# taz.de -- Touristiker über Urlaub 2023: Reisen, aber bitte nachhaltig! | |
> Die Reiseindustrie soll nachhaltiger werden, sagt Sören Hartmann, | |
> Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Tourismuswirtschaft. | |
Bild: Urlaub unter Palmen in Deutschland ist möglich, hier in Warnemünde an d… | |
taz: Herr Hartmann, wie laufen die Geschäfte der Reisebranche? | |
Sören Hartmann: Für den Sommer sehen die Geschäfte gut aus. Aber es gibt | |
zwei Effekte, die gegenläufig sind: Einerseits sehen wir den unheimlichen | |
Nachholbedarf, den wir gerade haben. Corona hat gezeigt: Die Leute wollen | |
reisen, sich bewegen, ausgehen. | |
Trotz Inflation und Verteuerung? | |
[1][Der großen Reiselust] steht tatsächlich gegenüber, dass wie fast alles | |
andere auch das Reisen teurer wird. Gerade wenn Sie es mit 2019 | |
vergleichen, als viele zum letzten Mal gereist sind. Das können sich nicht | |
alle leisten, ein Teil der Bürger zögert deshalb auch mit der Buchung oder | |
verzichtet sogar ganz. Dass der durchschnittliche Reisepreis pro Gast aber | |
so deutlich – in einigen Bereichen um bis zu 30 Prozent – gestiegen ist, | |
liegt auch daran, dass sich viele Menschen einfach mehr gönnen: Sie | |
verreisen mehr Tage oder buchen Hotels mit mehr Sternen. | |
Also ein reduzierter, aber gut verdienender Kundenkreis? Wie sieht es | |
konkret im Deutschlandtourismus aus? | |
Auch hier waren die Gästezahlen in den ersten Monaten des Jahres noch nicht | |
auf Vorcoronaniveau. Und die Umsatzzahlen gilt es im Detail zu betrachten. | |
Nehmen Sie das Gastgewerbe: Im ersten Quartal stieg der Umsatz im Vergleich | |
zu Vorcoronazeiten um 7 Prozent. Eigentlich nicht schlecht. Wenn Sie das | |
aber inflationsbereinigt sehen, ist er um 12 Prozent gesunken. Die Kosten | |
der Betriebe für Nahrungsmittel, Energie und Personal sind einfach immens | |
gestiegen. | |
Trifft der aktuelle Arbeitskräftemangel den Tourismus besonders hart? | |
Er ist bei uns genauso Thema wie in anderen Industrien, und ja, es ist für | |
unsere serviceorientierte Branche eins der drängendsten Probleme. Uns | |
treffen der demografische Wandel und das Thema Generationswechsel. Zudem | |
haben wir während Corona Mitarbeiter verloren. | |
Ist es denn nicht auch eine Frage der geringen Gehälter im Tourismus? | |
Sicherlich konkurrieren wir mit anderen Industrien um Arbeitskräfte, die | |
teils höhere Gehälter bezahlen können und arbeitnehmerfreundlichere | |
Arbeitszeiten haben. Viele bei uns arbeiten, wenn andere frei haben. Aber | |
die Gründe für Personalmangel sind vielfältiger. Der demografische Wandel | |
gehört dazu und auch der zunehmende Wunsch nach mehr Work-Life-Balance u. | |
a. durch kürzere und flexiblere Arbeitszeiten. Wir müssen unsere Branche | |
deshalb als Arbeitgeber noch attraktiver aufstellen und mit der Politik | |
gemeinsam Lösungen erarbeiten, um dem Personalmangel zu begegnen. | |
Bundesarbeitsminister Heil sprach auf dem alljährlich stattfindenden | |
Tourismusgipfel in Berlin und versprach, Deutschland solle für ausländische | |
Arbeitskräfte attraktiver werden. Wie denn? | |
Wir brauchen einfachere Zuwanderungsregelungen, so wie sie jetzt gesetzlich | |
auf den Weg gebracht werden. Auch müssen Prozesse, unter anderem bei der | |
Visabeantragung, verbessert werden. Potenzielle Arbeitskräfte warten teils | |
monatelang auf Antragstermine. Und wir brauchen ganz generell eine stärkere | |
Willkommenskultur im Land. | |
Deutschland hat eine mittelständische Tourismusstruktur, aber genau diese | |
Betriebe sterben überall aus … | |
Tatsächlich geht die Zahl der Betriebe zurück. Die Tourismusbranche in | |
Deutschland ist ja sehr kleinteilig, sehr familiär. Die Vielfalt an | |
Herausforderungen – von Digitalisierung über Personalmangel, Nachhaltigkeit | |
und immensem Bürokratieaufwand bis hin zu den Kostensteigerungen – macht | |
gerade diesen kleineren Betrieben zu schaffen. Dieser Druck stärkt nicht | |
unbedingt die Bereitschaft in der nächsten Generation, einen Betrieb zu | |
übernehmen. Politische Unterstützung und Entlastungen sind nötig, um gerade | |
auch den ländlichen Raum und seine touristischen Strukturen zu stärken. | |
Sind Sonne und Strand immer noch die Bestseller im Tourismus? | |
