eine riesige israelische Fahne schwenkend, muss ebenfalls draußen
bleiben. „Die Gegendemonstranten werden wahrscheinlich lauter sein als
wir“, sagt einer der Besucher der alternativen Gedenkveranstaltung.
Aktivisten für ein Zusammenleben zwischen Israelis und Palästinensern
zünden an diesem Abend die Fackeln an. Einer von ihnen ist Maoz Inon, der
in seiner kurzen Rede vor dem Anbrennen der Fackel von seinen getöteten
Eltern und ihrem Glauben an den Frieden erzählt. „Krieg ist niemals die
Antwort. Er war nie die Antwort und wird nie die Antwort sein“, zitiert er
Fela Kuti, einen nigerianischen Musiker.
Es gebe nur eine Lösung für den Konflikt zwischen den Palästinensern und
Israelis: Frieden für alle, sagt Omer, der nur seinen Vornamen nennt. Er
ist 26 Jahre alt und Anhänger der Kommunistischen Partei Israels. Immer
wieder nehme er an Veranstaltungen, die Friedensaktivisten verschiedener
Couleur zusammenbringen, teil, erzählt er. Man müsse ja hoffnungsvoll
bleiben.
## Ein Zeichen gegen Netanjahu setzen
Ein anderer, der an diesem Abend eine Fackel entzündet, ist Amjad Shbita.
Er ist palästinensischer Israeli und Politiker der Chadash, ein
Zusammenschluss sozialistischer Gruppierungen, die sich unter anderem gegen
die Besatzung des Westjordanlands ausspricht. Die Rechte der Palästinenser
könnten nicht länger ignoriert werden, erklärt er und beendet seine Rede
mit einem Vers des palästinensischen Nationaldichters Mahmoud Darwish: „Und
wenn du an die weit entfernten Anderen denkst, denk an dich selbst. Sag:
‚Ich will eine Kerze in der Dunkelheit sein.‘“
Eine Kerze in der Dunkelheit sein – dafür ist auch Ellen, die ebenfalls nur
ihren Vornamen nennt, gekommen. Sie ist 76 Jahre alt, wirkt mit ihrem
federnden Gang aber deutlich jünger. „Hier sind die Menschen, die ich
liebe“, sagt sie über ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Sie wettert
[3][gegen den Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seine „korrupte
Bande“] und betont: Israel verändere sich mehr und mehr zum Schlechten.
Dagegen will sie immer wieder ein Zeichen setzen – auch wenn sie wenig
Hoffnung habe, dass sich etwas ändere.
Vor der Absperrung der Polizei steht ein Mann und ruft wüste
Beschimpfungen. „Verräter“ seien die Teilnehmenden der Gedenkveranstaltung,
auf seinem mitgebrachten Plakat prangt eine Schlinge mit einem
Henkersknoten. Die Polizei kann ihn nur mühsam zurückhalten, einmal schafft
er es über die Absperrung, drei Polizisten bugsieren ihn wieder hinaus. Er
und seine wenigen Mitstreiter, angerückt mit israelischen Fahnen und
Megafon, geben sich größte Mühe, die Veranstaltung zu übertönen. Es gelingt
ihnen nicht.
14 May 2024
## LINKS
[1] /Israelisch-Palaestinensische-Gesellschaft/!5847687
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[3] /Analyse-zum-Gazakrieg/!6006942
## AUTOREN
Lisa Schneider
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