Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Entwurf für das CDU-Grundsatzprogramm: Nichts mehr mit Solidität
> Im Entwurf für das neue Grundsatzprogramm setzt die CDU bei Asylverfahren
> und Aufnahme Flüchtender auf Drittstaaten. Eine illusorische Vorstellung.
Bild: Der Parteivorsitzende Merz und Generalsekretär Linnemann gehen zur Press…
Als die Union 2019 ihren Markenkern formulierte, stand das Wort „solide“
noch in der Überschrift. Laut ihrer „Grundwertecharta“ von 2022 will sie
„die Zukunft gestalten, ohne übereilt dem Zeitgeist zu folgen.“ Die Werte
der Partei würden dieser „die notwendige Gelassenheit“ geben, um
„durchdachte Lösungen zu finden.“ Schön wär’s. Dieser Tage ist die CDU
dabei, ein neues Grundsatzprogramm zu formulieren. Zumindest in Sachen
Migrationspolitik ist von der Solidität, mit der sich die Partei immer
brüstete, nichts übrig.
Windiger als das [1][im vorläufig angenommenen Programmentwurf] zur
Flüchtlingsfrage Formulierte geht es kaum: „Jeder, der in Europa Asyl
beantragt, solle „in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort
ein Verfahren durchlaufen“. Im Falle eines positiven Bescheids solle der
sichere Drittstaat dem Antragsteller „vor Ort Schutz gewähren“. Das ist, um
es vorweg zu nehmen, ein in der Form völlig illusorischer Plan.
Zu einer der zentralen politischen Fragen fällt den Konservativen, geplagt
vom Erfolg der AfD, nur eine Luftnummer ein. Die Menschen sollen nicht bloß
– wie es dem „Migrationsbeauftragten“ der Ampel, dem FDPler Joachim Stamp,
vorschwebt – in ein wohl afrikanisches Land gebracht werden und nach einer
Anerkennung in die EU einreisen können. Die Anerkannten sollen vielmehr
dauerhaft dort bleiben. Lediglich über im CDU-Papier vage genannte
freiwillige Aufnahmekontingente soll eine Einreise möglich bleiben.
Das geht weit über das hinaus, was hierzulande bisher in Sachen
Asylrechtsverschärfung diskutiert wurde. Die CDU könnte den Leuten genauso
gut versprechen, die Flüchtlinge auf den Mond zu verfrachten. In Afrika
wenden sich die Regierungen gerade in Scharen vom Westen ab, gehen
Allianzen mit Russland, China, den Golfstaaten ein. Der Westen wird
zunehmend als kolonialer Akteur wahrgenommen und muss diplomatische
Rückschläge hinnehmen.
## Dänemark und Großbritannien machen es vor
Die EU hatte seit 2015 mit größtem Nachdruck versucht, afrikanische Staaten
als Grenzschutz-Partner aufzubauen – mit durchwachsenem Erfolg.
Afrikanischen Ländern nun die Flüchtlinge aus der ganzen EU auf Dauer
aufhalsen zu wollen, ist da Realitätsverweigerung, von moralischen Fragen
gar nicht zu reden.
Den selben Plan verfolgten ab 2020 auch Dänemark und Großbritannien.
Dänemark hatte dafür unter anderem bei Libyen, Tunesien, Marokko, Ägypten
und Sudan angefragt, bevor es Verhandlungen mit Ruanda aufnahm. Die
[2][Afrikanische Union (AU) kommentierte das dänische Ansinnen] damals
wütend: „Wir verurteilen auf das Schärfste das kürzlich verabschiedete
dänische Ausländergesetz, das vorsieht, Asylbewerber während der
Bearbeitung in Länder außerhalb der EU abzuschieben.“
Schon 2019 – die EU hatte einen ähnlichen Plan ins Gespräch gebracht –
beschloss die Vollversammlung der AU, dass keines ihrer 52 Mitglieder ein
solches Asylzentrum zulassen würde. Es war klar: Jedes Land, dass sich auf
einen solchen Plan einlässt, würde am Ende mit einer großen Zahl
gestrandeter Menschen zurechtkommen müssen. Dänemark scheiterte in Ruanda
offenbar an der Frage, was mit Abgelehnten geschehen solle, die nicht in
ihr Herkunftsland abgeschoben werden können.
Für diese wollte Dänemark dann ein weiteres Land zur Aufnahme überreden.
Ruanda hielt das zu recht für unrealistisch. Großbritannien soll bei rund
30 Staaten angefragt haben, bevor man mit Ruanda einig wurde. Ab Mitte 2022
sollten [3][alle in UK ankommenden Asylsuchenden nach Ruanda] geflogen
werden – und im Fall der Anerkennung dort bleiben. Also das, was sich nun
auch die CDU für die ganze EU vornimmt.
