| # taz.de -- Parlamentswahlen in Indien: Kommunisten in der Krise | |
| > Im Bundesstaat Kerala setzten sich bei den letzten Landtagswahlen die | |
| > Kommunisten durch. Auf nationaler Ebene ringen sie um Anerkennung. | |
| Bild: Wahlkampf: Bild der kommunistischen Spitzenkandidatin K.K. Shailaja, gena… | |
| Thiruvananthapuram/Vadakara taz | In roter Bluse und hellem Sari steht K.K. | |
| Shailaja im Hof eines Einfamilienhauses nahe der Stadt Vadakara. Sie ist | |
| umringt von Frauen und Kindern, die ein Selfie mit „Teacher“ wollen, so der | |
| Spitzname der einstigen Lehrerin. „Ich habe junge Menschen getroffen und | |
| Inder:innen, die im Ausland arbeiten. Sie haben mir gesagt: Kerala hat sich | |
| sehr verändert“, sagt sie. Damit spricht sie das „Kerala-Modell“ der | |
| Entwicklung an, für das ihre kommunistische Partei und der südindische | |
| Bundesstaat bekannt sind. | |
| Die 67-Jährige tritt an diesem Freitag in Kerala bei der zweiten von sieben | |
| Abstimmungsrunden der indischen Parlamentswahlen für die CPI(M), der | |
| Communist Party of India – Marxist, an. [1][Zwischen 2016 und 2021 war sie | |
| Gesundheitsministerin in Kerala.] Dann wurde sie dort erneut ins | |
| Landesparlament gewählt und hofft nun auf einen der 543 Sitze im Unterhaus | |
| des Parlaments in Delhi. | |
| Kerala ist einer der wenigen Orte weltweit, wo Kommunisten noch von | |
| demokratischen Wahlsiegen träumen können. Doch trotz der Siege bei den | |
| Wahlen 2019 und 2021, seitdem sie Keralas Regierung stellen, müssen sie | |
| jetzt um den Wiedereinzug ins nationale Parlament bangen. Größte | |
| Konkurrentin ist ausgerechnet [2][die linksliberale Kongresspartei], die | |
| heute vor allem in Südindien, anders als im Norden, eine politische Kraft | |
| ist. | |
| So gleicht Shailajas Wahlkampf dem vieler anderer in Kerala: Hier steht die | |
| von der CPI(M) geführte Linke Demokratische Front (LDF) der von der | |
| Kongresspartei geführten Vereinigten Demokratischen Front (UDF) gegenüber. | |
| Dritte Kraft ist in Kerala die auf nationaler Ebene regierende | |
| hindunationalistische Volkspartei BJP unter Premierminister Narendra Modi. | |
| Bisher in diesem Bundesstaat aber ohne nennenswerten Erfolg. | |
| ## Ungewöhnlich hoher Minderheitenanteil | |
| In Kerala, das kleiner ist als die Schweiz, stellen Hindus mit 55 Prozent | |
| nur eine knappe Mehrheit der 33 Millionen Einwohner, neben 27 Prozent | |
| Muslimen und 18 Prozent Christen. Ein für Indien ungewöhnlich hoher | |
| Minderheitenanteil, der bisher der Kongresspartei zugute kam, die als | |
| landesweit größte Oppositionspartei das Gegenstück zur rechten BJP | |
| darstellt. | |
| „2019 wurde propagiert, dass Rahul Gandhi [von der Kongresspartei] | |
| Premierminister wird“, sagt Shailaja der taz. Das sei der Grund, warum die | |
| CPI(M) bei den letzten Parlamentswahlen kläglich abgeschnitten habe. Die | |
| Wähler:innen wollten eine weitere BJP-Regierungszeit verhindern: „Die | |
| Menschen fürchten sich vor der BJP-Führung, da diese fundamentalistisch und | |
| gegen den Säkularismus ist“, so Shailaja. Doch bescherte Nordindien mit | |
| seiner großen Hindu-Mehrheit der BJP einen Erdrutschsieg. In Kerala dagegen | |
| gewann damals die Vereinigte Demokratische Front 19 der 20 Sitze. Nur ein | |
| Mandat ging an die CPI(M). | |
| „Unser Land darf nicht weiter so kapitalistisch regiert werden“, sagt | |
| Shailaja. „In Indien gibt es viele Millionäre, aber mehr als 60 Prozent der | |
