# taz.de -- Zukunft des deutschen Waldes: Für Buchen wird es schwer | |
> Vier Arten dominieren den deutschen Wald. Kränkeln sie, verschwindet er. | |
> Brauchen wir neue Bäume oder müssen wir erst mal alte Worte vergessen? | |
Bild: Im Wiesbadener Stadtwald wachsen Fichten und Douglasien. Letztere stammen… | |
Der deutsche Wald macht schlapp – und wir haben nicht mal mehr klare | |
Begriffe, mit denen wir ihn schützen könnten. 13 Einträge umfasst das | |
Glossar des Bundesamts für Naturschutz (BfN) zum Thema „gebietsfremde und | |
invasive Arten in Deutschland“. Als „einheimisch“ gelten „Pflanzen-, Pi… | |
bzw. Tierarten, die von Natur aus in Deutschland vorkommen bzw. seit der | |
letzten Eiszeit ohne Mitwirkung des Menschen eingewandert sind“. | |
„Gebietsfremd oder nichtheimisch“ ist, wer durch den Einfluss des Menschen | |
(beabsichtigt oder unbeabsichtigt) eingebracht wurde. | |
Pflanzen, die Menschen schon vor langer Zeit in die Region eingeführt haben | |
– etwa als sie mit dem Ackerbau begannen –, sind Archäobionten und gelten | |
quasi als heimisch. Wer nach der Landung der Europäer in Amerika 1492 | |
gekommen ist, heißt Neobiont und ist nicht heimisch. [1][„Invasive Arten“] | |
sind ebenfalls nicht heimisch und haben zudem unerwünschte Auswirkungen auf | |
die heimische Flora und Fauna. | |
Warum ist das wichtig? Auf diesen Begriffen fußen Gesetze und Vorschriften, | |
Förderrichtlinien und nicht zuletzt Vorstellungen davon, was das ist, ein | |
gesunder Wald. Von dem gibt es immer weniger in Deutschland. Dass sich vor | |
allem Eichen, Buchen, Fichten von den drei [2][Jahren der Dürre und Hitze] | |
2018, 2019 und 2020 nicht erholen konnten, zeigen sie in ihren Kronen. Sie | |
werden licht und lassen den Himmel durchscheinen. Fehlen den Bäumen in | |
ihrer Krone ein Viertel oder mehr ihrer Blätter oder Nadeln, sind sie | |
schwer krank. Sie wachsen langsamer, bilden weniger Wurzelmasse aus, sind | |
weniger standfest und können sich schlechter gegen Schädlinge wie den | |
Borkenkäfer wehren. Im schlimmsten Fall sterben sie ab. | |
Insgesamt ist in den Wäldern nur noch jede fünfte Fichte, Buche und Eiche | |
gesund, den Kiefern geht es nur etwas besser. Das teilt [3][der | |
Waldzustandsbericht des Bundeslandwirtschaftsministeriums] mit, der Anfang | |
dieser Woche veröffentlicht wurde. Dramatisch ist das, weil diese vier | |
Baumarten zwei Drittel des Waldes in Deutschland bilden. | |
Kränkeln Fichten, Kiefern, Eichen und Buchen, ist der Wald an sich in | |
Gefahr. Was uns zurück zum Glossar des BfN führt: Ist es Zeit, | |
Vorstellungen von „heimisch“ und „gebietsfremd“ aufzugeben, neue Bäume | |
anzupflanzen und so das zu retten, was wir „Wald“ nennen? | |
## Die Buche wird in höhere Regionen abwandern | |
„Mit statischen Leitbildern wie bisher werden wir immer weniger arbeiten | |
können“, sagt Anke Höltermann, Fachgebietsleiterin für Waldnaturschutz und | |
nachhaltige Waldbewirtschaftung im BfN, „Wir öffnen uns einer dynamischeren | |
Betrachtung.“ | |
Solch ein Satz aus den Reihen des selbstbewussten staatlichen Naturschutzes | |
