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# taz.de -- Demonstration im Villenviertel Grunewald: Partystimmung im Problemk…
> Hauptsache, die Reichen werden aufs Korn genommen: Die Mygruni-Demo
> präsentiert sich dieses Jahr als „Großeinsatz der
> Spezial-Enteignungs-Kräfte“.
Bild: Razzia in der „Hochburg der Finanzkriminalität“: Die satirische Mygr…
Berlin taz | Die Teilnehmer*innen der „Mygruni“-Demo sind von denen
der [1][DGB-Kundgebung am Roten Rathaus] leicht zu unterscheiden: Sie sind
wesentlich diverser und bunter, außerdem läuft bei ihnen tanzbarere Musik.
In Mitte ist einer von drei Treffpunkten für den Fahrradzubringer zur
diesjährigen hedonistischen 1.-Mai-Demo im Villenviertel Grunewald. Der
Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt: Hauptsache, die Reichen
werden aufs Korn genommen. Ein Teilnehmer hat sein Fahrrad zu einem
brennenden Tesla umdekoriert, ein anderer trägt eine große Polizeisirene
mit der Aufschrift „Pozilei“ auf dem Kopf, auch die Cheerleader von
Deutsche Wohnen & Co enteignen sind gekommen.
Schon zum sechsten Mal hat die Hedonistische Internationale mobilisiert –
lediglich die Erzählung ändert sich: War man [2][am Anfang noch als
„Quartiersmanagement“ unterwegs], um den in einer Parallelgesellschaft
isolierten Reichen die Hand zu reichen, [3][lautete das Motto im letzten
Jahr – auch in Zuwendung an die Klimabewegung – offensiver: „Reichtum wird
enteignet (RWE)“].
Um dieser zentralen Forderung nach Umverteilung Nachdruck zu verleihen, ist
die Demo in diesem Jahr als „Großeinsatz der Spezial-Enteignungs-Kräfte
(SEK)“ gelabelt. Denn, so heißt es, im Viertel lebten „Lobbyist*innen und
Aktionäre, Steuerflüchtige und Protagonisten des Bankenskandals“ völlig
unbehelligt.
## Irritierte Gesichter auf dem Ku'damm
Bei sommerlichen Temperaturen fahren die Spezial-Enteignungs-Kräfte kurz
nach zwölf gemächlich durch Mitte. Immer mehr Menschen schließen sich an,
bei tausenden Radler*innen geht es zwischenzeitlich nur im Schritttempo
voran. Jeder Bereich wird von anderer Musik bespielt, sogar ein eigenes
Radio haben die Mygruni-Aktivist*innen auf die Beine gestellt.
Mit Plakaten wie „Beat the rich“ und „Enteignung ist die halbe Miete“
ausgerüstet, wollen die Hedonist*innen das Kapital bekämpfen. „Wir sind
auf dem Weg zu einer Razzia im Grunewald, um der wirtschaftskriminellen
Szene einen schweren Schlag zu verpassen“, ruft ein Redner über eine
Lautsprecherbox den Passant*innem auf dem Ku’damm zu, was irritierte
Gesichter, vereinzelt aber auch Beifall hervorruft.
## Punkmusik im Problemviertel
Im „Problemviertel“ angekommen, herrscht bald Partystimmung. Es gibt
Punkmusik, Techno, Redebeiträge, und das alles durcheinander. Weil die
Grünflächen von der Polizei abgesperrt wurden, drängen sich die Menschen in
den wenigen Schattenplätzen, um wahlweise der Musik oder dem Geschehen auf
der Bühne zu lauschen.
Die ist liebevoll dekoriert: Das Mygruni-SEK hat einen Tatort abgesperrt,
auf einem Haufen liegen beschlagnahmte Plakate mit Sprüchen wie „Defend the
Rich“. Auf der Bühne stehen Menschen mit schwarzen SEK-Shirts, hinter ihnen
eine teilweise eingerissene Mauer, auf die mit Graffiti „Wrecking the Walls
of Capitalism“ gesprüht wurde und die schon im liebevoll inszenierten
Mobilisierungsvideo Verwendung fand.
