# taz.de -- Biografie Klaus Nomi: Ein viel zu kurzes Sängerleben | |
> Spaciges Outfit, überragende Stimmgewalt: Klaus Nomi war ein ästhetisches | |
> Gesamtkunstwerk. Monika Hempel hat eine Biografie geschrieben. | |
Bild: Total Eclipse: 1973 zog Klaus Nomi nach New York und fiel David Bowie auf… | |
Do you Nomi?“, erkundigte sich der Mitte der siebziger Jahre nach New York | |
gezogene Klaus Jürgen Sperber bei neuen Bekanntschaften in Anspielung auf | |
seinen Künstlernamen, was klingt wie: „Do you know me? – Kennen Sie mich?�… | |
Doch das war eine rhetorische Frage. Wurde doch [1][der in jeder Hinsicht | |
extravagante Klaus Nomi] aufgrund seiner schrillen Outfits in der | |
Undergroundszene am Hudson River bekannt wie ein bunter Hund. Mehr noch: | |
Niemand konnte singen wie der schwule Nebenerwerbskonditor aus dem Allgäu. | |
Wirklich keiner. Seine Singstimme war Kontertenor, die höchste Stimmlage, | |
die den damaligen Konventionen gemäß nur Frauen oder, in graueren | |
Vorzeiten, Kastraten vorbehalten war. | |
Wahrlich eine „Stimme im Orbit“, wie der Untertitel von Monika Hempels Buch | |
über Nomi lautet. Ihre Biografie zeichnet den Lebensweg des 1944 in | |
Immenstadt geborenen Kriegskindes nach, der keine 40 Jahre alt wurde. Nomi | |
starb als eines der frühesten Aids-Opfer einen einsamen Krankenhaustod, | |
verlassen von allen. | |
In Nomis faszinierendem Lebensweg überschneidet sich die Geschichte der | |
erfolgreichen Selbstbefreiung eines schwulen Arbeiterkindes in widrigen | |
Zeiten mit der Tragödie eines Genre- und Gendergrenzen transzendierenden | |
Ausnahmekünstlers, der aufgrund seines vorzeitigen Todes nie sein volles | |
Potential hat realisieren können. | |
## In Deutschland vergessen | |
In seinem Heimatland ist er mittlerweile weitgehend vergessen – zu Unrecht. | |
Umso verdienstreicher, dass Monika Hempel Klaus Nomi durch ihr detailliert | |
recherchiertes Buch wieder in unser Bewusstsein hebt. Nicht nur | |
konsultierte sie seinen Nachlass, die Biografin sprach ebenso mit vielen | |
Lebensgefährten, Freundinnen und Bekannten des Sängers. | |
Seine Gesangslehrer an der Berliner Universität der Künste hatten ihm | |
verunmöglicht, die angestrebte Karriere als Opernsänger zu machen. Bis zur | |
Deutschen Oper brachte es Klaus Sperber daher lediglich als Platzanweiser, | |
der mit seiner einzigartigen Stimmgewalt auf der Bühne nur außerhalb der | |
Öffnungszeiten vor seinen Kollegen singen konnte. | |
Notgedrungen verlegte sich Sperber daher auf ein Repertoire aus Popsongs | |
und Opernarien, mit dem er in den Schwulenlokalen West-Berlins wie dem | |
legendären „Kleist Kasino“ reüssierte. Seine grenzgängerische Stilmischu… | |
war eine Hommage an Sperbers musikalische Kindheitsidole, Elvis und Maria | |
Callas. Der große Zuspruch, den er für seine Auftritte erhielt, ermutigte | |
ihn dann 1973, nach New York zu ziehen. | |
## Einladung von David Bowie | |
In dem kreativen Mekka, das New York Mitte der 1970er darstellte, wollte | |
Sperber jene Karrierechance zu ergreifen, die ihm in Deutschland verwehrt | |
geblieben war. Und da er trotz aller Widrigkeiten von elender Armut bis | |
fehlender Arbeitserlaubnis eisern durchhielt, erhielt er diese Chance. | |
Nämlich in Form einer Einladung von David Bowie, ihn bei einem | |
prestigeträchtigen Auftritt in der TV-Show „Saturday Night Live“ als | |
Backgroundsänger zu unterstützen. | |
Bowie, der britische Superstar, war auf den deutschen Paradiesvogel nicht | |
nur aufgrund seines Repertoires aufmerksam geworden, sondern vor allem | |
wegen des singulären Stylings aus Kostümen, Schminke und | |
Bühneninszenierung. | |
Als die beiden zur Vorbereitung des Auftritts ein erstes Gespräch führten, | |
stellte sich heraus, dass sie sich bereits vorher begegnet waren. Als Bowie | |
nach Ende des japanischen Asts der „Ziggy Stardust“-Tour mit der Eisenbahn | |
von Moskau nach Paris reiste, legte er einen Zwischenstopp in Berlin ein. | |
Am Bahnhof Zoo empfing ihn eine Fanmenge, zu der auch Klaus Sperber | |
gehörte. | |
Er diente sich dem Superstar sogar als Kofferträger an. Da man zudem | |