zeigt, wie erschüttert nicht nur Förster und Waldbesitzer, sondern auch | |
Ökologen angesichts des Zustands des Waldes hierzulande sind. Deshalb fügt | |
die Forstwissenschaftlerin schnell hinzu: „Aber das darf nicht zu | |
Beliebigkeit führen.“ Man diskutiere das Thema im Hause intensiv und mit | |
offenem Ergebnis. „Ich glaube allerdings nicht, dass wir irgendwann eine | |
Positivliste herausgeben, mit einer Zahl von x nicht heimischen Baumarten, | |
deren Anbau wir empfehlen“, sagt Höltermann. | |
Genau solch eine Liste hätte Andreas Bolte gerne. Der Leiter des | |
Thünen-Instituts für Waldökosysteme in Eberswalde forscht seit Langem zu | |
Buchen und ist immer noch erstaunt, wie unerwartet sensibel diese Art auf | |
die Trockenheit und Hitze der vergangenen Jahre reagiert. Die Buche, ist er | |
sicher, wird in höhere Regionen abwandern, in die Mittelgebirge, dorthin, | |
wo Förster bisher Fichten pflanzten. | |
Den Platz der Buchen, etwa in Brandenburg, in Unterfranken, im | |
Rhein-Main-Gebiet könnten bislang nicht heimische Baumarten einnehmen, „die | |
schon bei uns anklopfen“, formuliert Bolte, etwa Zerr-Eichen oder | |
Orient-Buchen, die in den Höhenlagen des Kaukasus wachsen. Eine Liste mit | |
Bäumen, deren Eigenschaften und Verdrängungspotenzial umfassend geklärt | |
ist, wäre hilfreich, sagt er. | |
So einfach sei das nicht, antwortet Anke Höltermann. Auch sie dachte lange, | |
die Buche sei stabil. Warum sie mit dem Klimawandel schlechter klarkommt | |
als angenommen, „wissen wir gar nicht“, sagt sie. Es gebe noch so viele | |
offene Forschungsfragen zur Anpassungsfähigkeit heimischer Baumarten. „Wie | |
sollen wir da fremde Arten beurteilen, über die wir noch weniger | |
Erfahrungswissen haben?“ | |
## „Was heute heimisch ist, ist es in 50 Jahren nicht mehr“ | |
Höltermann setzt demgemäß erst einmal auf heimische Baumarten, die die | |
Förster bislang oft eher links liegen lassen, weil sie von der | |
Holzindustrie nicht nachgefragt werden: Winterlinde, Vogelkirsche, Birke, | |
Elsbeere oder Speierling zum Beispiel. Anders als das Holz von Nadelbäumen | |
wie Kiefer und Fichte ist das Holz dieser Laubbäume schwer zu verarbeiten | |
und in Sägewerken unbeliebter. | |
Vor allem Privatwaldbesitzer experimentieren deshalb aus Verzweiflung mit | |
Bäumen wie der Libanon-Zeder, der Sicheltanne aus Japan, der Robinie oder | |
der amerikanischen Roteiche. „Die können aber invasiv werden und stellen | |
dann eine Gefahr für die heimische Biodiversität dar“, sagt Anke | |
Höltermann, „Sie verdrängen Arten oder mischen sich mit ihnen, sie | |
verändern den Boden.“ Wo sie die Oberhand gewännen, fänden etwa Pilze, | |
Mikroorganismen, Insekten oder Vögel keinen natürlichen Lebensraum mehr. | |
„Ich kann verstehen, dass der Naturschutz keine Spielwiese will, in der | |
sich exotische Bäume ausbreiten und sich Ökosysteme verändern“, sagt | |
Andreas Bolte. Andererseits bräuchten Waldbesitzer auch Freiheiten, | |
alternative Baumarten und Managementkonzepte auszuprobieren. Die | |
Herausforderung für den Gesetzgeber sei, die Ansprüche beider | |
