# taz.de -- Buch über den Rechtsstaat: Die politische Haltung ist im Weg | |
> Der Rechtswissenschaftler Maximilian Pichl zeichnet in „Law statt Order“ | |
> die Karriere des Rechtsstaats nach. Und kritisiert seinen Missbrauch. | |
Bild: Bekleckert: Berliner Polizisten am 1. Mai in Kreuzberg | |
Am Fuße des Kreuzbergs verlor die Berliner „Policey“ ihre größte Schlach… | |
Vor 142 Jahren untersagte sie einem Bürger die Errichtung eines | |
vierstöckigen Wohnhauses, da ein so hohes Gebäude den Blick auf den Berg | |
und vor allem das Denkmal an dessen Spitze versperrt hätte, das bis heute | |
an die Befreiungskriege gegen Napoleon erinnert. Der Bauherr klagte gegen | |
das Verbot, und das Preußische Oberverwaltungsgericht gab ihm unerwartet | |
Recht mit der Begründung, Aufgabe der Policey sei die Gefahrenabwehr, nicht | |
der Schutz patriotischer Gefühle oder die Wahrung von Sichtbeziehungen. | |
Der Richterspruch schränkte damit die Macht einer bis dato allzuständigen | |
Institution ein und stärkte die Gewaltenteilung. Aus der Policey wurde | |
später einerseits die kommunale Verwaltung und andererseits die moderne | |
Polizei als Strafverfolgungsbehörde. | |
Wie [1][Maximilian Pichl] in seinem Buch „Law statt Order“ schreibt, war | |
das Urteil ein Meilenstein auf dem Weg in den Rechtsstaat. Pichl meint | |
damit ein Ensemble an Rechten, die den Einzelnen und seinen Besitz vor dem | |
Zugriff des Staats und seiner Organe schützen. Der Politik- und | |
Rechtswissenschaftler verweist in einem historischen Abriss zu Beginn aber | |
auch auf die Offenheit des Begriffs. Das Bürgertum brachte ihn zunächst | |
gegen den Absolutismus und später gegen die Gefahr revolutionärer Umstürze | |
von links in Stellung. | |
Der [2][Staatsrechtler Carl Schmitt] rief dazu auf, ihn umzudeuten, um dem | |
Führerstaat juristische Legitimität zu verschaffen. Und in der | |
Nachkriegszeit galt er als Ausweis der Überlegenheit der | |
bundesrepublikanischen Demokratie gegenüber dem Nationalsozialismus und dem | |
Kommunismus. | |
Ab Ende der Sechzigerjahre begann dann eine Entwicklung, in deren Verlauf | |
sich die Bedeutung des Begriffs in das Gegenteil seines ursprünglichen | |
Sinns verkehrte. Angeheizt vom RAF-Terror brachten Politiker von rechts der | |
Mitte immer öfter die Forderung nach „Law und Order“ vor. Der Rechtsstaat, | |
das war, so verstanden, nun nicht mehr ein Schutzschild des Einzelnen in | |
der Auseinandersetzung mit dem Staat. | |
Im Gegenteil kam seine Erwähnung einer Aufforderung an dessen Organe | |
gleich, größtmögliche Härte an den Tag zu legen und im Zweifel auch bei | |
Nichtbeachtung der Gewaltenteilung durchzugreifen. Pichl zeichnet diese | |
Genese luzide und anschaulich nach. Der historische Abriss zu Beginn seines | |
Buchs ist der lesenswerteste Teil seines Buchs. Das längliche Kapitel | |
danach ist dagegen kaum mehr als eine kommentierte Zitatensammlung. Der | |
Autor wirft Politikern fast aller Couleur sowie Medien vor, an der von ihm | |
kritisierten „ordnungspolitischen Umdeutung“ des Rechtsstaatsbegriffs | |
teilzuhaben. | |
## Rhetorisch offener Brief | |
Erstaunlich ist daran vor allem, dass Pichl sich jedes Mal wieder neu | |
empören kann, wenn irgendwer fordert, illegale Immigranten, Clankriminelle, | |
Klimakleber oder pöbelnde Fußballfans müssten „mit der vollen Härte des | |
Rechtsstaats“ rechnen. Dass der Begriff rhetorisch offen ist, man mit ihm | |
also Politik machen kann, hat er selbst doch zuvor wunderbar schlüssig | |
nachgezeichnet. Warum wirft er genau das dann Nancy Faeser, Friedrich Merz | |
oder Robert Habeck vor? | |
Die Antwort ist wohl ziemlich einfach: Weil sie nicht die Politik machen, | |
die der Autor gerne hätte. Statt einer kühlen Analyse aus | |
rechtswissenschaftlicher Perspektive bekommt man von ihm nur noch einen | |
weiteren Debattenbeitrag. Ihren immerhin komischen Höhepunkt erreicht seine | |
Nachhilfestunde in Staatsbürgerkunde, wenn er mit Walter Benjamin vor der | |
„gespenstischen Erscheinung“ der Polizei warnt. | |
Dem Experten Pichl steht seine eigene politische Haltung im Weg. Auf | |
geradezu ärgerliche Weise zeigt sich das, wenn er der AfD, die man weiß | |
Gott für alles Mögliche kritisieren kann, ausgerechnet ihre teils | |
erfolgreichen Verfassungsbeschwerden vorwirft. In einem späteren Kapitel | |
geht er dann mit Blick auf die Situation in Polen und in Ungarn wieder | |
etwas nüchterner vor, doch der Eindruck mangelnder Sachlichkeit hat sich da | |
schon längst verfestigt. | |
19 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Michael Wolf | |
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