# taz.de -- Neue Biografie von Karl Obermayr: Kein Mensch hinter der Rolle | |
> Karl Obermayr war Volksschauspieler und verkörperte bodenständige Typen. | |
> Wer er wirklich war, interessierte kaum. Am 4. April würde er 90 Jahre | |
> alt. | |
Bild: H. Bauriedel (K. Obermayer) träumt mit Lisa (E. Fuchs) in Komödie „Kl… | |
„Früah sperr ma auf. Und auf d’Nacht sperr ma zua. Und na sperr ma wieder | |
auf und na sperr ma wieder zua.“ So ist es eben normalerweise, das Leben | |
eines Wirts. Um neun Uhr geht es los mit der Arbeit, nur sonntags beginnt | |
die Arbeit in der Gaststube eine Stunde später. | |
Der da im Jahr 1975 so schön drüber philosophiert hat, das war Erwin | |
Hillermeier, seines Zeichens Wirt des St.-Anna-Ecks in München. Eine, wie | |
man damals gesagt hat, blitzsaubere Tochter hatte er. Susi hat die geheißen | |
und war die Freundin vom Tscharlie, um den sich die „Münchner Geschichten“ | |
gedreht haben, die Serie des in München beinahe schon kultisch verehrten | |
Regisseurs Helmut Dietl. | |
Dem Hillermeier war das schlamperte Verhältnis nicht unbedingt recht, aber | |
so richtig dagegen unternommen hat er auch nichts. Wahrscheinlich weil das | |
Leben sowieso so daherkommt, wie es eben kommt. Gespielt wurde der | |
Hillermeier in der Serie von Karl Obermayr, einem jener großen Mimen | |
bayerischer Mundart, denen die Geschichte [1][das Etikett | |
„Volksschauspieler“ aufgepappt hat]. | |
Am 4. April würde Obermayr 90 Jahre alt, wenn er nicht schon 1985 im Alter | |
54 Jahren mit einem Hirntumor verstorben wäre. Eine neue Biografie von | |
Roland Ernst schaut ein wenig genauer hin, wie aus Karl Obermayr der | |
geworden ist, an den sich so viele so gerne erinnern. Obermayr selbst hat | |
einmal gesagt: „Ich werde als Volksschauspieler apostrophiert. Ich habe | |
nichts dagegen, aber ich weiß nur nicht genau, warum.“ Ernst stellt diese | |
Sätze seiner Biografie voran. Gute Frage, die Obermayr da hinterlassen hat. | |
Wie wird man eigentlich Volksschauspieler? | |
## Es gab viel Normalität | |
Klar, da ist der Dialekt. Das Bairische hat Obermayr geerdet. Und hat dazu | |
geführt, dass er nicht als Schauspieler wahrgenommen worden ist, sondern | |
immer als derjenige, den er gerade gespielt hat. Es waren meist schlecht | |
gelaunte Menschen, die nicht lächeln wollten, wenn es ihnen nicht danach | |
zumute war. | |
Hausmeister, die wissen, dass ihr Leben eigentlich eine Zumutung war, ihre | |
Mitmenschen drangsaliert haben und doch nicht völlig herzlos wirken. Oder | |
Polizeibeamte, die zwar ihre Arbeit machen, darüber bisweilen die Freizeit | |
vergessen, aber nie richtig fleißig sind. | |
Weil das Leben für solche Leute kein Spaß ist, sollen ruhig die anderen | |
sehen, dass es nicht witzig ist. Grantig schauen, ja, das konnte Obermayr. | |
Besser: das konnten die, die Obermayr gespielt hat. Dass so ein | |
Grantlhauer, was man vielleicht der allgemeinen Verständlichkeit halber mit | |
Miesepeter übersetzen könnte, zu einer wahren Kultfigur in München werden | |
konnte, mag etwas über die Stadt sagen, wie sie zu Obermayrs großen Zeiten | |
war. | |
In den frühen 80ern war die Stadt grauer als heute. Und es gab viel | |
Normalität. Vom Ende dieser Normalität [2][erzählen Helmut Dietls Serien]. | |
In den „Münchner Geschichten“ geht es schon 1975 um die Vertreibung der | |
alteingesessenen Bevölkerung aus den alten Vierteln in der Innenstadt. Das | |
Wort Gentrifizierung kannte seinerzeit noch niemand. Im „Monaco Franze“, | |
der 1983 zur bundesweiten Ausstrahlung gekommen ist, wird eine | |
Abschiedshymne auf den Münchner Stenz gesungen. | |
## „Geh, Franze!“ | |
Ein Mann hätte wahrscheinlich schon damals keine fremde Frau zum Zwecke der | |
Kontaktanbahnung mit den Worten „Sie, Fräulein!“ mehr angesprochen. Dass | |
Monaco Franze das noch einmal vor großem Fernsehpublikum getan hat, hat für | |
die widerwillig gezähmten Mannsbilder jener Zeit Erinnerungen an eine | |
vermeintlich gute alte Welt erzeugt. | |
Auch wenn sie selbst nie so auftreten hätten können wie der in die Jahre | |
gekommene Aufreißer, der sich vom Glasscherbenviertel in die Hautevolee | |
hochgeschlafen hat, so haben sie ihn vielleicht mit den Augen von Manfred | |
Kopfeck betrachtet. Das war der Kollege und Freund vom Monaco, der ihm die | |
Treue gehalten hat. Der ihn bewundert hat: „A Hund bist scho!“. | |
Und der verzweifelt ist an den Eskapaden seines Freundes: „Geh, Franze!“ | |
Und das hat Obermayr mit einer Behäbigkeit ausgestattet, die es im immer | |
schneller werdenden München auch in den 1980er Jahren eigentlich schon | |
