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# taz.de -- Bilanz der Oberhausener Kurzfilmtage: Türen öffnen, Türen schlie…
> Festival im Ausnahmezustand: Die Bilanz der Kurzfilmtage Oberhausen fällt
> dieses Jahr melancholisch aus. Alles wurde überschattet vom
> Nahostkonflikt.
Bild: Unscheinbares Huhn. Szene aus „Pazur“
In einer polnischen Kleinstadt baut Łukasz Puczko Marionetten. Gerade
arbeitet er jedoch an einem Hühnerkostüm. Neben der Arbeit hilft er
ukrainischen Familien, die wegen des russischen Angriffskrieges ihre Heimat
verlassen haben, eine Bleibe zu finden.
Als er für eine Familie keine Unterkunft findet, quartiert er die vier bei
sich ein. Das Kostüm, mit dem Puczko gegen den geplanten Bau einer
Hühnerfarm protestiert, wird zum gemeinsamen Projekt, das der Familie, vor
allem der 16-jährigen Sabina, das Ankommen in einer Realität jenseits des
Kriegs erleichtert.
Marta Z. Nowaks Kurzfilm „Pazur“ (The Claw) erinnert mit dem
großgewachsenen Puczko im Hühnerkostüm daran, dass politische
Interventionen von leichter Hand wirken können. Nowaks Film lief im
internationalen Wettbewerb der diesjährigen Kurzfilmtage in Oberhausen.
## Mangelware Leichtigkeit
[1][Leichtigkeit war dieses Jahr Mangelware.] Die Kurzfilmtage sind aktuell
von einem Boykott der internationalen Filmszene getroffen wegen des
Nahostkonflikts. Manche Besucher_innen sind ferngeblieben, Filme wurden
zwar eingereicht, wieder zurückgezogen, Filmverleihe, die seit Langem auf
den Kurzfilmtagen Filme präsentieren, haben die Zusammenarbeit
aufgekündigt. [2][Türen wurden durchaus ostentativ zugeschmissen].
Eine Küchenzeile. Vor dem Fenster an der Seite sind auf der Innenseite
Jalousien heruntergelassen, in der Spüle steht Abwasch. Von draußen
Vogelgesang und Insektengezirpe. Vor der Wohnzimmerwand steht ein Tisch mit
einem Stuhl. Auf dem Tisch steht ein benutzter Teller, liegen Zeitungen.
Als die Sonne für einen Moment durchkommt, hellt sich der Raum auf,
anschließend wird das Licht wieder gedämpfter. Die Zimmer sind Teil einer
Hütte am Rande des Hillsborough River, in der Nähe von Tampa, Florida. Dann
beginnt die Auflösung des Hausstandes und der Abriss der Hütte. Textilien
wandern auf einen Haufen, Wände weichen einem Vorschlaghammer. Draußen
treiben Blattreste auf dem Fluss.
## Ein Alligator sonnt sich
Am gegenüberliegenden Ufer liegt ein Alligator, den Kopf in der Sonne. Ein
zweiter gesellt sich aus dem Wasser dazu. Nach einer Weile macht der erste
ein paar Schritte vorwärts, damit die Sonne auch auf den Körper fällt.
Das Ende des Kurzfilms „Lizzy“ führt zurück in die Hütte. In der Ecke ei…
leeren Raumes steht eine elektrische Orgel auf dem Boden. Als die Nachbarin
der Filmemacherin Susanna Wallin gestorben ist, hat sie ihr die Orgel
vermacht. „Lizzy“ ist filmische Würdigung und melancholischer Ausdruck des
Zwischenstadiums kurz nach dem Tod eines Menschen.
Die Melancholie von Wallins Film, der im ersten Programm des
Internationalen Wettbewerbs lief, prägte als Grundstimmung auch den Beginn
des Festivals. In den Gesprächen konnte man Unsicherheit hören, wie die
kommenden Tage wohl werden mögen.
## Sichtbares Sicherheitskonzept
Das Festival hatte in Reaktion auf einen Furor, der gegenwärtig Angriffe
und Drohungen gegen Personen und Veranstaltungen für akzeptabel hält, ein
sehr sichtbares, sehr ostentatives Sicherheitskonzept entwickelt. Insgesamt
führte dies dazu, dass man sich vor allem auf der Konferenz, die der
Eröffnung vorausging, aber auch während der ersten Festivaltage angesichts
der Befürchtungen in eine Trutzburg von vermeintlichem Konsens
zurückgezogen fühlte.
Die konfus moderierten Panels der Konferenz und der von einigen
Teilnehmer_innen der morgendlichen Diskussionsrunden zu Sinn, Zweck und
Berechtigung von Festivals errichtete Popanz postkolonialer
Identitätspolitik, der weder deren Realität noch die Tendenz des aktuellen
Festivalbetriebs wiedergab, schienen zunächst nicht dazu beizutragen,
zugeschlagene Türen wieder zu öffnen.
Erst allmählich wurden die Stimmen lauter, die demgegenüber mehr
Komplexität in der Diskussion einforderten. Die höchstdotierte Auszeichnung
des Festivals, der Große Preis der Stadt Oberhausen, ging an den
chinesischen Regisseur Wang Zhiyi für seinen Film „Spring 23“. Ein junger
Mann versucht in einer Kleinstadt, trotz des offiziellen Verbots von
Böllerei, zum chinesischen Neujahrsfest Feuerwerk zu kaufen. Im Abspann ist
der Film den Toten der Pandemie gewidmet.
## Irakisch-schwedischer Film wird prämiert
Die Jury des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW prämierte „On
Hospitality – Layla al Attar and Hotel al Rasheed“ von Magnus Bärtås und
Behzad Khosravi-Noori, der die irakische Künstlerin Layla al-Attar
auferstehen lässt, die 1993 bei einem US-Raketenangriff ums Leben kam.
Mitte der 1980er wird al-Attar von Saddam Hussein zur Leiterin des Centers
for National Art berufen.
Kurz darauf war sie an der Gestaltung des Foyers im Al-Rashid-Hotel
beteiligt, das gebaut wurde, um Gäste des Gipfels der blockfreien Staaten
würdig unterzubringen. Die Konferenz war trotz des Kriegs zwischen Iran und
Irak, der seit 1980 andauerte, für den Herbst 1982 geplant. Nach einem
iranischen Bombardement von Bagdad wurde der Gipfel schließlich nach
Neu-Delhi verlegt und auf 1983 verschoben.
Die aktuelle Ausgabe der Kurzfilmtage glich einem Festival im
Ausnahmezustand. Während der Tage in Oberhausen wurden die Effekte des
Risses, der sich seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober durch den
Kulturbetrieb zieht, ebenso sichtbar wie die Ratlosigkeit, ein Festival
trotz Riss reibungslos funktionieren zu lassen.
7 May 2024
## LINKS
[1] /Zwischenbilanz-Kurzfilmtage-Oberhausen/!6008434
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## AUTOREN
Fabian Tietke
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