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# taz.de -- Indien wählt: Wahl in Modis Testlabor
> Im nordindischen Bundesstaat Uttarakhand mit seiner Hindu-Mehrheit testen
> die regierenden Hindunationalisten ihren intoleranten Kurs.
Bild: Anhänger der hindunationalistischen Volkspartei (BJP) bei einer Wahlkamp…
Dehradun/Rishikesh taz | Ein Kleinlaster bahnt sich seinen Weg in der Hitze
der indischen Yoga-Hauptstadt Rishikesh. Musik tönt aus Lautsprechern, dazu
preist eine Männerstimme den lokalen Kandidaten der Regierungspartei BJP,
Trivendra Rawat, als einzige Wahloption an. „Er gehört zu Modis Familie“,
heißt es. „Schickt ihn ins Parlament, um Modi stark zu machen: Macht Modi
zum dritten Mal zum Premier!“
Es ist Wahlkampf in Uttarakhand, einem nördlich der Hauptstadt Neu-Delhi
und westlich von Nepal gelegenen Himalaja-Bundesstaat. Hier wird an diesem
Freitag gleich in der ersten von sieben Phasen gewählt. Die
hindunationalistische BJP will, [1][dass ihr Premier Narendra Modi Indien
weiter regiert].
Die Passanten lassen sich nicht beirren. Sie kennen die Wahlkampflieder
schon. Kurz vor dem ersten Urnengang der über sechs Wochen stattfindenden
indischen Wahlen endet die Werbung in den jeweiligen Wahlkreisen.
Bis dahin sind die riesigen Plakate von Premierminister Modi
allgegenwärtig, die für die „Modi-Garantie“ werben, wie das BJP-Programm
heißt. Modi und seine Partei dominieren schon optisch die Landschaft
des-Bundesstaats Uttarakhand. Der 73-jährige Hindu-Hardliner ist der
Favorit. Bei seinem Besuch wird er wie ein Popstar gefeiert „In ganz Indien
hat Modi Autobahnen gebaut“, lobt sein Anhänger Nadeem Zaidi.
Doch die Wahl zur Besetzung der 543 Parlamentssitze in Delhi ist noch nicht
entschieden. Zwar stellt das kleine Uttarakhand nur fünf Abgeordnete im
nationalen Parlament, doch ist es für die BJP symbolisch wichtig, weil
hier im auch als „Dev Bhoomi“ (Land der Götter) bekannten Bundesstaat, an
dem sich die Quelle des Ganges durch den Himalaja schlängelt, vier heilige
Hindustätten sind.
## Modi wird wie ein Popstar gefeiert
Der Wahlkampf des oppositionellen Kongresskandidaten Ganesh Godiyal führt
durch enge Bergstraßen vorbei an Ashrams, kleinen Läden und Yogastudios.
„Lang lebe die Kongresspartei, lang lebe Ganesh Godiyal“, rufen seine
Anhänger in den Lärm von Motorrädern und Trommeln. Dazu wehen Fahnen mit
einer Hand drauf, dem Symbol seiner Partei.
Der kräftige 57-Jährige mit Schnauzer ist weiß gekleidet, trägt
Blumenketten um den Hals und war schon politisch aktiv, bevor die BJP den
Kongress an der Macht ablöste. Er glaubt, dass die „Menschen für
Veränderungen stimmen werden“.
Unter seinen Anhängern ist der 25-jährige Niraj, der auf seinem Motorrad
der Kolonne hinterherfährt. Auch Lalita Devi ist gekommen. „Ganesh ist ein
guter Kandidat, er unterstützt uns, also unterstützen wir ihn“, sagt die
Mutter von zwei Kindern. Die Kongresspartei helfe den Menschen. Über
Premierminister Modi spricht sie erstaunlich positiv, den BJP-Politikern um
ihn herum misstraue sie aber.
