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# taz.de -- Serie „Lady in the Lake“: Wer erzählt hier was
> In „Lady in the Lake“ gerät der Kriminalfall in den Hintergrund.
> Konfrontiert wird eine Journalistin indes mit medienethischen Fragen.
Bild: Journalistin Maddie (Natalie Portman) wird von der Stimme einer Toten ver…
Maddie Schwartz (Natalie Portman) und Cleo Johnson (Moses Ingram) leben im
Baltimore der 1960er Jahre in verschiedenen Welten. Maddie ist
Familienmutter der Upperclass und versucht, den religiösen Ansprüchen ihres
Ehemanns gerecht zu werden. Cleo ist Schwarz und finanziert mit Barjobs in
Baltimore ihre zwei Söhne, einer davon todkrank, und ihren gutmütigen, aber
arbeitsscheuen Ehemann. In „Lady in the Lake“ von Regisseurin Alma Har’els
nach der Buchvorlage von Laura Lippman verschmelzen die Leben der beiden
Frauen auf nervenaufreibende Weise.
An einem Vorweihnachtsabend 1966 verschwindet ein jüdisches Mädchen. Der
Vorfall wird zur Zäsur für das Leben von Maddie, führt zum Ausbruch aus Ehe
und Bürgerlichkeit und zum Wiedererwachen ihrer journalistischen
Ambitionen, die sie als junge Frau hegte und dem Familienleben opferte. „Du
wolltest nie etwas anderes“, wirft ihr Ehemann ihr vor. „Ich habe nie etwas
anderes probiert“, erwidert Maddie, als sie ihre Koffer packt und nach
Verlassen der Wohnung nicht mehr zurückblickt.
Ihre Recherche führt sie [1][ins Schwarze Baltimore] und damit in für sie
völlig neue Lebensrealitäten. Als Cleo stirbt, wird Maddie besessen davon,
ihre Geschichte zu erzählen – und damit beginnt neben aller gekonnt
konstruierten Kriminalspannung die sich durchziehende Leitfrage dieser
Serie: Wer darf wessen Geschichte erzählen?
„Wenn du tot bist, bist du niemandes Frau mehr, niemandes Tochter,
niemandes Mutter. Niemand sagt dir mehr, wie du zu leben hast“, erklingt
die friedliche Stimme der toten Cleo aus dem Off. Sie fühlt sich in ihrer
Totenruhe belästigt von Maddies journalistischem Ehrgeiz, dem kein Preis zu
hoch für eine Titelgeschichte mit ihrem Namen ist. So ungewöhnlich die
Erzählstimme, so pointiert die Kritik: „Du willst jede Geschichte
erzählen außer deine eigene. Mir ging es gut, als ich tot war. Aber du
musstest mich wieder ans Licht zerren.“ [2][Wem gehören Geschichten?] Wer
hat ein Recht darauf, sie zu erzählen? Wann ist Berichterstattung
Ausbeutung und wann notwendig – vor allem wenn eine weiße Journalistin die
Geschichte einer Schwarzen erzählt ([3][„The Help“ und White Saviorism
lassen grüßen]).
Einmal fragt das anfangs verschwundene Mädchen sie, wann Maddie endlich
ihre Geschichte verfasst, und Maddie antwortet: „Sie ist nicht spannend
genug. Anne Frank hatte es viel schwerer.“ Ein andermal gebärt sie unter
Schmerzen und Schreien ihren großen Erfolgstext und versteht, dass sie
diesen Text, ihr metaphorisches Kind, natürlich nicht allein zur Welt
bringen kann. Sie ist auf das Leid derer angewiesen, über die sie
berichtet.
## Stellvertretende Traumatherapie
Es ist nicht nur Maddies Ego, das zur Aneignung von fremden Geschichten
führt. Es sind auch Gründe der Vergangenheitsbewältigung, das Überwinden
von eigenen Ohnmachtserfahrungen durch das Offenlegen fremder Geschichten,
sozusagen eine stellvertretende Traumatherapie. All das legt Cleo in ihren
ruhigen Appellen aus dem Off dar, und Maddie weiß, dass sie Recht hat. Die
Erzählstimme einer Toten, die bewertet, wie sie die Berichterstattung über
sich selbst empfindet, funktioniert in dieser Serie ganz hervorragend.
„Lady in the Lake“ zeigt wieder einmal: Wer schreibt, besitzt
Deutungshoheit. Wer beschrieben wird, ist Objekt und auf eine angemessene
Darstellung angewiesen. Die Verantwortung von Journalismus besonders in der
Berichterstattung über die, die sie nicht korrigieren können, wirkt nach.
„Lady in the Lake“ bietet eine exzeptionelle Darstellung von ethischen
Fragen der Presse und der Fürsprache. Dazu kommen ein fulminanter
Kriminalfall mit ausladendem, dramatischem Spannungsbogen und ein
symbolgeladenes Verweben von Religion mit Weiblichkeit, Emanzipation und
Schuld. Das Opferlamm wird zum Leitmotiv beider Frauenleben. Die Serie
liefert in diesem Diskurs eine Stimme, die nie gehört werden kann – die der
Toten- und damit eine intelligente, surreale Perspektive auf das Recht an
der eigenen Geschichte.
21 Jul 2024
## LINKS
[1] /Unruhen-von-Baltimore/!5010170
[2] /Der-Fall-Claas-Relotius-und-Journalismus/!5557396
[3] /Film-The-Help/!5105894
## AUTOREN
Marie-Sofia Trautmann
## TAGS
Serien-Guide
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Krimi
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Gastronomie
Helmut Dietl
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