| Menschen können ihre Lebensbedingungen nicht verbessern.“ In Kerala regiert | |
| die Linke seit 1957 im Wechsel mit der Kongresspartei: „Wir haben Gesetze | |
| erlassen, um das Leben der Armen zu verbessern, ein sozialistisches | |
| Planungsmodell“, sagt sie. Deshalb sei auch der Entwicklungsindex in Kerala | |
| hoch. Dort gebe es „smarte Klassenzimmer auch in ländlichen Regionen“. | |
| [3][Die Bewältigung etwa des Nipahvirus oder der Coronapandemie] habe den | |
| „kommunistischen Traum“ bestätigt, schreibt sie in ihrer Biografie. | |
| ## Konkurrenz von der Kongresspartei | |
| Vom Parlamentssitz in Delhi muss sie aber noch träumen. Denn ihr steht ein | |
| starker Konkurrent der Kongresspartei gegenüber: Shafi Parambil, ebenfalls | |
| Abgeordneter im Landesparlament, hat schon den BJP-Kandidaten lokal | |
| besiegt. Shailaja wird es gegen den 41-jährigen Parambil schwer haben. Der | |
| muslimische Politiker ist insbesondere unter den muslimischen | |
| Wähler:innen populär. Wie bei „Teacher“ kamen auch zu seiner Kundgebung | |
| viele Frauen, die ihn bei einem Auftritt am Strand feierten, als wäre er | |
| schon Sieger. „Wir brauchen eine säkulare demokratische Regierung, wir | |
| brauchen Rahul Gandhi, um diese Nation zu führen“, sagt er der taz. Die | |
| Bevölkerung bedauere, 2021 die Kommunisten gewählt zu haben. | |
| Parambil teilt auch gegen Premierminister Modi von der BJP aus. „Ich | |
| brauche uneingeschränkte Unterstützung“, bittet er seine Anhänger. Dabei | |
| hofft er auch auf Stimmen der Inder:innen, die in den Golfstaaten arbeiten | |
| und extra zur Wahl anreisen. Die Diaspora-Organisation Kerala Muslim | |
| Cultural Centre (KMCC) will 10.000 ihrer Mitglieder zur Wahl einfliegen | |
| lassen. Dabei war der Wahlkreis Vadakara bis 2009 Kommunisten-Hochburg, | |
| doch seither konnte ihn die CPI(M) nicht zurückgewinnen. | |
| ## Kommunismus in Kerala hat lange Geschichte | |
| Die Wurzeln des Kommunismus in Kerala liegen im Widerstand gegen die | |
| britische Kolonialherrschaft, gegen das Kastensystem und im Engagement für | |
| eine Landreform. Der Kommunismus wurde für viele Teil ihrer Identität. In | |
| den 1970er und 1980er Jahren war es nicht ungewöhnlich, dass Eltern ihre | |
| Kinder „Stalin“ oder „Pravda“ nannten. Einst waren Indiens kommunistisc… | |
| Parteien in den Bundesstaaten Westbengalen, Kerala und Tripura am | |
| stärksten. Doch war der Kommunismus in Indien früher wesentlich populärer. | |
| Der heutige Star der Kommunisten, Generalsekretär Sitaram Yechury, kommt | |
| aus diesen „goldenen Zeiten“. Er spricht in Keralas Hauptstadt | |
| Thiruvananthapuram (Trivandrum) bei Gluthitze zu einer großen | |
| Menschenmenge. Dabei greift er die BJP wie auch die Kongress-Partei an. | |
| Zwar gehören CPI(M) und Kongress zum breiten Oppositionsbündnis INDIA | |
| (Indian National Developmental Inclusive Alliance). Yechury argumentiert | |
| aber, dass die BJP nur durch das direkte Gegenüberstellen der | |
| kommunistischen Linken und der vom Kongress geführten Koalition in Schach | |
| gehalten werden kann. | |
| Besonders wettert Yechury gegen die BJP-Regierung in Delhi. Durch die | |
| Privatisierung des öffentlichen Sektors werde der nationale Reichtum | |
| Modi-nahen Unternehmen zur Verfügung gestellt, sagt er. Hinzu komme Modis | |
| hindunationalistischer Kurs. „Wir haben keine Angst vor Verhaftungen. Die | |
| Ängstlichen haben die Kongresspartei verlassen und sind zur BJP | |