## Mehrere Milliarden Tage Haft?
Es folgt eine inszenierte Pressekonferenz nach der Razzia, auf der die
Beweismittel präsentiert werden: eine Schere zwischen Arm und Reich, ein
Golfschläger zur Zerstörung des Sozialstaats und jede Menge Bargeld,
adressiert an Finanzminister Christian L. „Weitere Razzien sind geplant“,
heißt es. Schließlich handele es sich beim Grunewald um einen „zentralen
kriminalitätsbelasteten Ort“, dessen Villenbewohner*innen von
[4][Steuerhinterziehung und Cum-Ex-Deals] profitierten und damit
Milliardenschaden verursachten.
„Der Grunewald darf kein rechtsfreier Raum bleiben“, sagt [5][Arne Semsrott
vom Freiheitsfonds]. Während die Reichen straffrei blieben, müssten
Menschen wegen Kleckerbeträgen in den Knast, kritisiert der Aktivist, der
mit seiner Initiative schon [6][hunderte Schwarzfahrer*innen aus dem
Gefängnis freigekauft hat]. Semsrott erzählt von einen Fall, bei dem eine
Person wegen 60 Euro einen Monat lang in die JVA musste – hochgerechnet auf
den Cum-Ex-Deal mit 31 Milliarden Euro Schaden wären das mehrere Milliarden
Tage Haft, rechnet er vor und plädiert für eine größere soziale Mischung in
den Knästen.
Auch das [7][Bündnis Görli zaunfrei] darf als Experte für kriminelle
Hotspots nicht fehlen. Anders als in der „Hochburg der finanzkriminellen
Szene in Grunewald soll in Kreuzberg hart durchgegriffen werden“,
kritisiert eine Rednerin. „Sollen sie doch den Grunewald einzäunen“, meint
sie. Doch dass das nichts bringe, könne man an diesem Tag sehen – die
„kapitalextremistische Szene“ in Grunewald sei trotz der eingezäunten
Grünflächen weiter aktiv.
Als Hymne des diesjährigen Protests dient [8][eine Adaption des
Miley-Cyrus-Klassikers „Wrecking Ball“]. Auf einer eigenen Bühne schwingt
eine Abrissbirne an einem Kran, darauf der [9][Dadaismus-Künstler Pastor
Leumund], umgeben von einem Chor der Hedonist:innen und der Hoffnung,
die Mauern des Kapitalismus einzureißen. Oder, wie Leumund zur Einstimmung
sagte: „Zerschmettern wir die Mauern zwischen oben und unten, zwischen
Obdachlosigkeit und Dritt-Porsche.“
Im Pyro-Nebel findet der Auftritt seinen Abschluss, ehe sich der
Demonstrationszug formiert, um den Reichen einen Hausbesuch abzustatten –
bevor es zurück ins beschauliche Zentrum von Berlin geht.
1 May 2024
## LINKS
[1] /DGB-Demo-am-1-Mai-in-Berlin/!6005158
[2] /Proteste-am-1-Mai-in-Berlin/!5847505
[3] /1-Mai-Protest-im-Berliner-Grunewald/!5928512
[4] /Cum-Ex-Geschaefte/!t5261780
[5] /Arne-Semsrott-ueber-seine-Anklage/!5992152
[6] /Ersatzfreiheitsstrafen-und-OePNV/!5933314
[7] /Zaunbau-um-den-Goerlitzer-Park/!5999643
[8] https://youtu.be/618nntgFC7M?si=V2b8lZhlsipNQSIv
[9] /Debutalbum-von-Pastor-Leumund/!5499328
## AUTOREN
Marie Frank
Erik Peter
## TAGS
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