# taz.de -- Die „Münchner Geschichten“ zum 50.: Ois anders | |
> Vor einem halben Jahrhundert liefen zum ersten Mal Helmut Dietls | |
> „Münchner Geschichten“ im Fernsehen. Ein neues Genre war geboren. | |
Bild: Tscharli (Günther Maria Halmer) und Oma Häusler (Therese Giehse) | |
„Schee war’s.“ – „Schee war’s scho.“ – „So schee war’s übe… | |
„So is des im Lebn. Zuerst is schee, und dann is auf oamoi ois vorbei.“ – | |
„Genau.“ Es sind diese Dialoge, die gar nicht anders können als im | |
Gedächtnis haften zu bleiben, zumindest dem gemeinen Münchner, und wenn’s | |
denn sein muss, können wir es auch noch näher eingrenzen, sagen wir also: | |
dem irgendwann nach dem Krieg und vor dem Mauerfall geborenen Münchner. | |
Es sind Dialoge, die aus den „Münchner Geschichten“ stammen und die die | |
[1][„Münchner Geschichten“] erst zu den „Münchner Geschichten“ machen, | |
ihnen diese ganz besondere Handschrift geben; es ist [2][die Handschrift | |
Helmut Dietls], die ein Lebensgefühl transportiert, an das sich noch heute | |
Münchnerinnen und Münchner zu erinnern vermeinen – ganz gleich, ob sie es | |
tatsächlich je erlebt haben. Aber was spielt schon für eine Rolle, was | |
wirklich war und was sich nur im Kopf abspielte? Hauptsache ist doch, dass | |
es schee war. | |
Oder dieser kleine Wortwechsel, in dem der Herr Eder, der ewige Querulant | |
aus dem Haus, in dem auch die Oma Häusler lebt, einem Polizisten erklärt, | |
dass er ihn nicht anzufassen habe: „Oglangt ham S’mi, des derfn Sie gar | |
net. Da kenn i mi aus. Sie ham mi überhaupt nicht zum Berühren.“ Ein | |
Vorwurf, den der Polizeibeamte so nicht stehen lassen will: „Erstens mal | |
hob i Sie net berührt, und oglangt hob i Sie scho zwoamoi net, gell? Und | |
das ist eine Behauptung, was Sie da feststellen.“ | |
Man könnte gerade so weitermachen, mit Zitaten um sich werfen – so, wie man | |
das in München noch heute gerne tut: Dann ist halt, logisch, ois Chicago. | |
Und natürlich gehörten dann auch Tscharlis Ausführungen beim | |
Vorstellungsgespräch dazu, warum er keine Mittlere Reife habe. Eine Reife | |
sei ja nichts, was man in Zahlen ausdrücken könne. Jedenfalls nicht bei | |
einem Menschen, bei einem Käse sei das vielleicht etwas anderes. Und wenn, | |
dann habe er mit seinen siebeneinhalb Jahren höherer Schulbildung schon | |
mindestens eine Dreiviertelreife. | |
## Showdown am Siegestor | |
Daneben gibt es natürlich auch die wortlosen Szenen, Momente der | |
bayerischen Fernsehgeschichte, die legendär wurden. Allen voran natürlich | |
jener Showdown in der Folge „Der lange Weg nach Sacramento“, in dem | |
Tscharli mit seinen Spezln Gustl und Ahmed alias Zorro, Gringo und Zapata | |
auf drei „geliehenen“ Pferden auf der Ludwigstraße Richtung Siegestor | |
reitet – und ihnen drei berittene Polizisten entgegenkommen. | |
Jetzt feiern die „Münchner Geschichten“, dieses Stück kollektives Münchn… | |
Kulturgut, Geburtstag. Im Jahr 1974 wurde die neunteilige Serie zum ersten | |
Mal ausgestrahlt. Es war zwar gegen Ende des Jahres, der 26. November, als | |
die erste Folge im Fernsehen lief, aber der Bayerische Rundfunk begeht das | |
50. Jubiläum nun schon ab dem 26. Mai mit einer Wiederholung der Serie. So | |
genau lässt sich das Geburtsdatum einer Fernsehproduktion ja ohnehin nicht | |
feststellen. Das ist wie mit der Dreiviertelreife. Feiern also auch wir den | |
neunundvierzigeinhalbten Geburtstag. Außerdem steht ja auch der 22. Juni | |
vor der Tür; da wäre Helmut Dietl 80 Jahre alt geworden. | |
Und auch diese Information haben wir ausgegraben: 300 Jahre wird der | |
Münchner Stadtteil Lehel in diesem Jahr alt, wenn man die Eingemeindung als | |
Geburtsdatum zugrundelegt. Das Lehel, genauer noch: die St.-Anna-Vorstadt, | |
zwischen Isar, Chinesischem Turm und Maxmonument gelegen, ist die | |
eigentliche Protagonistin der Serie. Eine tragische Protagonistin. Denn so | |
humorvoll die Geschichten daherkommen, so tief traurig ist das Ganze | |
eigentlich. Es geht um Gentrifizierung zu einer Zeit, als dieses Wort noch | |
keiner kannte, aber die Abrissbirnen nicht weniger effektiv zuschlugen. Es | |
geht um den Niedergang des Lehels. Pars pro toto, versteht sich. | |
Mittendrin, in der Tattenbachstraße, wohnen – noch – die Häuslers, der | |
Tscharli und seine Oma. Beide sind sie von Dietl genial wie mutig besetzt: | |
Günther Maria Halmer gehörte damals zum Nachwuchs im Ensemble der Münchner | |
Kammerspiele, dem Fernsehpublikum war er gänzlich unbekannt. Und Therese | |