Vor fünf Jahren fuhr die BJP in Uttarakhand einen Rekordsieg ein. Jetzt
holen sich ihre Kandidaten Unterstützung aus Delhi, denn es geht für sie
vor allem um die Frage, mit wie vielen Mandaten Modi wiedergewählt wird. In
ihrem Programm fordert die BJP gar ein Mandat, um Indien für die nächsten
eintausend Jahre zu gestalten.
## Warnungen vor einem weiteren Rechtsruck
[2][Kritiker:innen warnen dagegen vor einem weiteren Rechtsruck],
Schwächung von Institutionen und der Pressefreiheit. Auch verweisen sie auf
das ideologische Rückgrat der BJP, deren 1925 mit dem Ziel einer
Hindu-Nation gegründeten Mutterorganisation RSS („Nationale
Freiwilligenorganisation“). Schon jetzt nutzt die BJP Uttarakhand als
Experimentierfeld für die RSS-Agenda.
Die paramilitärische Organisation ersetzt in Uttarakhands Bergland teils
öffentliche Schulen. Auch jetzt ist der RSS aktiv. Schon im Oktober kam
RSS-Generalsekretär Arun Kumar nach Uttarakhand. So verwundert es nicht,
dass auch der amtierende Ministerpräsident Pushkar Singh Dhami wie Premier
Modi ein RSS-Kader ist.
Die Kongresspartei kritisiert die wachsende Spaltung zwischen Hindus und
Muslimen im Bundesstaat. So kündigte Dhami etwa an, illegale Bauten
abzureißen: Doch darunter befanden sich viele „Mazars“, kleine Schreine der
muslimischen Minderheit.
Die Kongressführerin Priyanka Gandhi Vadra warf Modi vor, Uttarakhand
während der jüngsten Flutkatastrophe vernachlässigt zu haben: „Die heutige
Realität ist Inflation, Arbeitslosigkeit, geleakte Prüfungsunterlagen für
die Vergabe staatlicher Stellen sowie Korruption und nicht das, was Modi
euch allen zeigt“, sagte sie in Haridwar, wo der Kongresspartei Chancen auf
ein Parlamentsmandat zugesprochen werden.
## Verbot der Kuhschlachtung und von Rindfleisch
Doch wird in der Himalaja-Region ein politisches Experiment der regierenden
Hindunationalisten sichtbar: Seit 2018 gehört Uttarakhand zu den indischen
Bundesstaaten, in denen das Schlachten von Rindern und der Verkauf von
Rindfleisch streng verboten sind.
Vielmehr erklärte sich wenige Wochen nach dem letzten Wahlsieg der BJP im
Bundesstaat dessen Oberstes Gericht sogar in einer landesweit einmaligen
Entscheidung zum „gesetzlichen Beschützer der Kühe“.
Im Jahr 2022 folgte eine Änderung des
Uttarakhand-Religionsfreiheits-Gesetzes, wonach eine „unrechtmäßige
Konversion“ mit bis zu zehn Jahren Gefängnis geahndet werden kann.
Der ehemalige Leiter von Amnesty International Indien, Aakar Patel, betont
jedoch, dass „die Rückkehr zu seiner ursprünglichen Religion“, damit
gemeint ist der Hinduismus, nach diesem Gesetz nicht als Konversion gilt.
Wenn Muslime, Christen oder Buddhisten etwa unter Druck wieder zu Hindus
werden, bleibe dies straffrei.
## [3][„Landdschihad“] in Uttarakhand?
Anfang dieses Jahres wurde beschlossen, in Uttarakhand ein einheitliches
Zivilgesetzbuch einzuführen. Seitdem muss das Zusammenleben mit einem
Partner oder einer Partnerin außerhalb der Ehe registriert werden. „Es ist
einschüchternd, dass das nicht nur gemeldet, sondern auch genehmigt werden
muss“, sagt eine junge Frau aus Dehradun.
In den letzten Jahren haben interreligiöse Spannungen zugenommen.
