| # taz.de -- Musiktheater in Berlin: Unwillingly and Slow | |
| > Ein Gastspiel aus Hamburg macht sich im Theaterdiscounter an die | |
| > „Obduktion“ der 1983 verstorbenen New-Wave-Ikone Klaus Nomi. Ein Porträt. | |
| Bild: Annäherung an die Kunstfigur Klaus Nomi im Theaterdiscounter | |
| Der Frost trug Schnallenschuhe, als er am 9. Dezember 1982 die Bühnentreppe | |
| der Rudi-Sedlmayer-Halle in München nahm. In ein samtrotes Oberteil hatte | |
| er sich geworfen und eine Halskrause umgelegt, so schneeweiß wie die | |
| Gesichtsmaske, aus der seine Augen stachen und über der die Frisur thronte, | |
| eine pechschwarze, dreizackige Krone. | |
| Das Orchester des Bayerischen Rundfunks spielte ein | |
| dunkel-minimalistisches, sich wiederholendes Streichermotiv, und der Frost | |
| begann seinen Gesang: „What power art thou / Who from below / Hast made me | |
| rise / Unwillingly and slow / From beds of everlasting snow.“ Das Lied und | |
| dessen altertümliche Diktion hatte er der Semi-Oper „King Arthur“ des | |
| britischen Barockkomponisten Henry Purcell entnommen und als „The Cold | |
| Song“ auf seinem ein Jahr zuvor erschienenen Debütalbum veröffentlicht. | |
| Der Frost hörte auf den Namen Klaus Nomi, der ein Pseudonym war für Klaus | |
| Sperber, geboren im Januar 1944 im bayrischen Immenstadt. Der Countertenor | |
| Klaus Nomi hat sich in die Geschichte eingeschrieben als einer, der in | |
| seiner Musik die Ästhetik von New Wave und Oper zusammenbrachte, als einer, | |
| dessen Zukunftsentwurf am Beginn der 80er Jahre auf den Dadaismus der 20er | |
| Jahre zurückgriff, und als ein Rätsel. Denn auch das war der Eindruck, den | |
| der Regisseur Jens Bluhm von Klaus Nomi hatte, nachdem ein Musikerfreund | |
| ihm ein VHS-Video der Münchner Performance geschickt hatte. | |
| Nomi wurde im August 1983 in New York zu einem der ersten prominenten | |
| Aids-Toten, der grobkörnige Mitschnitt des „Cold Songs“ dokumentiert seinen | |
| letzten öffentlichen Auftritt und wurde zur Initialzündung von Bluhms | |
| Produktion „Obduktion einer Kunstfigur – Klaus Nomi“. Der Auftritt | |
| irritiert in der Tat. Es ist naheliegend zu meinen, dort sei ein vom Tod | |
| bereits Gezeichneter auf die Bühne gegangen. | |
| Doch Nomis Gestik, die Arm- und Handbewegungen, als versuche er sich in der | |
| Luft festzuhalten, die angespannte Synthese aus Dracula und Roboter, | |
| verleiteten Meredith Nichols, die Sängerin in Bluhms Stück, zu dem Satz: | |
| „Der war einfach hoch konzentriert und wusste, er steht vor einer Kamera.“ | |
| Der Münchner Mitschnitt gehört zu dem, was Jens Bluhm Nomis „Geister im | |
| Internet“, seine „medialen Überreste“ nennt, die jeder Zuhörer und | |
| Betrachter selbst zusammensetzen muss. Gesichert ist, dass der Auftritt im | |
| Rahmen der Reihe „Klassik-Rock-Nacht“ des Musikers, Dirigenten und | |
| Komponisten Eberhard Schoener stattfand, die dieser zwischen 1980 und 1985 | |
| mit dem Bayerischen Rundfunk veranstaltete. | |
| An Nomis Abend stand unter anderem auch Ultravox auf der Bühne, eine Band, | |
| die aus dem Art Punk kam und welche die Süddeutsche Zeitung als „die | |
| führenden Vertreter elektronisch aufbereiteter Rockmusik“ feierte. | |
| Etwas kühn, doch deutet es den Kontext an, aus dem Klaus Nomi kam. Seit | |
| Teenagertagen Fan von Pop- und Opernmusik, war Nomi, als er noch Sperber | |
| hieß, über Essen nach Westberlin gegangen, wo er an der Deutschen Oper als | |
