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# taz.de -- Dokumentarfilmfestival Hamburg: Heilige und Sozialisten
> Dokumentarfilme sind immer auch Zeitdokumente. Bei der
> Dokumentarfilmwoche in Hamburg wird das bei zwei Filmen aus den 1980ern
> besonders deutlich.
Bild: War in den 1980ern eine Ikone der feministischen Friedensbewegung: Fasia …
Ein Dokumentarfilm ist immer selbst ein Dokument. Auch wenn dies den
Filmemacher*innen gar nicht bewusst ist, zeigt jeder Film, welcher
Zeitgeist in den Jahren seiner Entstehung herrschte, was und wie damals
erzählt werden konnte und sollte.
Im Programm der 21. Dokumentarfilmwoche Hamburg, die von Dienstag bis
Sonntag in verschiedenen Kinos der Stadt stattfindet, werden zwei Filme
gezeigt, die in den späten 1980er-Jahren gedreht wurden, und die heute auch
deshalb so exotisch und historisch wirken, weil sie stilistisch tatsächlich
aus einem lange vergangenen Jahrtausend kommen.
In beiden Filmen wird von Hamburger*innen erzählt: „Fasia – von
trutzigen Frauen und einer Troubadora“ ist ein Porträt der Protestsängerin
und Aktivistin Fasia Jansen. Der Film wurde frisch restauriert,
digitalisiert und leicht bearbeitet. „Die Cousins“ erzählt von den
Hamburgern Victor und Heinz, die beide in den 1930er-Jahren in Spanien
gegen die Faschisten kämpften, und nach 50 Jahren eine Erinnerungsreise in
die damaligen Kriegsgebiete machten. Dieser Film ist im Programm, weil es
bei der Hamburger Dokfilmwoche in diesem Jahr einen Schwerpunkt zum Thema
Spanischer Bürgerkrieg gibt.
Bei „Fasia – von trutzigen Frauen und einer Troubadora“ erinnert schon der
Titel an vergangene Zeiten: „Leben und Abenteuer der Trobadora Beatrix“ war
ein Roman der DDR-Schriftstellerin Irmtraud Morgner aus dem Jahr 1974, der
damals auch bei der Frauenbewegung in Westdeutschland sehr beliebt war. Und
als eine Troubadora verstand sich auch [1][Fasia Jansen], die als linke
Aktivistin bei Protestaktionen und Demonstrationen mit ihrer Gitarre
auftrat und politische Lieder sang.
In den 1980er-Jahren war Jansen eine Ikone der feministischen
Friedensbewegung. Als die uneheliche Tochter des deutschen „Zimmermädchens“
Elli Jansen und des liberianischen Generalkonsuls Momolu Massaquoi – dem
ersten schwarzen Afrikaner mit einer offiziellen Position in Deutschland –
wuchs sie mit einer schwarzen Haut und krausen Haaren im Faschismus auf.
Als 15-Jährige wurde sie dienstverpflichtet und musste in einer Suppenküche
arbeiten, die auch Außenlager des KZ Neuengamme bei Hamburg beliefert.
Diese Erfahrungen prägten sie, sodass sie sich in den Nachkriegsjahren in
verschiedenen politischen Bewegungen engagierte. Sie wurde eine
Protestsängerin, die mit ihrer Gitarre bei Ostermärschen auftrat und dort
1966 auch ihr großes Vorbild Joan Baez traf.
Die Filmemacherin Re Karen begleitete Fasisa Jansen im Jahr 1987 mit der
Kamera und ihr Film wirkt wie eine Hagiografie, also eine
Heiligengeschichte. Man sieht Fasia Jansen in einer Reihe mit ehemaligen
KZ-Häftlingen beim Protest gegen die Stationierung von Pershing-Raketen in
Deutschland, beim gemeinsamen Singen in einer Frauengruppe und bei
politischen Diskussionen mit Frauen am Küchentisch. Da wird dann kurz von
ihr auf ein Foto von Rosa Luxemburg geschnitten – und auch die
US-amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis taucht einmal auf.
