# taz.de -- Yael Bartana in der Weserburg Bremen: Ein bisschen Trost gibt’s d… | |
> Yael Bartana schaut skeptisch auf die Heilsversprechen der Kunst. Für | |
> ihre Ausstellung in Bremen inszenierte sie dennoch eine utopische | |
> Begegnung. | |
Bild: Alternative Etymologien: Yael Bartana „Crisis – Crysis – Crycis“,… | |
Genießen lässt sich Yael Bartanas Kunst nicht. Auch wenn sie in ihren Film- | |
und Videoarbeiten ausgiebig neoromantisch-schwelgerische Bildwelten nutzt – | |
ein Medley aus sagen wir mal Richard Wagner, Leni Riefenstahl und Peter | |
Jackson –, in denen es sich Teile der gegenwärtigen Kulturpflege doch recht | |
behaglich eingerichtet haben: Um sich der Verführungskraft dieser auf | |
Überwältigung zielenden Bildproduktion lustvoll hinzugeben, ist ja nichts | |
weiter nötig, als ihre Teilhabe am Schlimmsten auszublenden. | |
Die in Berlin lebende israelische Künstlerin Bartana macht sie im | |
Gegenteil, spielverderberisch, zum Greifen deutlich – vor drei Jahren im | |
Jüdischen Museum Berlin, [1][aktuell im Deutschen Pavillon der Biennale di | |
Venezia]. Und jetzt auch in Bremen: Am Freitag hat im Weserburg Museum die | |
Ausstellung „Utopia Now!“ eröffnet. | |
Gezeigt werden dort zwar nur vier Film- und Video- sowie drei | |
Neoninstallationen. Und doch zwingt der Besuch dazu, sich danach erst | |
einmal ein stilles Plätzchen am Ufer zu suchen. Einmal, um sich von der | |
Kakofonie zu erholen, zu der die Sounds der Bewegtbildarbeiten in der | |
Ausstellung zusammenfließen. | |
Zum anderen, um sich zu sammeln und zu kapieren: Die Verstörung, die diese | |
Kunst auslöst, liegt nicht in ihren Bildern, noch nicht einmal im Auge, | |
sondern im Unbewussten des Betrachters. Wer das übersieht, dem bleibt nur, | |
sie in hilfloser moralischer Empörung als [2][pornografisch und naiv | |
zugleich zu verurteilen], wie das bei der Berliner Ausstellung „Redemption | |
Now“ geschehen ist, auf die Bartana in Bremen schon im Titel verweist. | |
Pathos kippt ins Lächerliche | |
Genau besehen erweisen sich Bartanas Arbeiten jedoch als gestalterisch | |
virtuos und kunsthistorisch bestens informiert. Noch in der weihevollsten | |
Stimmung, die gerade die großen Videos aufbauen, lauert stets auch ihr | |
Gegenteil. Das Pathos kippt in der Übertreibung ins Lächerliche. Das | |
Erlösungsgeschehen schlägt in slapstickhafte, gallige Komik um. | |
Auch in Bremen präsent ist das monumentale Video „Malka Germania“, in dem | |
eine erzblonde, androgyne Messiasfigur, sekundiert von Soldaten, Berlin | |
erobert. Die Dreikanalarbeit wurde dort 2021 wegen der Schlusssequenz | |
skandalisiert. Darin erhebt sich statt des Himmlischen Jerusalems Albert | |
Speers Modell der Welthauptstadt Germania aus den Fluten – natürlich – des | |
Wannsees: ein schroffer Witz, der zugleich daran erinnert, dass der | |
Unterschied zwischen Erlösung und Menschheitsverbrechen nur zwei Buchstaben | |
ausmacht. | |
Leichter fassbar, weniger verstörend tritt Bartanas tiefe Skepsis in den | |
Neoninstallationen in Erscheinung, allen voran in der für Bremen | |
entstandenen Titelarbeit „Utopia Now!“: Das Versprechen jeder Utopie ist | |
weitaus unkonkreter als eine behauptete Erlösung. | |
Es ist vielleicht das, was bleibt angesichts von Terror und Gegenterror | |
seit dem 7. Oktober. Der aus dünnen Leuchtstoffröhren gebildete Schriftzug | |
jedenfalls kippt wenig verlässlich nach rechts in die Horizontale. | |
Die Utopie ist eine Täuschung | |
Faszinierend ist der Effekt, den sein beißend rotes Licht im Zusammenspiel | |
mit dem auf die Wand in Schwarz aufgemalten Umriss der Buchstaben erzeugt. | |
Die Farbe verliert ihre Bestimmtheit, der Slogan wirkt, als bestünde er aus | |
überdimensionierten, in Edelstahl geformten Russisch-Brot-Buchstaben. | |
Selbst den Traum vom paradiesisch befriedeten Irgendwo gibt’s nur als | |
optische Täuschung. | |
Und doch: Rührend hoffnungsvoll wirkt die große Einkanalarbeit der | |
Musikvideoinstallation „Mir Zaynen Do!“, die in Bremen ihre Uraufführung | |
erlebt. Der Titel ist Jiddisch und lässt sich als ein trotziges „Wir sind | |
hier!“ verstehen. | |
Im und für den Film hat Bartana den 1946 von jüdischen Immigrant*innen | |
aus Europa in São Paolo gegründeten Coral Tradição zusammengebracht mit | |
dem Straßenmusikensemble [3][Ilú Obá De Min]. Das besteht ganz aus | |
Nachfahr*innen [4][von Maroons]. Diese der Versklavung entronnenen | |
Aufständischen wurden von den Plantagenbesitzern erbarmungslos gejagt. | |
Es entsteht Gemeinschaft | |
Vorsichtig wird, Schritt für Schritt, die Begegnung von Überlebenden der | |
Schoah und der Kolonialverbrechen im Bild der mehr und mehr sich füllenden | |
Bühne des Teatro de Arte Israelita Brasileiro in Szene gesetzt. Tastend, | |
neugierig und ohne Preisgabe des je Eigenen, ein optisches und akustisches | |
Crescendo über elfeinhalb Minuten, entsteht Gemeinschaft. | |
Den Anfang dieser Erzählung im dunklen Raum markiert aber der einsame | |
Auftritt der Chorleiterin [5][Hugueta Sendacz]. Die 97-Jährige, in Polen | |
geboren, steht da, drahtig, ganz allein am Dirigierpult, und gibt | |
nachsichtig lächelnd mit außerordentlich bestimmten Gesten Einsätze. | |
Erst später wird klar werden: Sie dirigiert keinen Geisterchor. Die | |
Melodien erklingen. Und die Musiker*innen leben, obwohl die Tatsache | |
ihrer schieren Existenz an ein Wunder grenzt. Hier wird niemand erlöst. Das | |
Eigene bleibt bestehen. Und gerade darum gelingt in der flüchtigen | |
Begegnung durch Kunst ein Moment der Heilung und des Trosts. Schlimm genug, | |
dass es Fiktion bleibt und Utopie heißen muss. | |
26 May 2024 | |
## LINKS | |
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[2] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/juedisches-mus… | |
[3] https://www.iluobademin.com.br/ | |
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Maroons | |
[5] https://www.yiddishbookcenter.org/collections/oral-histories/interviews/woh… | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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