gemeinsame Freunde in Berlin hatte, ergab sich bald ein reger Kontakt | |
zwischen den Sängern, die beide auf ihre Weise mit dem Styling als | |
Außerirdische spielten. | |
## Aus Sperber wird Nomi | |
Sperber, der sich bald nach der Ankunft in den USA in Nomi umbenannt hatte, | |
[2][wirkte wie ein Alien, der sich in retro-futuristischen Outfits auf der | |
Bühne als androgynes Zwitterwesen darstellte], das man hilflos einzuordnen | |
versuchte etwa als „singenden Mutanten“, „galaktischen Pierrot“ oder | |
„kastrierten Weltraumroboter“. | |
Nomis Erscheinung war ein ästhetisches Gesamtkunstwerk, zu dem neben dem | |
spacigen Outfit auch der starre Blick, die roboterhaften | |
Mensch-Maschinen-Bewegungen und die starre Mimik unter dem dick | |
aufgetragenen Make-up gehörten, bei dem sein Gesicht weiß gepudert war und | |
die Lippen mit schwarzer Lackfarbe scharfkantig akzentuiert wurden. Hinzu | |
kam der bewusst forcierte deutsche Akzent, mit dem Nomi seine | |
Fremdartigkeit noch betonte. | |
All dies sorgte dafür, dass er nicht nur eine queere Androgynität | |
ausstrahlte, sondern sich geradezu die Frage aufdrängte: War das überhaupt | |
ein Mensch oder nicht? Nomi nämlich verkörperte eine Androgynität jenseits | |
aller Androgynität. | |
Bowie sang bei seinem TV-Auftritt eine fulminante Version von „The Man Who | |
Sold The World“, während Nomi wie eine eigentümliche Mischung aus Graf | |
Dracula und Alien hinter ihm stand. Zwar verabredete man weitere | |
Kollaborationen – Bowie meldete sich aber nie mehr. Dass Nomi keine vier | |
Jahre nach dem gemeinsamen Auftritt tot sein würde, konnte damals niemand | |
ahnen. | |
## Publicity-Boost | |
Der Coup eines Auftritts mit Bowie gab Klaus Nomi dennoch den | |
Publicity-Boost, um endlich sein Debütalbum aufnehmen zu können, das nach | |
diversen Irrungen und Wirrungen schließlich 1981 titellos als „Klaus Nomi“ | |
beim Majorlabel RCA erschien, für das damals auch Bowie tätig war. | |
Und plötzlich nahm man den vertriebenen Sänger – der sich in New York | |
jahrelang finanziell so gerade durchgeschlagen hatte, indem er Linzer | |
Torten und Zitronenkuchen an renommierte Institutionen wie das Guggenheim | |
Museum lieferte – auch in Deutschland wahr. Nomi trat Mitte 1982 sogar in | |
Thomas Gottschalks TV-Sendung „Na sowas!“ mit seinem Hit „Total Eclipse“ | |
auf und stand, von einem großen Orchester begleitet, im Dezember des | |
gleichen Jahres auf der Bühne der vom Bayerischen Rundfunk übertragenen | |
„Klassik-Rock-Nacht“. | |
Klaus Sperbers utopischer Traum vom Erfolg als Sänger hatte sich über den | |
Umweg New York also erfüllt, jedoch war er bei seinen deutschen | |
TV-Auftritten bereits erkennbar geschwächt. Zurückgekehrt in seine | |
Wahlheimat, ging es bergab mit seiner Gesundheit. David Bowie hatte ihn | |
zwar versetzt, doch als durch Nomis lange Krankenhausaufenthalte in New | |
York eine immense Rechnung auflief, die der vom Tod gezeichnete Nomi nicht | |
bezahlen konnte, sprang Bowie diskret ein und beglich die komplette Summe. | |
## Klaus Nomi stirbt einsam an Aids | |
Hempels reich illustrierte Biografie zeichnet den letzten Abschnitt im | |
Leben von Klaus Nomi in trauriger Ausführlichkeit nach. Sie zeigt, wie | |
unfassbar herzlos man zu Beginn der Epidemie, die damals [3][noch | |
„Schwulenpest“ hieß] und als über die Luft übertragbar galt, mit den | |
Todgeweihten umging. Nomi starb einsam, nur seine des Englischen unkundige | |
Mutter kümmerte sich um ihn. Anfang August 1983 war er tot. | |
Während seiner Trauerfeier, so kolportiert Hempel, sei ein Gewitter | |
losgebrochen, das die Gedenkreden an Nomi mit lauten Donnerschlägen | |
begleitete. Ein fulminantes Ende für das viel zu kurze Leben des Klaus | |
Sperber, dessen Asche wunschgemäß über New York verstreut wurde. R.I.P. | |
Klaus Nomi, Ausnahmeerscheinung. | |
30 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Musiktheater-in-Berlin/!5664319 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=TnkVgKzKPt8 | |
[3] /Aids-in-der-Bundesrepublik/!5505290 | |
## AUTOREN | |
Uwe Schütte | |
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