# taz.de -- Nachhaltigkeit in der Hotelgastronomie: Der Crunch ist aus Kartoffe… | |
> Wie sieht es aus, wenn eine Hotelgroßküche sich in Zero Waste versucht? | |
> Unsere Autorin hat drei Tage lang mitgekocht. | |
Bild: Rote Beete | |
Weiße Küchenjacke, schwarze Schürze, so stehe ich am blank geputzten | |
Arbeitstisch einer riesigen Hotelküche und schneide Rote und Gelbe Bete für | |
ein Carpaccio in hauchdünne Scheiben. Hierher gebracht hat mich meine | |
Neugier – denn das Restaurant des im Oktober vergangenen Jahres eröffneten | |
Hotels DoubleTree by Hilton nahe dem Berliner Kurfürstendamm verspricht | |
viel. | |
Biozertifiziert ist die Küche, arbeitet mit regionalen und saisonalen | |
Produkten und bekennt sich zu Nachhaltigkeit und einer | |
„Zero-Waste-Philosophie“, also dem Versuch, so wenig Müll wie möglich zu | |
erzeugen. Konzepte wie diese sind heutzutage [1][zwar kein | |
Alleinstellungsmerkmal mehr], aber bisher eher geeignet für die Nische und | |
weniger für ein Vier-Sterne-Hotel mit 420 Zimmern und 260 | |
Restaurantplätzen, das auch Club Sandwich und Wiener Schnitzel auf der | |
Karte stehen haben muss. Kann das Hotel dem selbst erhobenen Anspruch | |
gerecht werden? | |
Um dieser Frage direkt vor Ort nachzugehen, durfte ich ein kleines | |
Küchenpraktikum bei Moritz Ehrlich absolvieren, stellvertretender | |
Küchenchef (in der Gastrosprache heißt das Souschef) des hoteleigenen „The | |
Restaurant“. Und dort muss ich am ersten Tag eben erst mal Rote Bete | |
verarbeiten, außerdem schneide ich Pilze und befülle kleine Schälchen mit | |
Olivenöl, Butter und Kräuterquark, die zum Sauerteigbrot serviert werden | |
sollen. | |
Am nächsten Tag habe ich vor mir einen Berg Kartoffeln, die ich mit der | |
Maschine zu dünnen Korkenzieherlocken verarbeiten und anschließend | |
frittieren soll, sodass ein knuspriges Crunch entsteht. Mitsamt der Schale? | |
„Ja, natürlich“, meint Moritz Ehrlich und zeigt mir, wie die Knollen in die | |
Maschine eingespannt werden. „Die sind doch Bio und beste Qualität.“ | |
Vorher, erklärt er, hätten sie nur die Schalen, die bei der Herstellung von | |
Kartoffelsalat übrigbleiben, zu Crunch verarbeitet. „Der hatte so viel | |
Erfolg, dass wir gar nicht genug Schalen hatten und anfingen, zusätzlich | |
ganze Kartoffeln zu verarbeiten.“ | |
## Zero-Waste Gericht aus komplettem Blumenkohl | |
Ähnlich wird auch die Haut vom Biolachs zur knusprigen Beilage. Aus dem | |
Trester von Pilzen, der übrigbleibt, wenn der Pilzschaum zum Huhn bereitet | |
wird, macht die Küchencrew wiederum zusammen mit Apfelessig und Rohrzucker | |
ein schmackhaftes Pilzketchup. | |
Gelernt hat Ehrlich unter anderem drei Jahre bei Marco Müller im Rutz, das | |
mittlerweile Berlins einziges Drei-Sterne-Restaurant und konsequent | |
regional ausgerichtet ist. Sein erstes Zero-Waste-Gericht im Double Tree | |
war der „Blumenkohl 360 Grad“, der im Ganzen gegart wird, wobei einzelne | |
Blätter ausgebacken, Strunk und weitere Blätter kleingeschnitten zu Kimchi | |
fermentiert werden. | |
„Natürlich gibt es Sachen, die einfach ungenießbar sind“, meint er. „Ab… | |
wenn man mit Bioprodukten arbeitet, geht man schon respektvoller mit ihnen | |
um und versucht, soviel wie möglich zu verwerten.“ Zumal ein so großer | |
Hotelbetrieb ja auch stets auf Wirtschaftlichkeit bedacht ist. | |
## Essen nach dem Family Style | |
Für den frühen Abend hat sich eine größere Gruppe, die im Hotel tagt, zum | |
Essen angekündigt. Ein Buffet mit verschiedenen Vorspeisen, Entenkeulen und | |
gebratenem Zander, Wirsinggemüse, weiteren Beilagen und Desserts soll es | |
geben. Normalerweise schmort dergleichen in großen Warmhalteschüsseln mit | |
Hilfe von chemischen Brennpasten vor sich hin. | |
Hier werden die Speisen stattdessen in kleineren Töpfen auf | |
Induktionsplatten warmgehalten. „Wenn der Service sieht, dass etwas zur | |
Neige geht, bestellt er schnell bei uns nach“, erklärt mir die | |
bolivianische Köchin Isabella Vargas aus dem Team. Sonst kämen | |
erfahrungsgemäß Unmengen von Essen zurück und müssten entsorgt werden. | |
