| # taz.de -- Semesterticket für Promovierende: Wer promoviert, muss radeln | |
| > Doktorand:innen in Berlin und Brandenburg erhalten seit April kein | |
| > vergünstigtes Semesterticket mehr. Dagegen regt sich jetzt Widerstand. | |
| Bild: Abgefahren: Wer in Berlin und Brandenburg einen Doktorhut tragen will, mu… | |
| Berlin taz | Eigentlich wollen er und die anderen Promovierenden gar nicht | |
| wirklich etwas ändern, sagt Martin Konvička. „Wir wollen nur den bisherigen | |
| Status zurück.“ Noch im Wintersemester 2023/24 hatte der Doktorand Konvička | |
| ein Semesterticket, mit dem er den öffentlichen Nahverkehr in Berlin und | |
| Brandenburg nutzen konnte. | |
| Seit diesem Sommersemester, seit es das Deutschland-Semesterticket für rund | |
| 29 Euro im Monat gibt, ist das anders. Ein kleines Bündnis aus | |
| Promovierenden von Berliner Unis, zu denen auch Konvička gehört, kämpft | |
| deshalb dafür, wieder in das Semesterticket eingeschlossen zu werden. | |
| Konvička promoviert in Sprachwissenschaft an der Freien Universität (FU) in | |
| Berlin. Ende Januar 2024 wurde er wie gewohnt aufgefordert, den Beitrag für | |
| das kommende Semester zu zahlen. Der Preis hatte sich verändert, Konvička | |
| reimte sich zusammen, dass das Semesterticket nicht mehr inklusive war – | |
| zumindest für Promovierende. | |
| „Es wurde nichts explizit kommuniziert“, ärgert sich der Doktorand. Die | |
| Promotionsstudierenden säßen jetzt zwischen den Stühlen: Obwohl sie | |
| immatrikuliert sind, gebe es für sie kein Semesterticket. Viele bekämen | |
| aber auch kein Jobticket – je nach Uni und Anstellungsverhältnis. Betroffen | |
| sind allein in Berlin rund 8.300 Promovierende. | |
| ## Deutschlandsemesterticket seit dem Sommersemester | |
| Ende November 2023 einigten sich Bund und Länder darauf, [1][ein | |
| Deutschlandticket für Studierende] einzuführen. Es kostet 60 Prozent des | |
| regulären Preises von aktuell 49 Euro, also 29,40 Euro im Monat und gilt | |
| seit dem Sommersemester 2024. | |
| Wie die meisten vorherigen, regional gültigen Semestertickets funktioniert | |
| das Deutschlandsemesterticket als Solidarmodell: Wenn sie sich nicht aktiv | |
| befreien lassen, zahlen Studierende das Abo automatisch für sechs Monate | |
| mit dem Semesterbeitrag. So wird auf einen Schlag eine Menge Tickets | |
| verkauft – und das macht die Vergünstigung möglich. | |
| Das Angebot ist zwar bundesweit einheitlich. Ob sie es annehmen und welche | |
| Bedingungen dann genau gelten, müssen die Unis mit dem jeweiligen | |
| regionalen Verkehrsunternehmen aushandeln. In den meisten Fällen sind die | |
| Allgemeinen Studierendenausschüsse (ASten) Vertragspartner der | |
| Verkehrsbetriebe. | |
| Mit dem Ausschluss der Berliner und Brandenburger Promovierenden sei die | |
| Zahl der Abonnent:innen aktiv reduziert worden. Das passe nicht in die | |
| Logik des Solidarmodells, sagt Martin Konvička. „Es muss mehr Arbeit | |
| gewesen sein, uns auszuschließen, als uns inkludiert zu lassen.“ Nach dem | |
| Beschluss im November blieb den ASten und den Verkehrsunternehmen relativ | |
| wenig Zeit, Verträge für dieses Sommersemester auszutüfteln. Den | |
| Studierendenausschüssen sei die Lage der Promovierenden unter diesem | |
| Zeitdruck durchgerutscht, vermutet Konvička. | |
| ## VBB und ASten verhandeln | |
| Schon im März sagte Berlins Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD), dass | |
| sie zwar nicht zuständig sei. Ein großer Teil der Promovierenden habe sich | |
| aber ohnehin vom Semesterticket befreien lassen. Das haben Konvička und die | |
