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# taz.de -- Die Türkei unter Erdoğan: „Ein Dreieck des Bösen“
> Der Journalist Merdan Yanardağ diskutiert in Hamburg darüber, wie die
> Türkei zurück zur Demokratie finden kann.
Bild: Anhänger von Ekrem Imamoglu, Bürgermeister von Istanbul, feiern nach de…
taz: Herr Yanardağ, Sie wurden im Juni 2023 in der Türkei verhaftet. Warum?
Merdan Yanardağ: Diese Verhaftung war politisch motiviert. Ich wurde mit
einer politischen Anschuldigung konfrontiert und daraufhin verhaftet. Die
Anschuldigung beruhte auf Interpretationen und Vermutungen bezüglich einer
Fernsehsendung.
Worum ging es?
Nun, ich wollte, dass die Isolation der politischen Gefangenen und
Häftlinge aufgehoben wird. Isolation bedeutet in diesem Fall, dass es
diesen Gefangenen in der Türkei verboten ist, sich zu treffen, Briefe
auszutauschen. Sie dürfen mit niemandem Kontakt haben, noch nicht einmal
mit ihren Anwälten. Deshalb habe ich gesagt, dass diese Praxis beendet
werden muss – auch bei Abdullah Öcalan.
Warum so ausdrücklich?
Ich möchte betonen, dass die AKP-Regierung eine faschistische,
politisch-islamistische Regierung ist. Sie verurteilt Öcalan einerseits als
Terroristen, andererseits versucht sie ihn für ihre eigenen politischen
Zwecke zu missbrauchen. Das ist eine Ungereimtheit, und ohne Isolation wäre
das schwieriger.
Warum ist das so wichtig?
Ein wesentlicher Bestandteil von Demokratien ist die Anerkennung, dass auch
Kriminelle Rechte haben. Es kann keine Ordnung geben, in der das Recht nach
den Bedürfnissen und Vorlieben einer willkürlichen Macht gebogen und
verdreht wird. Das habe ich gesagt.
Und deshalb kam es zur Verhaftung?
Der eigentliche Grund waren die oppositionellen Sendungen bei den
Präsidentschaftswahlen und die von mir verantworteten Sendungen. Die zu
stoppen, war der Hauptzweck. Ihr Ziel war es, mich zu bestrafen und die
unabhängigen Medien einzuschüchtern.
Wie hat sich Ihre rechtliche Situation entwickelt?
Das Verfahren wird fortgesetzt. Wir haben Einspruch gegen das Urteil
eingelegt, also läuft auch das Berufungsverfahren weiter. Wir wissen nicht,
wann es abgeschlossen sein wird. Mir war auch ein Reiseverbot auferlegt
worden, das inzwischen aufgehoben ist, sodass ich jetzt auch nach Hamburg
kommen kann. Aber ich hatte zuvor immer mal wieder in verschiedenen
Abständen mehr als sieben Jahre lang ein Auslandsreiseverbot. Während
meines gesamten journalistischen Lebens habe ich also ständig gegen
Versuche, demokratische Rechte und Freiheiten zu beseitigen, kämpfen
müssen.
Dann waren die Maßnahmen gegen Sie gar nichts Neues?
Doch. Meine Verhaftung nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am
28. Mai war vielleicht eines der ersten Ergebnisse der neuen politischen
Ära. Wir können meine Verhaftung als eines der ersten Anzeichen für den
Übergang zu einem repressiveren, totalitären Regime betrachten.
Wie steht es denn um die aktuelle Lage der Pressefreiheit in der Türkei?
Die Presse- und Meinungsfreiheit durchlebt die dunkelste Zeit ihrer
Geschichte. Wir können nicht von Presse- und Meinungsfreiheit im
eigentlichen Sinne sprechen. Zu fast jedem Thema werden Klagen gegen uns
eingereicht, gegen mehr als 40 müssen wir uns aktuell wehren. Einige sind
direkt von Recep Tayyip Erdoğan angestrengt. Außerdem gibt es in Gestalt
des obersten Rundfunk- und Fernsehrates (RTÜK) ein im Grunde
verfassungswidriges Druck- und Zensurmittel, das sich der Gerichte bedient.
Und sollen weitere Einschränkungen durch ein neues Gesetz hinzukommen.
Welches?
Ein Gesetz, das angeblich der Bekämpfung von illegaler Einflussnahme dienen
soll. Wenn es in Kraft tritt, kann die Regierung Straftatbestände auf der
Grundlage allein von Interpretationen und Unterstellungen behaupten,
abstrakte Anschuldigungen, die nur auf Deutungen und Annahmen beruhen.
Welche Rolle spielen dabei die Social Media in der Türkei?
Auf den Social-Media-Plattformen gibt es sogenannte Trolle, die wohl von
der Regierung bezahlt werden, es gibt gefälschte Konten. Die starten dort
Kampagnen gegen Medienbeiträge, aufgrund derer dann ein Staatsanwalt kommt
und sagt: „Die Veröffentlichung hat die religiösen Gefühle der Menschen
beleidigt.“ Also reicht er Klage ein, und dann verhängt ein Einzelrichter
eine Haftstrafe gegen Sie. Das ist ein Dreieck des Bösen, gegen das wir
kämpfen, um das Gesetz noch zu verhindern.
Gibt es für Sie Hoffnung in diesem Kampf?
Die Umwandlung der Türkei in ein Land wie den Iran oder Saudi-Arabien ist
ein großer Verlust für die demokratischen Kräfte der Welt. Bislang hat der
Westen zugelassen und sogar gefördert, dass ein großes Land wie die Türkei
kleinen imperialistischen Interessen geopfert wird. Ich denke, dass die
Kommunalwahlen vom 31. März dieses Schicksal und auch diese
Gesetzesinitiative ändern werden.
Wie bewerten Sie denn die Ergebnisse dieser Kommunalwahlen?
Die bedeuten, dass es in der Türkei eine große Bereitschaft zu Aufklärung
und Modernisierung gibt – eine Bereitschaft für eine säkulare und
demokratisch-republikanische Revolution. In dieser großen islamischen Welt
ist die Türkei das einzige Land, das das Mittelalter schon einmal
überwunden hat. Und natürlich ist die Stimmung in der Türkei optimistisch,
es herrscht eine demokratische Atmosphäre. Das ist das Ergebnis der Wahlen
vom 31. März. Aber nur, wenn wir als Gemeinschaft einen wirksamen Kampf
führen, für den Wiederaufbau eines demokratischen Regimes, das auf Vernunft
und Wissenschaft basiert. Also ich habe Hoffnung.
30 May 2024
## AUTOREN
Derya Türkmen
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