Giehse, selbst im Lehel gebürtig und wohnhaft, war zwar eine große, | |
bewunderte Theaterschauspielerin, doch in einer Fernsehserie hatte auch sie | |
noch nie gespielt. | |
## Wider den weißblauen Quatsch | |
Unterstützt werden die beiden durch eine ebenso stimmig besetzte | |
Darstellerriege, darunter Towje Kleiner, Michaela May, Ruth Drexel, | |
[3][Karl Obermayr] und Hans Brenner. Gustl Bayrhammer, der wenige Jahre | |
später in einer kleinen Werkstatt zwei Straßen weiter [4][den netten | |
Schreinermeister Eder] spielen wird, gibt hier die [5][personifizierte | |
Gentrifizierung], den gescherten Immobilienbesitzer Fischhuber, der sein | |
altes Haus entmieten und zu Gold machen will. | |
Es ist der Beginn einer Ära, den die Erstausstrahlung der „Münchner | |
Geschichten“ markiert: der Ära der anspruchsvollen Vorabendserie, für die | |
dann später neben Dietl selbst vor allem der Name Franz Xaver Bogner stehen | |
wird. | |
Zunächst war es eine Auftragsarbeit, die Dietl da abzuliefern hatte. Heute | |
wäre so etwas unvorstellbar: Dietl hatte noch nie etwas Größeres | |
inszeniert, und trotzdem ließ man ihn machen. Ein neues Format sollte her, | |
bayerisch, aber irgendwie dann doch anders als die Vorabendserien, die man | |
bisher kannte. So viele waren es ja nicht: „Funkstreife Isar 12“ oder „Die | |
seltsamen Methoden des Franz Josef Wanninger“ hießen sie und boten | |
unterhaltsame Kurzkrimis. Was Dietl nun schuf, schlug aus der Art. Von da | |
an war „ois anders“, um mal eben den Titel der letzten Folge mutwillig | |
zweckzuentfremden. | |
Es ist auch ein neues Bayern-Bild, das hier gezeichnet wird. „Es war, als | |
wären die Leute unendlich dankbar dafür“, schreibt Dietl-Biograph Claudius | |
Seidl, „dass Dietl ein München inszeniert hatte, zu dem man sich bekennen | |
konnte“ – ein München „ohne den folkoristischen Überdruck, ohne | |
Mia-san-mia-Behäbigkeit, ohne den ganzen weißblauen Quatsch“. | |
## Die Suche nach der „Riesensach“ | |
Der Tscharli ist eines, das erste der Alter Egos des Regisseurs, die seine | |
Serien tragen. Sie sind zwar unterschiedlich, aber eben doch immer auch | |
Dietl; später werden dem Tscharli der Stadtneurotiker Maximilian Glanz | |
(„Der ganz normale Wahnsinn“), der Stenz Franz Münchinger („Monaco Franz… | |
und der Klatschreporter Baby Schimmerlos („Kir Royal“) folgen. | |
Der Tscharli – nur seine Oma nennt ihn Karl, mit diesem wundervoll | |
gerollten R – ist ein Hallodri, ein Springinkerl. „Ziel ist scheiße, Ziel | |
macht unfrei“, sagt er, und entsprechend ziellos streift er durch sein | |
München. Ihm imponieren die jungen halbseidenen Typen, die es in der | |
damaligen Goldgräberstimmung schnell zu etwas gebracht haben, nicht selten | |
auf Kosten anderer („Die muass ma megn, sonst mog ma se gar net.“). | |
Auch Tscharli sucht den schnellen Aufstieg, wittert schnell die | |
„Riesensach“, heckt immer wieder neue Ideen aus, denkt sich neue Wege zum | |
Erfolg aus: den Jeansladen, die Kleinkunstagentur, die Baustellenkantine, | |
die Negativwerbung im Reisebüro, sogar auf vermeintlich sichere | |
Pferdewetten lässt er sich ein. Einmal ist er kurz davor, seine Oma in ein | |
Ein-Zimmer-Appartment draußen in Neuperlach abzuschieben, um ihre | |
Altbauwohnung gewinnbringend unterzuvermieten. Funktionieren tun die Pläne | |
dieses fürchterlich nervigen und doch liebenswerten Aufschneiders freilich | |
nie. Einzig seine Oma verliert dennoch nie den Glauben an ihren Karl. Der | |
könne schon was, wenn er wolle, meint sie. „Er müsste einfach öfter | |
wollen.“ | |
Tut er aber nicht. Sonst würde er ja noch so enden wie der Gustl in seiner | |
Versicherung, der Ahmed in seinem Taxi oder die Hillermeiers in ihrer | |
Wirtschaft, dem St.-Anna-Eck. Und wenn dann mal was läuft, wie der Laden, | |
den er mit seiner Freundin, der Susi, eröffnet hat, dann schmeißt er hin, | |
packt sein Badezeug und geht zum Baden an die Isar. Weil ein Geschäft | |
nichts ist für einen wie ihn, für „einen Menschen mit einer empfindlichen | |
Sensibilität“. | |
Was für so einen am Ende bleibt, wenn die letzten Bewohner aus dem Haus in | |
der Tattenbachstraße ausgezogen sind, wenn die Oma im Altersheim ist, die | |
Susi einen Neuen hat und der Gustl seine Abende nur noch mit der Freundin | |
verbringt, das lässt die Serie offen. Aber: Schee war’s. | |
24 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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