| übergelaufen“, ruft Yechury. | |
| Auch Parvathi, eine junge Juristin und Mitglied der CPI(M), ist zur | |
| Kundgebung gekommen. Sie ist besorgt über die von der BJP verkündeten | |
| Reformen wie das Staatsbürgerschaftsgesetz CAA, durch das sich Muslime | |
| benachteiligt fühlen. Sie hofft, dass die Kommunisten über Kerala hinaus | |
| wieder stärker werden. | |
| Präsent ist ihre Partei auch auf dem Campus des Universitätskrankenhauses | |
| in der Landeshauptstadt. Mitglieder der Jugendorganisation verteilen dort | |
| kostenlose Mahlzeiten an Patienten und ihre Angehörigen. Hier sind die | |
| Linken nah an der Realität der ärmeren Bevölkerung. | |
| ## Kampf um Indiens politische Richtung | |
| Was man vom Kongress-Abgeordneten Shashi Tharoor nicht unbedingt sagen | |
| kann. „Diese Wahl ist in vielerlei Hinsicht ein Kampf für Indien“, sagt der | |
| frühere Top-Diplomat Tharoor der taz. „Wir erwarten von den Menschen eine | |
| klare Antwort auf die Frage, ob sie den bisherigen Weg weitergehen wollen. | |
| Der bedeutet ein gewisses Maß an Autokratie, einen starken | |
| Hindunationalismus und einen gewissen [4][Missbrauch der nationalen | |
| Ermittlungsbehörden] wie auch die Unterdrückung der Opposition.“ | |
| Allerdings hat Tharoors Kongress auch in Kerala organisatorische Probleme, | |
| obwohl die Partei landesweit präsent ist. Die CPI(M) ist nur ein wichtiger | |
| Akteur in Kerala. Die BJP kämpft derweil darum, sich zu etablieren, sagt | |
| Professor G. Gopa Kumar. Er leitete einst die Abteilung für | |
| Politikwissenschaft an der Uni Kerala. Die CPI(M) hofft dort jetzt auf | |
| fünf, sechs Parlamentssitze. „Doch mehr als zwei werden sie wohl nicht | |
| bekommen“, sagt er der taz. | |
| Die CPI(M) sei auf nationaler Ebene nicht mehr wichtig. Anders noch bei den | |
| Landtagswahlen in Kerala: „Die Regierung erhielt viel Anerkennung für ihr | |
| effektives Krisenmanagement während der Pandemie und der Überschwemmungen“, | |
| sagt Kumar. Bis 2022 gab es kaum Korruptionsvorwürfe gegen ihre Regierung. | |
| Doch jetzt sei das positive Image verblasst. Zudem sei die konventionelle | |
| Linke stark geschrumpft, habe sich neoliberaler Politik angepasst. Indiens | |
| Linke steckt seit Jahren in der Krise, die CPI (M) hat viele Sitze verloren | |
| und im Mehrheitswahlsystem kaum noch Chancen. Insgesamt halbierte sich die | |
| Zahl der Sitze der CPI (M) und der konkurrierenden kommunistischen Partei | |
| Indiens (CPI) von zehn auf fünf. 2004 hatte die linke Partei noch insgesamt | |
| 43 Sitze beziehungsweise fünf Prozent der Mandate. | |
| Kerala ist jetzt der einzige Bundesstaat, in dem die CPI (M) die Regierung | |
| stellt. Viele Wähler:innen sehen in ihr keine Alternative mehr. Dabei | |
| spielt auch [5][das schlechte Image der Naxaliten], Indiens bewaffnet | |
| kämpfenden Maoisten, eine Rolle. Einst haben sie mit Sprengstoffanschlägen | |
| versucht, Wahlen zu verhindern. Der letztlich zu Sozialdemokraten mutierten | |
| CPI(M) droht außerhalb Keralas der Absturz in die Bedeutungslosigkeit. | |
| Trotzdem gibt „Teacher“ nicht auf. „In Delhi kann ich mich für Säkulari… | |
| einsetzen und dafür, dass Kerala einen fairen Anteil seiner gezahlten | |
| Steuern zurückbekommt, der uns jetzt verweigert wird.“ | |
| Mitarbeit: K.S. Ashik | |
| 25 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Natalie Mayroth | |
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