Uttarakhands Ministerpräsident habe [4][den Begriff vom „Landdschihad“
geprägt], kritisiert Kongresspolitikerin Garima Mehra Dasauni. Das sei
besorgniserregend.
Wie gefährlich der Propagandabegriff sein kann, hat Mohammed Zahid
erfahren. Er sitzt in einem der vielen Kleiderläden der Kleinstadt
Vikasnaga. Der Mittvierziger starrt auf seine Ladentheke, auf der ein
Merkblatt für die anstehenden Wahlen liegt. Über ihm rattert ein
Ventilator, eine Klimaanlage kann er sich nicht leisten. Das Geschäft laufe
nicht gut, sagt er. Das letzte Jahr brachte für ihn und seine Familie einen
unfreiwilligen Neuanfang: Zahid musste nach Drohungen rechtsextremer Hindus
sein Geschäft und sein Zuhause verlassen.
Er erinnert sich an Angriffe auf Geschäfte und Häuser von Muslimen in
Purola nach Vorwürfen des „Liebesdschihad“, eines Kampfbegriffs, mit dem
rechtsgerichtete Hindus Muslimen unterstellen, mittels Eheschließungen
hinduistische Frauen mit muslimischen Männern zu verbinden und so Erstere
zum Glaubensübertritt zu bewegen, um die Zahl der Muslime im Land zu
vergrößern.
## Labor für rechtsgerichteten politischen Hinduismus
„Wir hatten gute Beziehungen zu unseren Nachbarn“, sagt er. „Ich war
erfolgreich, bis es zum Zwischenfall kam.“ Von den einst etwa 250 in seinem
Viertel lebenden Muslimen seien nach den Ausschreitungen viele geflohen.
Trotz seiner Mitgliedschaft in der hindunationalistischen BJP konnte der
Muslim Zahid keinen Schutz finden.
„In Uttarakhand verfolgen BJP und RSS eine Strategie, die an Gujarat
erinnert“, sagt der politische Beobachter SMA Kazmi. Dort war es im Jahr
2002, als Gujarat von Narendra Modi regiert wurde, zu religiöser Gewalt
gekommen. Opfer waren überwiegend Muslime. Modi und seine damalige
Regierung unternahmen nichts, um die Gewalt einzudämmen, sondern heizten
sie noch an.
Kazmi sieht Uttarakhand als zweites „Hindutva-Labor“ an, also für einen
rechtsgerichteten politischen Hinduismus. Dort politisierten
Hindunationalisten gesellschaftlich sensible Themen wie Landbesitz und das
Wohlergehen von Frauen und nutzten spaltende Begriffe wie „Liebesdschihad“
und „Landdschihad“ (Landraub), um die öffentliche Meinung zu polarisieren,
so Kazmi. Er sieht in Uttarakhand daher eher ein Duell zwischen der BJP und
den Menschen als zwischen politischen Parteien.
## Jugendarbeitslosigkeit wird kaum thematisiert
In Uttarakhand konnte die BJP zuletzt einen großen Teil der Hindu-Stimmen
für sich gewinnen. Doch das kann nicht über die dortigen Probleme
hinwegtäuschen: Die Jugendarbeitslosigkeit ist auch im Himalaja-Staat ein
Problem, das nur wenige wie der unabhängige Kandidat Bobby Panwar
thematisieren.
Viele klagen dennoch, dass die Opposition zu schwach sei. Für Jyoti Singh
Rathore ist die Arbeit der BJP auf nationaler Ebene entscheidend. „Wenn die
BJP die Wahlen gewinnt, dann nur wegen Modi“, meint sie. Sei Modi an der
Macht, werde das Indiens Image helfen. Kritiker und Oppositionelle sorgen
sich dagegen, dass Indien in eine Autokratie abdriftet.
Mitarbeit: Mayur Yewle, Asif Ali
19 Apr 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Natalie Mayroth
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