| anderen Promovierenden auf den Prüfstand gestellt. Das Semesterticket-Büro | |
| der FU habe ihnen gesagt, dass in der Vergangenheit höchstens 10 Prozent | |
| der eingeschriebenen Doktorand:innen Anträge auf Befreiung gestellt | |
| hätten. | |
| Was den Ausschluss der Promovierenden sonst begründen könnte, konnte der | |
| Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) der taz nicht sagen, weil er mit | |
| den ASten aktuell über das Deutschlandsemesterticket für das kommende | |
| Wintersemester verhandelt. | |
| „Auf diese Verhandlungen setzen wir unsere Hoffnung“, sagt Konvička. Das | |
| Bündnis trifft sich einmal die Woche, meist kommen fünf bis zehn | |
| Promovierende. Im Februar lancierten sie [2][eine Onlinepetition], die sich | |
| an die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg richtete. Die | |
| Forderung: politische Unterstützung im Streit um das | |
| Deutschlandsemesterticket. Das Ziel sind 6.000 Unterschriften, bisher haben | |
| 5.725 Menschen unterzeichnet. Ende April organisierten die Promovierenden | |
| eine kleine Demonstration am Stralauer Platz in Berlin, nicht weit entfernt | |
| vom VBB-Gebäude. | |
| „Viele Leute wundern sich, dass wir uns aufregen“, sagt Konvička. Er und | |
| die anderen, die für ihr Deutschlandsemesterticket kämpfen, bekämen oft zu | |
| hören, dass sie einfach das Standardticket für 49 Euro im Monat kaufen | |
| könnten. 20 Euro Differenz, das sei nicht viel. Vor einigen Jahren sei das | |
| Leben in Berlin relativ preiswert gewesen. Das habe sich jedoch extrem | |
| geändert, die Mieten steigen, die Inflation treibt die Lebenshaltungskosten | |
| nach oben. „Promovierende sind finanziell nicht gerade gut situiert“, sagt | |
| Konvička. Da machten 20 Euro mehr oder weniger im Monat einen Unterschied. | |
| ## Deutschlandticket droht teurer zu werden | |
| Tatsächlich droht der Preis des regulären Deutschlandtickets zu steigen. | |
| Für das restliche Jahr 2024 wollen die Verkehrsminister:innen des | |
| Bundes und der Bundesländer die Kosten stabil bei monatlich 49 Euro halten. | |
| Als sie sich Mitte April [3][für ihre halbjährliche Konferenz trafen], | |
| betonte Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne), dass | |
| es das Deutschlandticket 2025 und darüber hinaus geben soll. Zu welchem | |
| Preis, blieb offen, weil sich Bund, Länder und Verkehrsverbünde bisher | |
| nicht auf einen langfristigen Finanzierungsmechanismus einigen konnten. | |
| Wenn das Abo teurer wird, steigen die Kosten für das vergünstigte | |
| Deutschlandsemesterticket – zumindest nach der aktuellen Regelung. | |
| Außerdem sind die Arbeitsbedingungen für Promovierende oft nicht rosig. In | |
| Deutschland gibt es rund 200.000 Doktorand:innen. Wer das Glück hat, eine | |
| Stelle als Wissenschaftliche:r Mitarbeiter:in zu erhalten, muss in | |
| der Regel Lehrveranstaltungen halten, Studierende betreuen und weitere | |
| Aufgaben für den Prof übernehmen. Die eigene Forschung kommt oft nur | |
| langsam voran. Das belegt die Statistik: 5,7 Jahre benötigen Promovierende | |
| im Schnitt bis zum Abschluss. | |
| Umfragen zeigen, dass so gut wie niemand die Promotion innerhalb der | |
| Vertragslaufzeit schafft. Kein Wunder: Drei Viertel der Verträge enden nach | |
| spätestens drei Jahren. Rund jede:r sechste Promovierende hatte bei | |
| [4][einer Befragung im Jahr 2021] sogar nur einen Kurzzeitvertrag über | |
| maximal 12 Monate. | |
| ## Werden die Arbeitsbedingungen für Promovierende besser? | |
