# taz.de -- Ticketkontrolle bei leerem Handy-Akku: Unangebrachtes Bußgeld | |
> Wer sein digitales Ticket bei einer Fahrkartenkontrolle in Hamburg nicht | |
> herzeigen kann, weil der Akku leer ist, muss Strafe zahlen. Das ist | |
> unfair. | |
Bild: Ist der Akku leer? Dann besser nicht in die Bahn steigen, sondern lieber … | |
Du musst mit der Zeit gehen, sagte ein fürsorgendes jüngeres Wesen, als es | |
ein digitales Abo auf meinem Handy installierte. Nur ist mein Handy sehr | |
empfindlich. Ich stürze mich seither oft mit vollgeladenem Akku ins | |
Getümmel des Hamburger Verkehrsverbunds (HVV), um [1][umweltfreundlich per | |
Bus und Bahn] ein Ziel in der Stadt zu erreichen. Doch spätestens auf der | |
Rückfahrt sinkt der Akkustand ins Bodenlose. | |
Meist lässt er mich noch eine Weile bei einem Prozent zappeln, bevor er | |
zwei Stationen vor dem Fahrtziel seinen Geist aufgibt. Da heißt es, schnell | |
in den Flugmodus, alle Apps schließen und das Handy tief unten in die | |
Tasche packen – und hoffen, dass kein Kontrolleur kommt. | |
Ich hätte wohl schon längst eine ausgewachsene [2][Nomophobie] entwickelt – | |
so heißt die Angst, ohne Mobiltelefon nicht erreichbar zu sein, die auch zu | |
Schwitzen, Zittern und weiteren körperlichen Stresssymptomen führt. Aber | |
ich vertraute stets darauf, dass es nicht schlimm wird, wenn mich die | |
Kontrolleure erwischen. Denn ich hab ja in echt eine Fahrkarte. Ist ja | |
nicht so, als wäre die mit Geheimtinte gedruckt und plötzlich erloschen. | |
Wär ja nur kein Strom mehr da, die zu zeigen. Aber sie existiert. | |
Bestimmt gäbe es da eine kundenfreundliche Lösung. Bestimmt haben die | |
Kontrolleure so eine praktische Powerbank dabei. Ich bin ja sozusagen | |
Edelkundin, keine arme Schluckerin, wie einst als Studentin, als ich lange | |
vor Erfindung des Semestertickets an einem Nachmittag gleich zweimal | |
erwischt wurde, auf der Hin- und auf der Rückfahrt, und sie mich beim | |
zweiten Fang sogar zur Polizei brachten, weil ich weder Geld noch Papiere | |
dabeihatte. | |
## Akku muss geladen sein | |
Aber was las ich dann im Hamburger Abendblatt unter dem Titel „Wenn das | |
Handy-Ticket klemmt“? Kann ich mein Ticket den Kontrolleuren wegen eines | |
leeren Akkus nicht zeigen, wird das zunächst als | |
„Beförderungserschleichung“ gewertet. Ich müsste es binnen sieben Tagen m… | |
dann – hoffentlich – geladenem Akku beim HVV vorzeigen und sieben Euro | |
zahlen, so eine Sprecherin. | |
Hmm. Aber ist das fair? Ich als Kundin stelle die Hardware für den | |
Fahrkartenkauf bereit, erspare denen Automat und Papier und trage nun auch | |
das ganze Risiko allein? Und warum können diese Menschen, die ins Abteil | |
kommen und kontrollieren, nicht auch ein bisschen Freund und Helfer sein | |
und mir eine Powerbank borgen, wie sie die jüngeren Wesen auch immer mit | |
sich führen? | |
Die sollten die immer dabeihaben, kostet ja nicht viel. Und ich könnte drei | |
Stunden Fahrt zu so einer Servicestelle und sieben Euro sparen. Und der HVV | |
spart Bürokratie. Und die Welt wäre ein klitzekleines bisschen netter. | |
Antwort der HVV-Pressestelle: Wer kein Smartphone mit zuverlässigem Akku | |
hat, soll sich anders eine Fahrkarte kaufen, zum Beispiel am Automaten. | |
Nur: Hast du das vorher nicht getan, bist du selber schuld. | |
39.405 Mal mussten im Jahr 2023 Fahrgäste diese sieben Euro zahlen, weil | |
sie in digitaler oder analoger Form ihr Ticket nicht bei sich führten. Die | |
Tendenz steigt. 2022 waren es nur 28.248, allein im ersten Quartal 2024 | |
sind es dagegen schon 13.123. Die Zahlen stammen aus der [3][Antwort des | |
Senats auf eine Anfrage der Linken]. | |
## Ladekabel mitführen und in die richtige Bahn steigen | |
Deren Verkehrspolitikerin Heike Sudmann fragte nach „Strafe für leeren | |
Akku?“. Wie denn die mehr als 300.000 Nutzer des Jobtickets das Problem | |
lösen sollen, das nur digital zu haben ist. Antwort des Senats: Es gebe ja | |
Ladebuchsen, in etwa jeder zweiten U-Bahn und jedem dritten Bus. Deshalb | |
bräuchten Kontrolleure keine Powerbanks. | |
Ergo: Immer, immer Ladekabel mitführen und Handy aufladen, wo sich so eine | |
Buchse findet, die geht. Vielleicht auch mal eine Bahnstation verpassen | |
dafür. Und nur nicht erwarten, dass ein öffentliches Unternehmen das | |
Zeitalter der [4][Digitalisierung] zum Anstoß nimmt, seine | |
Bestrafungskultur zu überdenken. | |
30 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Studie-ueber-Kosten-des-OePNV/!6005052 | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Nomophobie | |
[3] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/87071/hvv_handyticket_stra… | |
[4] /Digitalisierung/!t5011441 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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