# taz.de -- Nabu-Chef Jörg Andreas Krüger: „Wir riskieren, den Wald zu verl… | |
> Deutschen Wäldern geht es schlecht. Um sie zu retten, müssen Waldbesitzer | |
> stärker in die Pflicht genommen werden, sagt Nabu-Chef Jörg Andreas | |
> Krüger. | |
Bild: Wir wollen Holz aus unseren Wäldern, aber es könne im Wald nicht mehr a… | |
taz: Herr Krüger, wie sieht der ideale Wald aus – lässt sich dort noch | |
wandern und Rad fahren, auch mal querfeldein? | |
Jörg Andreas Krüger: Querfeldein fahren hat seine Grenzen. Kann jeder | |
überall fahren, wird der Boden zu sehr belastet. Die Tiere brauchen | |
Rückzugsräume. | |
taz: Der grüne Bundeswaldminister Cem Özdemir will die Bewirtschaftung und | |
Freizeitnutzung der Wälder neu regeln. Die Bike-Branche warnte, im Wald | |
komme ein Radfahr-Verbot. | |
Krüger: Das bezog sich auf einen ersten nicht offiziellen Entwurf für | |
[1][das neue Bundeswaldgesetz]. Nach der jetzt offiziell vorgelegten | |
Version ist das Befahren des Waldes auf Wegen gestattet. Das ist auch | |
richtig. Wir Menschen brauchen den Wald zum Erholen, gegen Stress. | |
taz: Özdemir schafft die perfekte Mensch-Natur-Beziehung? | |
Krüger: [2][Er novelliert das Gesetz]. Das ist gut. Aber er bleibt bisher | |
leider zu allgemein. Er regelt nicht klar, was die Waldbesitzer tun müssen. | |
Da steht viel zu oft, sie „können“ und „sollten“. Sie können so weite… | |
Waldflächen mit Fichten aufforsten, die Hitze und Dürre in Zeiten des | |
Klimawandels nicht lange standhalten, und kassieren dafür womöglich noch | |
staatliche Fördergelder. | |
taz: Waldbesitzer sagen, sie wüssten ganz gut, welche Bäume die richtigen | |
seien. | |
Krüger: Der [3][Zustand des Waldes] spricht dagegen. | |
taz: Sie haben die schnell wachsenden Fichten in den 50er Jahren gepflanzt, | |
weil Baumaterial gefragt war. | |
Krüger: Die Wälder, die wir jetzt haben, sind der Kriegs- und | |
Nachkriegsgeschichte geschuldet, stimmt. Es geht auch nicht um | |
Schuldzuweisungen. Seit Beginn der 90er Jahre wissen wir aber, dass wir weg | |
müssen von der Fichte hin zu klimastabileren Laubbäumen. Nun hat | |
Deutschland allein in den vergangenen sechs Jahren 600.000 Hektar Wald | |
verloren. Hitze, Dürre, Stürme haben sie geschwächt, der Borkenkäfer fraß | |
sich durch. Damit ist ein Landschaftsökosystem in vielen Regionen in die | |
Knie gegangen, das für uns Menschen lebenswichtig ist. | |
taz: Lebenswichtig? | |
Krüger: Der Wald ist ja nicht nur Zufluchtsort für Erholungssuchende, er | |
spendet Sauerstoff, filtert Trinkwasser, kühlt die Landschaft, verhindert | |
Hochwasser, speichert Treibhausgase. | |
taz: Sie wollen doch nur alles dem Umwelt- und Naturschutz unterordnen – so | |
in etwa sagen das Ihre Gegner. | |
Krüger: Das ist aber falsch. Auch wir wollen Holz aus unseren Wäldern. Es | |
ist ökologisch ja nichts gewonnen, wenn Deutschland mit Holz versorgt wird, | |
für das rumänische Urwälder oder Tropenwälder abgeholzt werden. Nur kann es | |
im Wald nicht mehr allein um die Nutzung gehen, so wie es in der aktuellen | |
Fassung des Bundeswaldgesetzes steht. Die kommt aus dem Jahr 1975. Damals | |
hat noch niemand vom Klimawandel geredet. | |
taz: Welcher Passus fehlt im Entwurf? | |
Krüger: Da geht es nicht um einen Satz, sondern um Konkretisierungen an | |
vielen Stellen. Wer im Wald großflächig kahl schlagen will und keine | |
Genehmigung hat, soll dafür zum Beispiel ein Bußgeld fürchten … | |
taz: … ursprünglich waren Gefängnisstrafen angedacht. | |
Krüger: Bußgeld ist schon in Ordnung, entscheidend ist vielmehr, dass ein | |