## Schicksal der Abgelehnten offen
Was mit den in Ruanda Abgelehnten geschehen soll, die nicht in ihr
Herkunftsland abgeschoben werden können, ist offen. Bis heute ist kein
einziger Flüchtling nach Kigali gebracht worden, weil [4][britische
Gerichte] dies zwei Mal unterbanden. Bis 2023 hat London dennoch schon 240
Millionen Pfund nach Kigali überwiesen. London hält trotz
[5][Gerichtsbeschluss] an dem Plan fest – und die Tories gerieten schnell
auf staatspolitisch-moralische Abwege.
Am Tag nach dem letzten Gerichtsurteil im November 2023 empfahl der
stellvertretende Tories-Vorsitzende Lee Anderson, sich über den
Richterspruch hinwegzusetzen: „Ich denke, dass wir die Gesetze ignorieren
und sie noch am gleichen Tag zurückschicken sollten.“ Premier Rishi Sunak
sagte: „Meine Geduld ist erschöpft, die Geduld des britischen Volkes ist
erschöpft.“ Es sollte „keine innenpolitischen Blockaden mehr geben, die uns
daran hindern, dieses Programm zu verwirklichen.“
Gerichtsurteile nur noch als lästige Hindernisse für die eigene Politik zu
betrachten, die man am besten einfach ignoriert – da landet, wer auf
zentrale politische Fragen nur abenteuerliche Antworten hat. Die Idee an
sich ist aber nicht neu. 2004 schlug Otto [6][Schily „Auffanglager“ für
Asylverfahren in Nordafrika] vor.
## Die Nerven liegen blank
2018 sagte Angela Merkels Afrika-Beauftragter Günter Nooke: „Vielleicht ist
der eine oder andere afrikanische Regierungschef bereit, gegen eine Pacht
ein Stück territoriale Hoheit abzugeben und dort für 50 Jahre eine freie
Entwicklung zuzulassen.“ Dort könnten dann in Wirtschaftssonderzonen
Migranten angesiedelt werden, „unterstützt von der EU“. Die CDU will bis
Ende März über den Entwurf beraten. Dass sie ein praktisch undurchführbares
Konzept ins Zentrum ihrer Asylpolitik stellt, zeigt, wie blank ihre Nerven
liegen.
Entweder beendet die demokratische Mitte die illegale Migration nach
Deutschland – oder illegale Migration „beendet die demokratische Mitte in
Deutschland“, so [7][Fraktionsvize Jens Spahn] kürzlich. Wenn wir mit den
Flüchtlingen nicht aufräumen, räumt die AfD mit uns auf – das ist die
Sorge. Aber eine konservative Partei ist schlecht beraten, ihre politische
Kultur soliden Regierens aufzugeben und selbst in den Modus der Populisten
zu wechseln.
15 Feb 2024
## LINKS
[1] https://assets.ctfassets.net/nwwnl7ifahow/2EL5GCfZkrwIGaWfsW0zAB/64d5811f7d…
[2] https://au.int/en/pressreleases/20210802/press-statement-denmarks-alien-act…
[3] /Grossbritanniens-Ruanda-Deal/!5978500
[4] /Britisches-Urteil-zu-Abschiebungen/!5969764
[5] https://www.supremecourt.uk/cases/uksc-2023-0093.html
[6] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/fluechtlingspolitik-rechte-sozia…
[7] https://www.youtube.com/watch?v=uoX-Jfd4pIY
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
CDU
Immigration
Flucht
Menschenrechte
Wahlen in Ostdeutschland 2024
Ruanda
Schwerpunkt Europawahl
Asyl
Großbritannien
Schwerpunkt Flucht
## ARTIKEL ZUM THEMA
CDU-Minister will Grundgesetz ändern: Die Lehren aus der Schoah
Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen will das individuelle Recht auf
Asyl aus dem Grundgesetz streichen. Das würde an den Fakten wenig ändern.
Reform des EU-Asylsystems: Drittstaaten-Deals und Abschreckung
Gegen Migration setzt die EU auf Lager an den Außengrenzen und
Kooperationen mit Transitländern. Manchen geht das nicht weit genug.
Europa-Programm der Union: Mit klar konservativer Handschrift
CDU und CSU beschließen ihr Programm für die Europawahl. Sie fordern
Aufrüstung, Asylrechtsverschärfungen und wirtschaftsfreundliche
Klimapolitik.
Neues EU-Asylrecht: Schnell einsperren, dann abschieben
Schnellverfahren an den Grenzen, internierte Kinder, direkte Abschiebungen:
Was sieht die Asyleinigung der EU vor?
Großbritanniens Ruanda-Deal: Abschieben, aber rechtssicher
Ein Vertrag zwischen Großbritannien und Ruanda soll die juristischen Hürden
gegen Deportationen von Asylsuchenden überwinden. Aber der Streit bleibt.
Asylverfahren in Drittstaaten: Die Verzweifelten irgendwo abladen
Italien will Schutzsuchende in Albanien verwahren, bis über ihre
Asylanträge entschieden ist. Entscheidet sich auch Deutschland für das
Modell?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.