| Möglich macht das das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), das den | |
| Hochschulen seit 2007 große Spielräume für befristete Verträge in der | |
| sogenannten Qualifizierungsphase bietet – und von Betroffenen und | |
| Gewerkschaften stark kritisiert wird. Bundesbildungsministerin Bettina | |
| Stark-Watzinger (FDP) hat [5][zuletzt zwar eine Reform angekündigt], nach | |
| der unter anderem bundesweite Mindestvertragslaufzeiten für Promovierende | |
| (über drei Jahre) eingeführt werden sollen – juristisch bindend wären diese | |
| aber nicht. | |
| Lisa Janotta vom Netzwerk Gute Arbeit in der Wissenschaft spricht deshalb | |
| von kosmetischen Korrekturen. „Das Hauptproblem besteht ja weiter. | |
| Promovierende werden von ihrem Prof mit Arbeit zugeschüttet und kommen | |
| nicht zu ihrer Promotion.“ Gleichzeitig sei der Druck enorm, wenn man | |
| später in der Wissenschaft bleiben möchte. Weil es so wenige unbefristete | |
| Stellen gibt, ist die Konkurrenzsituation extrem. Wer da mithalten möchte, | |
| weiß, dass das oft nur geht, wenn man Freizeit, Urlaub und selbst den | |
| Kinderwunsch hintanstellt. | |
| Dass die Promovierenden in Berlin und Brandenburg jetzt um ihre Mobilität | |
| streiten, frisst auch zeitliche Ressourcen. Das machte das Bündnis bei der | |
| Demo am 29. April deutlich. „Statt zu promovieren, müssen wir für etwas | |
| kämpfen, was unser Recht sein sollte“, sagte ein Redner, der nicht | |
| namentlich genannt werden möchte. | |
| Die Situation der Doktorand:innen aus Berlin und Brandenburg sticht im | |
| Vergleich mit anderen deutschen Unis heraus. Die taz hat knapp 50 | |
| Hochschulen in allen Bundesländern kontaktiert und gefragt, ob das | |
| Deutschlandsemesterticket für Promovierende gilt. | |
| Die Antwort in den meisten Fällen: Promovierende hätten dann Anspruch auf | |
| ein Semesterticket, wenn sie als Promotionsstudierende an der jeweiligen | |
| Hochschule eingeschrieben sind – sowohl in der Vergangenheit als auch im | |
| aktuellen Sommersemester. Einige Unis ergänzten, dass Promovierende, die | |
| nicht eingeschrieben, dafür aber an einem Lehrstuhl angestellt sind, ein | |
| Jobticket kaufen können. | |
| Die Berliner Verwaltungen für Verkehr und Wirtschaft haben derweil | |
| angekündigt, allen Hauptstädter:innen ab Juli 2024 [6][ein | |
| Nahverkehrsabo für 29 Euro im Monat]anzubieten. Allerdings gilt das nur | |
| innerhalb der Stadtgrenze. Über den Stand der Verhandlungen für das | |
| Deutschlandsemesterticket im kommenden Wintersemester 2024/25 gaben auf | |
| Anfrage der taz weder VBB noch Studierendenausschüsse genauere Auskunft: | |
| Die Gespräche liefen noch, wann und wie sie enden, sei unklar. | |
| Hinweis: Dieser Artikel wurde am 15. Mai 2024 um 17:23 Uhr aktualisiert. | |
| Zuvor war die Rede von 7.000 Betroffenen. Dies wurde korrigiert, allein in | |
| Berlin sind es [7][rund 8.300 Betroffene]. Wir bitten, den Fehler zu | |
| entschuldigen. | |
| 15 May 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /49-Euro-Ticket-in-Berlin/!5983129 | |
| [2] https://www.openpetition.de/petition/online/gegen-den-ausschluss-von-promov… | |
| [3] /Verkehrsministerkonferenz-in-Muenster/!6001922 | |
| [4] https://www.bmbf.de/SharedDocs/Downloads/de/2022/abschlussbericht-evaluatio… | |
| [5] /Prekaere-Verhaeltnisse-in-der-Wissenschaft/!5997410 | |
| [6] /Revival-des-29-Euro-Tickets-in-Berlin/!6005537 | |
| [7] https://www.linksfraktion.berlin/politik/presse/detail/deutschlandweites-se… | |
| ## AUTOREN | |
| Nanja Boenisch | |
| Ralf Pauli | |
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