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# taz.de -- Berlin-Grunewald: Raketenstimmung in „Cape Gruneval“
> Der Protest am 1. Mai im Berliner Grunewald-Viertel stand unter dem Motto
> „Milliardäre zum Mars“. 1800 Menschen kamen laut Polizei – teils als
> Aliens.
Bild: Teilnehmer der Satirischen Demonstration „Grunewald Space Agency“ ste…
BERLIN taz | „Drei, zwei, eins, Umverteilung!“, rufen einige hundert
Menschen aus geeinter Kehle auf dem ehemalige Johannaplatz, von der
diesjährigen MyGruni-Demo liebevoll in Cape Gruneval umbenannt. Dann schon
verdunkelt viel Rauch den Himmel, nur leicht flackert noch die Sonne im
weit entfernten All durch den Smog der Rakete mit der Aufschrift „MyAss“,
kurz für „Antinationales Space Shuttle“, das symbolisch die ersten
Superreichen auf ihrem One-Way-Flug zum Mars transportieren soll.
Mit dem Themesong von Stanley Kubricks „2001 – A Space Odyssey“ schallt
angemessen epochale Musik über den Platz im Villenviertel -„ein kleiner
Arschtritt von uns, aber ein großer für die Menschheit“, hatte ein Redner
zuvor auf der Bühne die Bedeutung des Ereignisses auf den Punkt gebracht.
Schon zuvor hatte eine Rednerin auf der Bühne klargemacht, worum sich die
diesjährige Demo aus dem Umfeld der Hedonistischen Internationalen drehen
soll. „Wir schicken die Milliardäre zum Mars, aber der Besitz bleibt hier,
ist ja klar!“, rief sie. Es sei ja ersichtlich, dass die Milliardäre dem
Leben auf der Erde überdrüssig seien – insofern sei dies als ein Angebot
einer „Politik der ausgestreckten Hand“ zu verstehen. „Und Merz kann auch
mit“, lacht die Rednerin. „Er ist zwar kein Milliardär, aber er macht
Politik für Milliardäre – und vielleicht fühlt er sich ja auch wohl als
Kanzler der Marskolonie Neu-Grunewald“. Die Menge lacht, großer Applaus.
Viele haben sich als Aliens verkleidet, haben sich etwa ein drittes Auge
angeheftet oder Lauscher auf den Kopf geklebt. 1800 Menschen sollen laut
Polizeiangaben gekommen sein. Die Veranstalter sprechen gegenüber der taz
sogar von bis zu 8000 Teilnehmenden. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich
irgendwo dazwischen.
## Besuch im „Problemkiez“ mit Tradition
Seit 2018 besuchen die Aktivist:innen am 1. Mai den Grunewalder
„Problemkiez“, um auf dort verbreitete Missstände wie Steuerkriminalität
und Parallelgesellschaften aufmerksam zu machen. Jedes Jahr schlüpfen die
Aktivist:innen dafür in andere Rollen. Mal organisieren sie einen
„Großeinsatz der Spezial-Enteignungs-Kräfte“, mal wollte man im
Villenviertel zusammen mit der Klimabewegung die „Kohle abbaggern“. Stets
sind die Inszenierungen aufwendig und kreativ, der satirische Protest
gleicht aber eher einem Karnevalsumzug als einer wirklichen Konfrontation
mit der besitzenden Klasse.
Den Volksfestcharakter haben die Aktivist:innen vom Quartiersmanagement
Grunewald in diesem Jahr noch einmal ausgebaut. Anders als in den letzten
Jahren zieht keine geschlossene Demonstration durchs Villenviertel. Das
„Spaceport Cape Gruneval“ am Johannaplatz ist nur der zentrale
Kundgebungsort. Stattdessen sind rings um die zentrale Bühne weitere
Kundgebungen mit eigenen thematischen Schwerpunkten angemeldet, die von
einer „Orbiterdemo“ verbunden wird. So wird das ganze Viertel in ein
riesiges Straßenfest verwandelt. Vor den repräsentativen Einfahrtstoren
lungern Protestierende, hören Punkmusik und trinken Sekt, schlendern
gemütlich von Kundgebung zu Kundgebung.
## „Antikapitalistischer Bootssatellit“
An Kreativität mangelt es den Ständen nicht. Da ist die Kundgebung des
Kollektivs Noisuff, wo im vorauseilenden Gehorsam der Kapitallogik schon
mal der Mond verhökert wird – nur eine Frage zu den Eskapaden auf dem
Berliner Wohnungsmarkt muss man richtig beantworten, um so ein symbolisches
Grundstück zu erhalten.
Auf der Kundgebung des DJ-Kollektiv Kollapbso hängt ein
„Antikapitalistischer Bootssatellit des vereinigten Proletariats“ in den
Bäumen. „Uns reicht das nicht, die Milliardäre auf den Mars zu schießen.
Deshalb bilden wir die Leute hier aus, um anschließend dahin zu fliegen und
die Reichen zu bekämpfen“, sagte einer der Veranstalter zur taz.
Intellektuell gebildet werden die künftigen Klassenkämpfer:innen mit
Redebeiträgen; körperlich, in dem sie mit Bällen auf die Gesichter von
Merz, Musk, Milei und Besos werfen. Auf der Kundgebung von Extinction
Rebellion, die für ihre Aktion „Entmilliardärisieren“ werben, gibt es ein…
Hau-den-Lukas-Stand, bei dem man einen Klöppel in die Eier eines
Papp-Elon-Musk schießen kann.
Bereits am Morgen hatten sich am Brandenburger Tor zwei Fahrradzubringer
vom Hermannplatz und dem Gesundbrunnen zusammengeschlossen, um gemeinsam
zum Grunewald zu fahren. Am Brandenburger Tor klingeln sich gegenseitig zur
Begrüßung an. Aus den Boxen dröhnt nicht Radion Energy oder der Berliner
Rundfunk, sondern das Radio Raketenstart, das Webradio von MyGruni. Seit 9
Uhr läuft hier die MilliardeXit-Morningshow mit Hits wie „Die Welt braucht
keine Milliardäre/ Und wir schaffen das auch ohne Gewehre“, Outfit-Tipps
und Infos zur Geschichte der „Villen-Kolonie Grunewald“.
Einen ersten Erfolg für das gute Leben haben die Aktivist:innen derweil
bereits im Vorfeld errungen. Wie die Initiative MyGruni mitteilte, hat sie
eine Klage gegen die Berliner Polizei gewonnen. Die hatte im vergangenen
Jahr den gesamten Johannaplatz vergittert, sodass die Protestierenden in
der knallen Sonne ausharren mussten, während die Einsatzschaften hinter dem
abgezäunten Bereich im Schatten standen. Das Verwaltungsgericht entschied
laut [1][dem auf Instagram veröffentlichten Schreiben] nun, dass die
Polizei das Absperren der öffentlichen Grünflächen zu unterlassen habe. Im
Grunewald hält sich die Polizei weitgehend daran.
1 May 2025
## LINKS
[1] https://www.instagram.com/p/DJEv6Tus5Ow/
## AUTOREN
Erik Peter
Timm Kühn
## TAGS
Tag der Arbeit / 1. Mai
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