nicht mehr gegeben hat. Vielleicht ist es so: Wer darstellen kann, wie die | |
gute alte Zeit war, wer in der neuen Zeit wie aus der Zeit gefallen wirkt, | |
der hat das Zeug zum Volksschauspieler | |
Wahrgenommen wird er dann nur über seine Rollen. Als Schauspieler nun | |
wahrlich nicht. Das würde auch nicht passen. Ein Künstlerleben, wie es | |
Obermayr geführt hat, ist des Volkes Sache gewiss nicht. Schon als ganz | |
junger Mann strebte Obermayr zur Schauspielerei, die seine Mutter, so steht | |
es bei Roland Ernst, nur „Schauspinnerei“ genannt hat. Buchdrucker hat er | |
gelernt und nebenbei Schauspielunterricht genommen. | |
## Schwul kann er nicht sein | |
Als er genug Geld vor allem durch Aufträge des Bayerischen Rundfunks als | |
Sprecher verdiente, setzte er ganz auf die darstellende Kunst. | |
Nebenröllchen in Serien und Filmen, ein kurzes Engagement in einem Theater | |
in Kleve und einen Platz im Ensemble des Hamburger Schauspielhauses würde | |
kaum jemand mit dem Mann in Verbindung bringen, der im Matrosenkostüm den | |
als Herr der sieben Meere verkleideten Monaco durch den armseligen Münchner | |
Fasching begleitet. Ein Volksschauspieler ist irgendwann der, den er | |
spielt. Der Mensch dahinter wird vergessen. | |
Das kann praktisch sein. Wenn man ein Nazi war zum Beispiel. Alte Bayern | |
schwärmen bisweilen von den spitzbübischen Auftritten, die Ludwig | |
Schmid-Wildy im einst so beliebten Komödienstadl hingelegt hat. Das Leben | |
in den Bauernstuben, in denen Landwirte, die nebeneinander wohnen und | |
einander nicht riechen können, um die Mitgift einer Tochter feilschen, war | |
so heiter, dass man im Nachkriegsbayern besonders schnell vergessen hat, | |
wie [3][in München die Bewegung ihren Lauf] genommen hat, die Unheil über | |
ganz Europa bringen sollte. Dabei hat es einer wie Schmid-Wildy ganz genau | |
gewusst. | |
Mit dem SA-Führer und Nazi-Schriftsteller Hans Zöberlein drehte er die | |
unappetitlichsten Propagandafilme, weswegen er nach dem Krieg sogar ein | |
paar Jahre Berufsverbot erteilt bekam. In Erinnerung geblieben ist er als | |
in die Jahre gekommener Lausbub. Ein Volksschauspieler ist doch kein | |
Verbrecher. | |
Schwul kann er auch nicht sein. Walter Sedlmayr jedenfalls konnte es nicht. | |
Auch an den denken viele mit einem Lächeln im Gesicht und erinnern sich an | |
seine Rolle als Kommissar Schöninger in der Vorabendserie | |
„Polizeiinspektion 1“. Der ist vielen in Erinnerung geblieben als treuer, | |
nicht immer netter, aber irgendwie doch liebender Familienvater, der seine | |
Frau beim täglichen Anruf vom Büro nach Hause immer fragt: „Mama, was | |
gibt’s denn heut zum Essen?“ | |
Vor 30 Jahren fand man ihn ermordet in seiner Wohnung. Dass er sich | |
regelmäßig Stricher in seine Schwabinger Wohnung bestellt hat, wusste die | |
Münchner Lokalpresse bald aus Ermittlerkreisen, auch von seiner Vorliebe | |
für Sadomaso-Sex. Als Volksschauspieler wird er immer noch verehrt, als | |
Mann, der seine Frau Mama nennt. Schwul ist er in der Erinnerung immer noch | |
nicht. | |
## Wenn Karl plötzlich Yusuf heißt | |
Dass Karl Obermayr Frau und Kinder hatte, dürften die wenigsten wissen, und | |
wenn die Recherchen von Roland Ernst im Kollegenkreis zutage fördern, dass | |
Bayerns beliebtester Grantler ein umgänglicher Mensch gewesen sein soll, | |
der akribisch an seinen Rollen gearbeitet hat, dann wird das auch nichts | |
ändern am Bild, das sich vom Volksschauspieler Obermayr verfestigt hat. | |
Ob es so einen wie ihn noch einmal geben wird? Überhaupt einen | |
Volksschauspieler? Vielleicht gibt es ihn schon in Lansing, jenem | |
bayerischen Musterdorf, in dem die Seifenoper „Dahoam is dahoam“ ein Leben | |
vorspielt, wie es sich die CSU hätte ausdenken können. Oder in Hindafing, | |
wo Andreas Giebel einen Großschlachter so spielt, dass man sich ihn kaum | |
noch ohne blutige Schürze vorstellen kann. | |
Vielleicht macht er sich gerade vom Münchner Norden aus auf den Weg in die | |
bayerischen Wohnzimmer, wird Yanis oder Yusuf genannt und zeigt ein Stück | |
diverse Normalität, das leider noch häufig ausgeblendet wird, wenn im | |
München von anno dazumal geschwelgt wird | |
In diesem war Karl Obermayr zu Hause. Er hatte seine Zeit und stand schon | |
zu seiner Zeit für Vergangenes. Wer Manni Kopfeck heute sieht, reist ins | |
Vorgestern. Mit Obermayr als Reiseleiter kann das sehr lehrreich sein. Ein | |
Vergnügen ist es sowieso. | |
4 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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