Es ist fast schon anrührend, wie naiv Fasia Jansen hier angehimmelt wird –
in den [2][1980er-Jahren] war das noch möglich. Und in diesem Sinne
vermittelt der Film vielleicht mehr von der optimistischen Grundstimmung in
vielen politischen und feministischen Gruppen in jenen Tagen, als es ein
mit mehr professioneller Distanz gedrehter Film vermocht hätte. Der Film
selber war Teil der feministischen Friedensbewegung, und so ist die
Filmemacherin dann auch immer sehr nah dabei und sitzt mit in dem
Campingwagen, in dem Fasia in diesen Jahren lebte und von einer politischen
Aktion zu der nächsten fuhr.
Fasia Jansen erzählt sehr lebendig und detailreich ihre Lebensgeschichte.
Authentischer aber wirken ihre Gespräche mit ihrer Mutter und ihrem
Ziehvater, gerade weil diese nicht so geschliffen erzählen können und oft
vor der Kamera um Worte ringen. So etwa, wenn sie davon erzählen, wie Fasia
als kleines Mädchen von einem Naziarzt eine Spritze bekam, mit deren
Spätfolgen sie ihr Leben lang kämpfen musste. Darüber will sie nicht reden,
und diese Verweigerung ist einer von den wenigen Momenten im Film, in dem
es Re Karen gelingt, den Kern dieser komplizierten und charismatischen
Persönlichkeit zu offenbaren.
Der Film „Die Cousins“ wiederum hat eine interessante
Produktionsgeschichte, denn er wurde von der Hamburger Firma Igelfilm und
dem NDR produziert. Doch seine Regisseure Thomas Plenert, Rainer Ackermann
und Christian Lehmann waren Filmemacher des DDR-Filmunternehmens Defa, und
es ist kaum vorstellbar, dass ein Film wie dieser 1988, also ein Jahr vor
dem Mauerfall, noch in der DDR hätte produziert werden können. Denn dies
ist ein stramm sozialistischer Film, in dem der Kommentator ohne jede
Ironie gleich in den ersten Filmminuten Lenin lobt und die Protagonisten
sich vor allem als kommunistische Antifaschisten präsentieren.
Die beiden Hamburger Cousins Victor und Heinz gingen in den Jahren 1936/37
nach Spanien, um dort in den internationalen Brigaden gegen Franco zu
kämpfen. Für den Film machten sie die Reise noch einmal und besuchten ihre
damaligen Schlachtfelder und [3][Unterschlüpfe], denn nach der Niederlage
versuchten sie mit allen Mitteln, nicht nach Deutschland zurückgebracht zu
werden, wo ihnen die Verfolgung und wohl auch der sichere Tod drohte.
Der eine lebte in der BRD, der andere in der DDR und beide blieben
linientreue Kommunisten, die sich immer genau überlegten, ob das was sie in
die Kamera sagten, auch parteikonform war. Und so erzählten sie nicht ihre
persönliche Lebensgeschichten (das war als Individualismus verpönt),
sondern immer von ihrem Schicksal als Teil des permanenten politischen
Kampfes.
Und die Filmemacher schienen dies für angemessen zu halten, denn ihre
Kommentare im Off sowie die Archivaufnahmen vom Bürgerkrieg im Spanien
präsentierten immer einen Panoramablick statt den Protagonisten mit der
Kamera wirklich nahe zu kommen.
So brachte die Reise nach Spanien, die für die beiden alten Männer so
beschwerlich war, filmisch erstaunlich wenig. Ein paar Orte erkannten sie
zwar wieder, aber die Kamera fing diese Momente der Erinnerung nie wirklich
ein. Stattdessen wirken die beiden wie Touristen. Über diese
Lebensgeschichten der beiden könnten Romane geschrieben werden, aber die
Gelegenheit, hier angemessen episch zu erzählen, wird verschenkt.
Wenn Heinz davon redet, wie er nach einem langen Irrweg in Nordafrika in
einem Flüchtlingslager leben musste, dann ist ihm dabei das Wichtigste, wie
„aktiv die Eisenbahnergewerkschaft in Algerien“ damals war. Und dass er
schließlich zehn Jahre lang nach Sibirien verbannt wurde, während er 1937
noch gehofft hatte, in die Sowjetunion ausreisen zu dürfen, wird in ein
paar kurzen Sätzen abgehandelt.
„Die Cousins“ war schon 1988 ein Anachronismus, aber heute sind seine
Mängel viel faszinierender als seine Qualitäten.
22 Apr 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Wilfried Hippen
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