Bei kleineren Gruppen ist man dagegen dazu übergegangen, größere Teller und | |
Schüsseln auf den Tisch zu stellen, aus denen sich jeder bedient und die je | |
nach Bedarf ergänzt werden. „Family Style heißt das neudeutsch“, sagt | |
Ehrlich mit einem Schmunzeln. Erfordert das nicht viel mehr | |
Personalaufwand? „Vor allem einen aufmerksamen Service“, entgegnet er. | |
„Aber unsere Leute sind gut gebrieft.“ | |
Wie ich sehe, hat das Thema Zero Waste viele Facetten. Es fängt schon beim | |
Einkauf an. Einerseits versucht der Souschef, nicht zu große Mengen zu | |
kaufen, damit nichts verdirbt. Andererseits kann er nicht jeden Tag die | |
Lieferanten kommen lassen, denn das wäre auch nicht nachhaltig. | |
Mit der Zeit hat Ehrlich herausgefunden, wie viel ungefähr gebraucht wird | |
und welche regionalen Produzenten – Demeter, Bioland oder eine Bio-Bäckerei | |
aus Neukölln – die erforderlichen Mengen liefern können. „Manchmal muss d… | |
Küche flexibel sein, und vielleicht statt Postelein einen anderen | |
Wintersalat verwenden, wenn gerade ein Hagelschauer die zarten Pflänzchen | |
eines Produzenten vernichtet hat. Oder wir müssen auf andere Regionen | |
ausweichen.“ Tomaten beispielsweise, die gerade nicht Saison haben, aber im | |
Ceasar Salad auf keinen Fall fehlen dürfen, kommen dann notfalls auch mal | |
aus Italien. | |
## Reif für den Suppenfonds | |
Zwischendurch nimmt mich Ehrlich mit in die Kühlkammer, wo Berge von Gemüse | |
lagern. Er zupft den Feldsalat auseinander, damit der mehr Luft bekommt und | |
nicht anfängt zu gammeln, wirft einen kritischen Blick auf ein paar | |
Lauchstangen, die reif für den [2][Suppenfonds] sind, dann drückt er mir | |
fünf oder sechs Bund glatte Petersilie in die Hand, die ebenfalls | |
verarbeitet werden müssen. | |
Ich zupfe also Tausende von Petersilienblättchen ab und backe sie in | |
Biobratöl aus, sodass daraus ein köstliches, grünes Pasta-Topping wird. Die | |
Stängel hat inzwischen der deutsch-französische Koch Mathieu Bouton-Gröschl | |
übernommen und sie mit Staudensellerie und Fenchelsamen zu einer aparten | |
Fischsoße verarbeitet. Doch wird die Riesenmenge im Topf an diesem Tag gar | |
nicht gebraucht. Deshalb soll ich sie, wenn sie abgekühlt ist, | |
portionsweise in stabilen Plastikbeuteln vakuumieren und einfrieren. | |
Praktisch, denke ich. So kann man alles verwerten und haltbar machen, wie | |
es sicher auch andere Küchen machen. Doch, fällt mir dann ein: Was ist mit | |
dem ganzen Plastikmüll? „Ja, daran müssen wir noch arbeiten“, gibt Moritz | |
Ehrlich zu. „Wo es geht, versuchen wir, die Sachen in Gläsern zu | |
konservieren. Zum Beispiel, wenn wir große Mengen Sauerkirschen bekommen. | |
Aber mit allem geht das nicht. Dann ist das Vakuumieren in Plastikbeuteln | |
eben ein Kompromiss.“ | |
## Kompost und Kräutergarten | |
Von denen muss man in einer Hotelküche dieser Größenordnung so manche | |
machen. Zero Waste ist ein eher langfristiges Ziel. Aber The Restaurant ist | |
ihm einen ganzen Schritt nähergekommen. Zufrieden geben will sich Moritz | |
Ehrlich damit natürlich nicht. Gern würde er zum Beispiel Tiere im Ganzen | |
verarbeiten, vielleicht auch den Biomüll kompostieren, wie es [3][das | |
Berliner Restaurant Frea macht]. Außerdem hätte er gern einen | |
Kräutergarten. „Nicht allein, um besondere Sorten anbauen zu können“, mei… | |
er. „Oft muss ich den Händlern große Mengen abnehmen. So viel Kräuterquark | |
kann ich im Restaurant gar nicht loswerden.“ | |
Mir schwirrt der Kopf von all den Details, die beim nachhaltigen Kochen und | |
Wirtschaften zu beachten sind. Mal sind es große, mal kleine Schritte in | |
Richtung Nachhaltigkeit. Und manchmal ganz winzige: Als ich eine Pause | |
brauche und mir in der Mitarbeiterkantine einen Kaffee hole, fällt mein | |
Blick auf einen unspektakulären Kasten, der vor dem Fenster steht. Eine | |
Wärmepumpe? Nein, bei näherem Hinsehen entdecke ich lauter Bienen, die um | |
ihn herum summen. Wie ich höre, liefern sie den Honig fürs | |
Frühstücksbuffet. | |
23 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Wiebrecht | |
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