# taz.de -- Sozialstaat in Deutschland: Linnemann zeigt Folterwerkzeuge vor | |
> Die CDU will das „Bürgergeld“ wieder abwickeln und durch eine „Neue | |
> Grundsicherung“ ersetzen. Das Ziel: mehr Kontrolle, mehr Sanktionen. | |
Bild: „Der Begriff ‚Bürgergeld‘ führt in die Irre“, sagt Carsten Linn… | |
BERLIN dpa/afp/epd | Die CDU will es Menschen ohne Arbeit deutlich schwerer | |
machen, staatliche Leistungen zu erhalten. Am Montag verabschiedete der | |
CDU-Bundesvorstand in Berlin ein entsprechendes Konzept – einstimmig, wie | |
Generalsekretär Carsten Linnemann anschließend betonte. Demnach will die | |
CDU das [1][„Bürgergeld“] in der jetzigen Form wieder abschaffen und es | |
durch eine „Neue Grundsicherung“ ersetzen. „Der Begriff ‚Bürgergeld‘… | |
in die Irre“, begründete Linnemann den neuen Begriff. „Er suggeriert, dass | |
es jedem Bürger zusteht.“ | |
[2][Mehr Sanktionen] sollen nach dem Willen der Union schneller und härter | |
greifen. Lehnt ein arbeitsfähiger Grundsicherungsempfänger ohne Grund eine | |
zumutbare Arbeit ab, solle der Bezug staatlicher Unterstützung im | |
Extremfall ganz gestoppt werden können. Arbeitsagenturen sollen mit | |
Empfängerinnen und Empfängern staatlicher Leistungen verbindliche | |
Vereinbarungen treffen, der Erhalt soll noch stärker an Bedingungen | |
geknüpft werden. | |
„Wir werden ein gerechtes System schaffen, indem wir vor allen Dingen für | |
die Menschen da sind, die Hilfe bedürfen“, sagte Generalsekretär Carsten | |
Linnemann nach Sitzungen der CDU-Spitzengremien am Montag in Berlin. In | |
einer Zeit des wachsenden Arbeitskräftemangels und begrenzter staatlicher | |
Ressourcen müssten mehr Arbeitskräfte mobilisiert werden, sagte er. Die | |
Hürde für den Bezug staatlicher Hilfen müssten erhöht werden. Dem Einzelnen | |
müsse wieder mehr Eigenverantwortung abverlangt werden. „Das ist CDU pur“, | |
betonte Linnemann. | |
## Kaum echte „Totalverweigerer“ | |
Auch an anderer Stelle will die CDU Verschärfungen. Das Schonvermögen soll | |
herabgesetzt werden, die jährliche Erhöhung der Zahlungen begrenzt werden. | |
Das Konzept wird auch vom Arbeitnehmerflügel der CDU unterstützt. Aktuell | |
gebe es „leider eine abnehmende Akzeptanz des Bürgergelds“, sagte der | |
nordrhein-westfälische Sozialminister Karl-Josef Laumann. „Der normale | |
Bürger sieht jeden Tag auf Schritt und Tritt, dass es einen | |
Arbeitskräftemangel gibt“, fügte er hinzu. | |
Gerade bei Menschen, die für wenig Lohn arbeiteten, schwinde das | |
Verständnis für die Zahlungen an Menschen, die nicht arbeiten wollten, | |
sagte Laumann. Zugleich hob Laumann hervor, dass die Zahl der so genannten | |
Totalverweigerer, die eine zumutbare Arbeit ablehnten, „sehr sehr gering“ | |
sei. | |
Vertreter von SPD und Grünen übten scharfe Kritik an dem CDU-Konzept. Das | |
Konzept sei „auf Stimmungsmache gegen Menschen mit wenig Geld ausgelegt“, | |
kritisierte Grünen-Chefin Ricarda Lang. SPD-Chef Lars Klingbeil hatte am | |
Wochenende von einem „Angriff auf den Sozialstaat“ gesprochen. | |
## Kritik der Sozialverbände | |
Auch die kirchlichen Sozialverbände Diakonie und Caritas kritisieren die | |
Pläne der CDU. Die geplante Verschärfung der Sanktionen bei | |
Arbeitsverweigerung seien „populistisch“. „Das ist verantwortungslos“, | |
sagte Diakonie-Vorstand Maria Loheide am Montag in Berlin. Menschen, die | |
auf Grundsicherung angewiesen sind, hätten laut Loheide mit erheblichen | |
Problemen zu kämpfen und benötigen wirksame Unterstützung zur Eingliederung | |
in den Arbeitsmarkt. „Die ständigen Debatten über Sanktionen auf dem Rücken | |
der Schwächsten gehen an der Realität vorbei“ | |
Ein Großteil der Grundsicherungsempfänger sei entweder nicht erwerbsfähig | |
oder stehe dem Arbeitsmarkt derzeit nicht zur Verfügung“, sagte | |
Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa. Sie verwies auf die jüngsten | |
Zahlen der Bundesagentur für Arbeit vom Februar 2024: Danach sei für | |
700.000 erwerbsfähige Leistungsberechtigte (18 Prozent) eine Arbeit derzeit | |
nicht zumutbar, weil sie zum Beispiel kleine Kinder betreuen, Angehörige | |
pflegen oder zur Schule gehen. | |
Loheide wies zudem darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht 2019 das | |
klare Urteil gesprochen habe, dass das Existenzminimum besonders geschützt | |
sei. „Dieses Urteil wurde mit dem Bürgergeld umgesetzt. An dieses Urteil | |
wäre jede Bundesregierung gebunden. | |
## FDP und CSU freuen sich | |
Die FDP hingegen begrüßte das CDU-Konzept. Sie warf den Christdemokraten | |
aber zugleich Ideenklau vor. „Es ist schön zu sehen, dass die CDU der FDP | |
jetzt programmatisch folgt“, sagte FDP-Vizefraktionschef Christoph Meyer | |
der Nachrichtenagentur AFP. CDU-Chef Friedrich Merz treibe damit „die | |
[3][Abwicklung der sozialdemokratisierten Merkel-CDU] scheinbar weiter | |
voran“. Ähnlich sieht das die CSU. Man unterstütze die CDU-Pläne und halte | |
sie für absolut richtig, sagte Parteichef Markus Söder am Montag nach einer | |
CSU-Vorstandssitzung in München. „Wir empfinden es ohnehin seit Monaten so, | |
dass CDU und CSU da echt im Gleichklang marschieren.“ | |
An der Vorstellung des Sozialstaatskonzepts in der Berliner CDU-Zentrale | |
nahm auch Rainer Schlegel, der frühere Präsident des Bundessozialgerichts, | |
teil. Er erklärte, die geplante Streichung von Zahlungen an | |
Totalverweigerer wäre rechtlich „ganz klar“ möglich. | |
Politisch gehe es in diesem Punkt aber auch um ein Signal, sagte der | |
Ex-Gerichtspräsident. „Es gibt eine kleine Minderheit, die mit ihrem | |
Verhalten das gesamte System diskreditiert und seine Akzeptanz gefährdet“, | |
so Schlegel. „Sie diskreditiert auch diejenigen, die in dem System sind, | |
und stößt denen auf, die das System durch ihre Sozialabgaben bezahlen | |
müssen.“ | |
18 Mar 2024 | |
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