Für viele deutsche Urlauber gilt das weiterhin, aber das Reisen ist | |
vielfältiger geworden: Sport, Wellness, Abenteuer, Kultur gehören für viele | |
im Urlaub dazu. Für Gäste aus dem Ausland – z. B. Indien oder China –, die | |
nach Europa kommen, steht Kultur sogar ganz weit oben auf der Themenliste. | |
Welche Herausforderungen bringt das mit sich? | |
Dort entsteht eine neue Mittelschicht und damit geht die Reisenachfrage | |
nach oben. Die massiv steigende Nachfrage gilt es zu managen und nachhaltig | |
zu gestalten. Es wird nicht funktionieren, dass alle mit demselben | |
Ressourcenverbrauch verreisen, wie wir es bisher getan haben. Auch wir, in | |
der schon weit entwickelten deutschen Tourismuswirtschaft, müssen deshalb | |
als Vorbild vorangehen und versuchen, das Reisen nachhaltiger zu gestalten. | |
[2][Fliegen ist für acht Prozent des Treibhauseffekts verantwortlich]. Ist | |
das Fliegen rückläufig? | |
In der Summe ist der Flugverkehr bei Weitem nicht auf dem Vorcoronaniveau, | |
sondern bei ca. 70 Prozent. Innerdeutsche Flüge sind massiv zurückgegangen. | |
Dort, wo ich mit der Bahn gut hinkomme, nimmt der Kunde sie gerne an. Und | |
die Zahl der Geschäftsreisen hat sich gegenüber 2019 mehr als halbiert. Bei | |
Mittel- und Fernstrecken werden wir jedoch weiterhin den Flieger brauchen. | |
Hier ist die einzige Alternative, künftig mit nachhaltigen Treibstoffen zu | |
fliegen, die derzeit entwickelt werden. | |
Umfragen zeigen, die Deutschen wollen nachhaltig reisen, letztendlich | |
entscheidet aber der Preis. Wie erreicht die Branche die Kunden mit anderen | |
Konzepten? | |
Ich glaube, wenn das Angebot ähnlich wie im Lebensmittelhandel | |
transparenter wird, die positiven Effekte von nachhaltigen Reisen klarer | |
kommuniziert werden, dann greifen auch mehr Kunden zu. Mit der neuen | |
Generation kommt in dieser Frage auch viel mehr Bereitschaft. | |
Erwarten Sie einen Nachhaltigkeitsschub durch die neue Generation? | |
Auch die jüngere Generation will reisen, aber nur mit nachhaltigen | |
Alternativen und mehr Transparenz. Die neue Generation bringt mehr | |
Bewusstsein und Klarheit zu diesem Thema mit. Sie werden die Treiber sein. | |
Das ist eine große Aufgabe für uns: Reisen ermöglichen, das nachhaltiger, | |
bewusster und transparenter ist. | |
Was gibt es denn für konkrete nachhaltige Initiativen in der Branche? | |
In den Zielgebieten, in Hotels, in der Gastronomie geht es schon deutlich | |
voran. Es geht hier u. a. um Heizen, Gebäudedämmen, um Kühlung und weniger | |
Lebensmittelverschwendung. Es gibt zudem sehr viele Initiativen mit dem | |
Ziel der Klimaneutralität, z.B. unser durch das | |
Bundeswirtschaftsministerium gefördertes Projekt Deutscher Klimafonds | |
Tourismus. Im Bereich der Kurzstrecke gibt es eine zunehmende | |
Verkehrsverlagerung auf die Schiene. Im Kreuzfahrtbereich erarbeitet man | |
neue Antriebe – von Brennstoffzelle über Wasserstoff bis hin zu hybriden | |
Lösungen. Auch beim Thema Flug wird viel geforscht. Leider gibt es noch | |
keine massentaugliche Lösung. Die Forschung muss mit Unterstützung und | |
Investitionen der Politik weiter forciert werden. Zudem darf der Tourismus | |
in Verteilungskämpfen z. B. um Wasserstoff nicht vergessen werden: | |
Politische Strategien müssen uns mit einbeziehen. | |
„Zeitenwende in der Tourismuswirtschaft“ war das Thema des Tourismusgipfels | |
in Berlin. Was heißt das? | |
Der gesellschaftliche Paradigmenwechsel, der derzeit zu beobachten ist, | |
muss sich auch in unserer Entwicklung widerspiegeln, damit wir weiterhin | |
Perspektiven haben. Insbesondere [3][zum Thema Nachhaltigkeit brauchen wir | |
auch aus der Branche klare Zugeständnisse]. Mobilität ist dabei ein | |
wichtiges Thema, aber man darf sich nicht darauf beschränken. Wir müssen | |
vieles noch strukturierter und gemeinschaftlicher angehen. Wenn wir z. B. | |
wollen, dass die Menschen in Deutschland verstärkt mit der Bahn anreisen, | |
brauchen die Destinationen auch ein sinnvolles Angebot für die Mobilität | |
vor Ort. Es greift alles ineinander. | |
25 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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