Kahlschlag auf einer Fläche von bis zu einem Hektar ohne Genehmigung | |
erlaubt bleiben soll, dabei ist er allenfalls auf 0,5 Hektar noch | |
vertretbar. | |
taz: Ein halber Hektar macht den Unterschied? | |
Krüger: Eine kahle Fläche im Wald ist besonnt, Frost ausgesetzt, das | |
typische Waldklima damit weg. Heimische Baumarten werden da nicht schnell | |
einwandern. Für sie müssen erst Vogelbeere, Schwarzer Holunder und andere | |
Pioniere den Boden bereiten. Das wird schon bei ein paar hundert | |
Quadratmetern Fläche ein Problem, ein Hektar sind aber 10.000 Quadratmeter. | |
Da sind 0,5 Hektar bereits ein Kompromiss. Wir riskieren, den Wald und sein | |
Klima für etliche Jahrzehnte zu verlieren. | |
taz: Warum keine Bäume pflanzen? | |
Krüger: Naturverjüngung, also die selbstständige Erneuerung des Waldes, | |
bringt klimaangepasste, langfristig stabilere Wälder hervor. Außerdem ist | |
das Pflanzen deutlich teurer. | |
taz: Sie haben das mit anderen Umweltverbänden vorgeschlagen, sich aber | |
nicht durchgesetzt. Was lernen Sie von der Lobby der Forstleute? | |
Krüger: Ich will von ihr eigentlich nichts lernen. Das war bisher eine sehr | |
destruktive Kampagnenarbeit, die weitgehend ohne Sachargumente auskam und | |
die tatsächlichen Probleme des Waldes verschleppt. | |
taz: Slogan: „Finger weg vom Bundeswaldgesetz“ … | |
Krüger: … sehr zugespitzt, aufgeregt. Wir müssen aber gemeinsam zu neuen | |
Lösungen kommen, sonst kippen immer mehr Wälder weg. | |
taz: Wie die Waldbesitzer überzeugen? | |
Krüger: Schon heute können Waldbesitzer pro Hektar bis zu 100 Euro für ein | |
klimaangepasstes Waldmanagement und vor allem die Speicherung von CO₂ | |
erhalten. Wald ist aber zum Beispiel auch ein idealer Grundwasserspeicher. | |
Künftig sollten auch solche ökologischen Leistungen honoriert werden. Das | |
ist ja im Interesse der Waldbesitzer. Je nachdem, wie gut der Wald | |
bewirtschaftet wird, könnten das etliche hundert Euro pro Hektar werden. | |
taz: Bisher bemisst sich der Wert des Waldes am Holzpreis. Woher kommt das | |
Ökogeld? | |
Krüger: Das Geld dafür kann nicht nur aus öffentlichen Haushalten, sondern | |
muss auch aus der Wirtschaft kommen. Schon heute wollen viele Unternehmen | |
die Speicherung von CO₂ in Wäldern, Mooren und Agrarlandschaften | |
finanzieren, um ihre Emissionen auszugleichen. Ähnliches erwarten wir für | |
den Schutz des Grundwassers. | |
taz: Wie geht’s weiter? | |
Krüger: Ende des Jahres soll die Waldgesetz-Novelle im Bundestag | |
verabschiedet werden. Das Agrarministerium stimmt sich nun mit den anderen | |
Ministerien ab. Im September werden alle Verbände angehört. Wir werden das | |
Gespräch mit den beiden großen Organisationen der Waldbesitzer, also der | |
Arbeitsgemeinschaft der deutschen Waldbesitzer und dem Deutschen | |
Forstwirtschaftsrat suchen. Ich hoffe, wir können jetzt konstruktiv | |
diskutieren. | |
taz: Den Deutschen wird ein romantisches Verhältnis zum Wald nachgesagt – | |
macht es das leichter? | |
Krüger: Der Wald interessiert nach wie vor. Nur sieht selbst eine | |
Kiefernmonokultur erst einmal grün aus und kann im Spätsommer zauberhaft | |
schön sein. Sie wird es aber über die nächsten 150 Jahre nicht schaffen. | |
Die Wälder der Zukunft werden lichter sein, weniger Nadeln haben, mehr | |
Laubblätter. Vielleicht wird sich die Esskastanie stärker durchgesetzt | |
haben, womöglich auch die Walnuss, andere Eichenarten oder der Bergahorn. | |
Darüber werden wir reden müssen. | |
26 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Hanna Gersmann | |
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