zusammenzubringen, sagt Bolte. | |
Gelingen muss der Bundesregierung dies im neuen Bundeswaldgesetz, das die | |
Ministerien derzeit beraten. Bekannt sind nur Entwürfe. Einer davon sieht | |
einen Anteil nicht heimischer, aber standortgerechter Baumarten von 49 | |
Prozent vor. Für Anke Höltermann ein Albtraum. | |
Andreas Bolte hingegen möchte mit den Begriffen am liebsten gar nicht mehr | |
arbeiten. „Was heute heimisch ist, ist es in 50 Jahren sehr wahrscheinlich | |
nicht mehr“, sagt er, „je nachdem, wie der Klimawandel in Mitteleuropa | |
zuschlägt.“ Wo in 50 Jahren im Sommer Temperaturen von 40 bis 45 Grad | |
Celsius herrschten, überlebe keine Buche mehr. Dann müsse man dort eben auf | |
Esskastanien oder Flaumeichen setzen. | |
## Veränderungen und Brüche im Wald | |
Die Herausforderung sei, den wahnsinnig schnellen Wandel in den Wäldern zu | |
managen. „Innerhalb des Lebenszyklus eines Baumes von 120 bis 150 Jahren | |
werden sich die Lebensbedingungen grundlegend verändern“, fürchtet der | |
Institutsleiter. Wir müssen die Möglichkeiten dafür schaffen, dass sich der | |
Wandel so vollziehen kann, dass Wald erhalten bleibt – und das gelinge nur | |
mit Vielfalt. „Das Problem ist ja nicht, dass die Fichten sterben“, sagt | |
Bolte, sondern die riesigen Reinbestände von Fichten. „Davon müssen wir | |
wegkommen, dass betrifft heimische und nicht heimische Arten.“ Auch ein | |
reiner Buchenwald sei in zukünftig trockenen Regionen gefährdet. | |
Natürlich werde sich der Wald verändern, sagt Sven Selbert, Referent für | |
Waldnaturschutz beim Umweltverband Nabu. „Das nicht anzuerkennen, würde ja | |
bedeuten, den Klimawandel zu leugnen.“ Aber die Forstwirtschaft sei anders | |
als der Ackerbau, wo Landwirte saisonweise mit Feldfrüchten experimentieren | |
könnten. | |
„Diesen Sommer mal Hirse statt Winterweizen“, so funktioniere der Wald mit | |
seinen [4][langen Entwicklungszyklen und komplexen Lebensgemeinschaften] | |
nicht, sagt Selbert. „Wir wissen nicht, in welcher Klimazukunft wir leben | |
werden, vielleicht kippt die Nordatlantik-Zirkulation und bei uns wird es | |
in 100 Jahren kälter als heute?“ Dann wäre die Fichte wieder eine Option, | |
und ein Wald aus Esskastanien eine Fehlinvestition. | |
Gerade wegen dieser Unwägbarkeiten sei es wichtig, einen Teil der | |
geschädigten Flächen sich selbst zu überlassen, sagt Anke Höltermann vom | |
BfN. „Beobachten wir doch, was kommt und sich durchsetzt.“ Vor allem aber, | |
betont Andreas Bolte aus Eberswalde, müsse nicht nur die Vielfalt im Wald | |
zunehmen, sondern auch die Vielfalt in der Debatte darüber. „Es bringt | |
nichts, wenn sich immer nur Naturschützer und Waldbesitzer duellieren“, | |
findet er. Es werde Veränderungen und Brüche geben im Wald, aber das sei | |
nicht sein Ende, sagt Bolte. „Wie er künftig aussehen soll, darüber müssen | |
wir alle nachdenken.“ | |
17 May 2024 | |
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[4] /Waldumbau-in-Deutschland/!5962709 | |
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Heike Holdinghausen | |
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