| Platzanweiser arbeitete, eine Gesangsausbildung absolvierte und in der | |
| Schöneberger Schwulenbar Kleist-Kasino Opern und Arien sang. | |
| 1973 zog es Klaus Sperber nach New York, und dort, in der Underground-Szene | |
| des East Village, wurde aus ihm Klaus Nomi und auf ihn David Bowie | |
| aufmerksam. Bowies Antennen signalisierten Extravaganz, er engagierte Nomi | |
| und seinen Compagnon, den Drag-Künstler Joey Arias, 1979 für einen Auftritt | |
| bei der Fernsehshow „Saturday Night Live“. | |
| Noch war Klaus Nomi der Sidekick von einem, der es längst zum Gestirn | |
| gebracht hatte, doch die Art und Weise, wie er und Arias Bowie einem | |
| Altarbild ähnlich ans Mikrofon und wieder zurück tragen, deutet nicht nur | |
| an, dass da wer noch etwas in petto hat. | |
| Bowies Bühnenoutfit, welches ihm das Gehen verunmöglichte, war ein | |
| sperriger, dem Dadaisten Tristan Tzara abgeguckter Anzug, und inspirierte | |
| jenes Outfit, das auf den Covern von Nomis selbstbetiteltem Debütalbum und | |
| den beiden daraus ausgekoppelten Singles „Total Eclipse“ und „You Don’t… | |
| Me“ ikonografisch werden sollte: den Smoking, welcher den eher schmalen | |
| Klaus Nomi zu einem schwarz-weißen Warndreieck machen sollte. | |
| Nomi war ein Kunstgeschöpf durch und durch. Jens Bluhm sagt aber auch, er | |
| möchte „einen Raum öffnen, in dem sich Musik und Theater gleichberechtigt | |
| treffen“. Klaus Nomis Musik nämlich tritt nicht selten hinter die schrille | |
| Inszenierung zurück, von der sie schwer zu trennen scheint. | |
| Es lohnt sich, noch mal hinzuhören: Dass Nomi gerne coverte, ist bekannt; | |
| neben Henry Purcell interpretierte er den Romantiker Camille Saint-Saëns | |
| und den Renaissance-Komponisten John Dowland. Aus „The Twist“, dem | |
| legendären Up-tempo-Song des Rhythm and Blues-Songwriters Hank Ballard, | |
| machte Nomi einen geradezu unheimlichen Funk Rock in Zeitlupe. „Keys of | |
| Life“, die Eigenkomposition, mit der Nomi sein Albumdebüt eröffnete, wäre | |
| mit ihren Keyboardtupfern und Nebelstimmen um 2010 glatt als Witch House | |
| durchgegangen. | |
| Klaus Sperber alias Nomi mag eine Stimme aus den 80ern sein und hat Marc | |
| Almond, eine andere Ikone jenes mythischen Jahrzehnts, inspiriert. Nach der | |
| Jahrtausendwende waren es Antony and the Johnsons und 2016 die Pet Shop | |
| Boys, bei denen Nomi indirekt oder direkt zu hören war. | |
| Ein Mann der Zeit? Er interpretierte Friedrich Hollaenders „Ich bin von | |
| Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“. Und da, wo Marlene Dietrich von den | |
| Männern singt, die sie umschwirren „wie Motten das Licht“, intoniert Klaus | |
| Nomi bei einer Gelegenheit: „Leute“, bei anderer: „Menschen“. | |
| 27 Feb 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Robert Mießner | |
| ## TAGS | |
| Musikgeschichte | |
| Musiktheater | |
| David Bowie | |
| Performance | |
| wochentaz | |
| Musik | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Biografie Klaus Nomi: Ein viel zu kurzes Sängerleben | |
| Spaciges Outfit, überragende Stimmgewalt: Klaus Nomi war ein ästhetisches | |
| Gesamtkunstwerk. Monika Hempel hat eine Biografie geschrieben. | |
| Performance über Avantgarde-Sängerin: Hemmungslos humorvoll | |
| Das Hamburger Künstler*innen-Kollektiv Picnic obduziert Cathy Berberian. | |
| Der Sängerin war Klangkunst-Avantgarde so nahe wie großes Entertainment. |