| # taz.de -- Buch von Frank-Walter Steinmeier: Der Bundespräsident und sein „… | |
| > In einem Essay wirbt der Bundespräsident dafür, das Verbindende neu zu | |
| > erkennen. Das ist gut gemeint. Überraschend ist es nicht. | |
| Bild: Steinmeier bei der Präsentation seines Essays „Wir“ in Schloss Belle… | |
| Auslöser für sein Buch, sagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, sei | |
| die Reaktion eines Thüringers gewesen. Er selbst habe dort in einer | |
| Kleinstadt darüber gesprochen, dass in diesem Jahr ein Doppeljubiläum | |
| anstehe: Zu feiern sind 75 Jahre Grundgesetz und 35 Jahre Mauerfall. „Ach, | |
| ein Jubiläum West und ein Jubiläum Ost“, sei die Antwort gewesen. Was die | |
| Frage nach dem gemeinsamen „Wir“ aufwerfe, so Steinmeier. | |
| „Wir“ heißt denn auch das gut 140-seitige Essay, das der Bundespräsident | |
| gerade im Suhrkamp Verlag veröffentlicht hat. Etwas gezwungen versucht er | |
| darin, die beiden Daten zu verknüpfen; in beiden Ereignissen einen Grund | |
| zum Feiern in Ost sowie in West zu beschreiben. | |
| Er würde nicht behaupten, dass sich die Menschen in der DDR 1989/90 nach | |
| dem Grundgesetz gesehnt hätten, sagte Steinmeier zwar bei der Vorstellung | |
| des Buchs am Mittwoch im Schloss Bellevue. „Aber mindestens haben sie sich | |
| gesehnt und gefordert, mit den gleichen Rechten ausgestattet zu werden, die | |
| die Westdeutschen schon einige Jahrzehnte hatten.“ | |
| Zugleich gelte aber, dass die Verwirklichung unserer Freiheitsverfassung | |
| nicht nur an Orten wie Herrenchiemsee und Bonn, sondern auch auf der | |
| Karl-Marx-Allee in Ostberlin, in Plauen und in Leipzig gespielt habe. „Die | |
| Friedliche Revolution war ein unverzichtbarer Teil, ja, ich denke, ein | |
| Höhepunkt unserer Demokratisierung“, schreibt Steinmeier im Buch. | |
| ## Neue, gemeinsame Verfassung? | |
| Was er dabei gänzlich außen vor lässt: Die damals durchaus debattierte | |
| Frage, ob sich das vereinigte Deutschland nicht eine neue, gemeinsame | |
| Verfassung geben sollte. Wäre das der Fall gewesen, hätten wir heute | |
| vielleicht einen gemeinsamen Tag zum Feiern. | |
| Die beiden Jahrestage aber sind nur Aufhänger für Steinmeiers Essay. Zu | |
| Beginn seiner Amtszeit als Bundespräsident vor sieben Jahren hat er das | |
| Thema Demokratie – Bedrohung wie Stärkung derselben – zu seinem gemacht und | |
| bespielt es seitdem in verschiedenen Formaten. | |
| Nun also ein Buch. Es ist der Versuch, nicht das Trennende in den Fokus zu | |
| stellen, sondern das Verbindende herauszuarbeiten, bei aller | |
| Verschiedenheit. „Wir sind keine ‚gespaltene‘, keine ‚polarisierte‘ o… | |
| ‚zerbrochene Gesellschaft‘. Aber [1][wir sind ein emotional erhitztes, über | |
| sich selbst beunruhigtes Land“,] schreibt Steinmeier. | |
| In einer Zeit wie dieser sei es Aufgabe des Bundespräsidenten, an die | |
| Stärken des Landes zu erinnern. Er will dabei auch für den Staat werben, im | |
| Sinne von „Gemeinwesen“, wie er es nennt: „nicht als etwas der Gesellscha… | |
| Fremdes oder gar Feindliches, sondern als Ausdruck des gemeinsamen Bemühens | |
| aller“. | |
| ## Krise der liberalen Demokratie | |
| Im Buch beschreibt er zunächst [2][die Krise der liberalen Demokratie], die | |
| Herausforderungen durch Kriege, autoritäre Entwicklungen, Klimawandel, | |
| wirtschaftliche Konkurrenz; man kennt das. Es folgt ein historischer | |
| Abriss, bis er zum Eigentlichen kommt: „Wer wir sind – und wer wir sein | |
| könnten“, ist das dritte und letzte Kapitel überschrieben. | |
| „Verschiedenheit ist das Signum moderner Gesellschaften“, heißt es dort. | |
| Und weiter: „Die Kunst, die wir nötig haben, besteht darin, sich von | |
| Andersartigkeit nicht befremden oder beängstigen zu lassen.“ | |
| Da Zusammenhalt durch Zusammenarbeit entstehe, es dafür in der Gesellschaft | |
| aber immer weniger Orte gebe, schlägt Steinmeier erneut eine allgemeine | |
| soziale Pflichtzeit für alle vor, die Idee verfolgt er schon länger. Am | |
| Ende steht ein Plädoyer für einen „demokratischen Patriotismus“, der wisse | |
| um „die hellen und dunklen Seiten unserer Geschichte“. | |
| In einer Einwanderungsgesellschaft, schreibt Steinmeier, werde sich der | |
| Begriff Mehrheitsgesellschaft künftig nicht mehr auf Ethnie, Religion und | |
| Kultur beziehen. „Zugehörigkeit speist sich heute aus anderen Quellen, | |
| allen voran aus der Zustimmung zu den Regeln, die wir uns in demokratischen | |
| Verfahren geben und die allen die gleichen Bedingungen zur freien | |
| Entscheidung garantieren.“ Steinmeiers Buch ist ein Plädoyer, sich daran zu | |
| beteiligen. | |
| Das alles ist gut gemeint, vieles davon auch richtig und wichtig. Nur: | |
| Überraschend, aufrüttelnd oder gar inspirierend ist das alles nicht. Und so | |
| könnte Steinmeiers „Wir“, so wichtig demokratischer Zusammenhalt in der | |
| heutigen Zeit auch ist, einfach verpuffen. | |
| 22 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
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