# taz.de -- Polizeigewalt in Dessau: Sein Name war Rose | |
> Ein Familienvater stirbt 1997 schwerverletzt, kurz nachdem er in einem | |
> Dessauer Polizeirevier war. Jetzt zeigen seine Angehörigen vier | |
> Polizisten an. | |
Bild: Hans-Jürgen Rose, Anfang der 1990er Jahre | |
Dass es schlecht aussah, das hatte Michael N. sofort erkannt. „Ich hab | |
gleich gesagt, Mensch, hoffentlich hat der keine inneren Verletzungen oder | |
was.“ In der Nacht auf den 7. Dezember 1997 wird der Polizist N. zu einem | |
Wohnblock in der Dessauer Innenstadt gerufen. Schwer verletzt liegt vor dem | |
Haus ein Mann, nur einen Steinwurf entfernt von dem Revier, in dem N. | |
Dienst tat. „Der war mir fast am Abnippeln, ich musste den ja am Leben | |
halten.“ | |
N. ist heute Pensionär. Er steht im engen Flur eines Mietshauses in Dessau, | |
in blauem Camp-David-Sweatshirt und Jeans, drahtig, ein Ex-Kampfsportler, | |
Motorradfahrer. Fast eine Stunde spricht er mit der taz und berichtet von | |
dieser Nacht. „Es war schweinekalt, der hat geklappert wie ein Maikäfer.“ | |
Als Michael N. 2013 das letzte Mal zu den Ereignissen jener Nacht vernommen | |
wird, kann er sich wichtige Punkte „nicht mehr in seine Erinnerung | |
zurückholen“, so notiert es der Staatsanwalt. Aber heute, an diesem Freitag | |
im März, ist die Erinnerung wieder da. Er habe Verstärkung gerufen, sagt | |
er. „Ich hab gleich gesagt, alles ran hier, was ranzuholen ist.“ | |
Es dauert eine halbe Stunde, bis der Rettungswagen kommt. 28 Stunden | |
später, um 9.25 Uhr am 8. Dezember, stirbt der Mann im Städtischen Klinikum | |
Dessau an inneren Verletzungen, die kurz vor seinem Tod eine | |
Querschnittslähmung verursachen, übersät mit tiefen Hautunterblutungen, | |
zerquetschtem Hoden, Lungenabriss, von Schlägen auf den Kiefer waren Zähne | |
ins Gesicht durchgestoßen, ein Lendenwirbel so zertrümmert, dass der | |
Wirbelkanal offen liegt. Der Name des Toten war Hans-Jürgen Rose, ein | |
Maschinenbauingenieur aus Wolfen nahe Dessau. Als er stirbt, ist er 36 | |
Jahre alt, Vater dreier Kinder. | |
## Einer von drei Toten auf diesem Polizeirevier | |
Vier Stunden bevor Michael N. ihn vor dem Wohnblock Wolfgangstraße 15 | |
findet, war Rose von Polizisten in das nahe gelegene Dessauer Polizeirevier | |
in der Wolfgangstraße 25 gebracht worden, wegen Trunkenheit am Steuer. | |
Rose ist einer von drei Menschen, die zwischen 1997 und 2005 sterben, | |
nachdem oder während sie auf diesen Polizeirevier waren: 2002 wird der | |
alkoholkranke Mario Bichtemann mit einem Schädelbasisbruch in der | |
Ausnüchterungszelle 5 des Reviers gefunden. [1][2005 verbrennt der Sierra | |
Leoner Oury Jalloh in derselben Zelle.] Der wegen fahrlässiger Tötung | |
Jallohs angeklagte und 2008 freigesprochene Polizeibeamte Hans-Ulrich M. | |
ist auch in der Nacht im Revier im Dienst, in der Rose so schwer verletzt | |
wird. | |
Roses Familie will die Sache nicht ruhen lassen. Am Donnerstag hat sie vier | |
Polizeibeamte aus Dessau, Kollegen von Michael N., wegen Mordes an Rose | |
angezeigt – beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe. | |
Zwei Mal hat die Justiz die Ermittlungen in der Sache eingestellt, erst | |
2002, dann 2014. Es sei „nicht auszuschließen“, dass Unbekannte Rose | |
totprügelten oder dass er ohne Fremdeinwirkung einfach aus dem Fenster | |
fiel, heißt es dazu im letzten Einstellungsvermerk der Staatsanwaltschaft. | |
Doch jetzt wurden neue Fakten bekannt, die daran Zweifel aufkommen lassen: | |
Offenbar manipulierte Einsatzprotokolle, Ermittlungsakten, die auf ein | |
völlig anderes Geschehen hindeuten – und Zeugenaussagen. | |
## Unmöglicher Geschehensablauf | |
Viele der neuen Erkenntnisse gehen auf die jahrelange Investigation einer | |
Gruppe namens [2][Recherche Zentrum] zurück, die aus der Initiative | |
Gedenken an Oury Jalloh hervorgegangen ist. Die mit privaten Spenden | |
finanzierte Gruppe von Investigativjournalist*innen, Filmemacher*innen | |
und Aktivist*innen hat sich der „Aufklärung von möglichen | |
Polizeimorden“ verschrieben. Im Fall Rose hat sie viele der Vorgänge | |
rekonstruiert – und die Anzeige mit der Familie gemeinsam gestellt. | |
„Wir hoffen, etwas Gerechtigkeit zu bekommen“, sagte Iris Rose am | |
Donnerstag auf einer Pressekonferenz, bei der das Recherche Zentrum die | |
Indizien präsentierte, die nun zur Anzeige gegen die Polizisten führten. | |
Iris Rose ist mit ihrer Tochter gekommen. Fast 27 Jahre lebt die Familie | |
damit, nicht zu wissen, wie ihr Ex-Mann und Vater starb. „All die Jahre | |
wurden wir belogen“, sagte Iris Rose. „Aber die Täter haben ihr Leben noch | |
und zeigen keine Reue.“ | |
Unstrittig ist, dass der damals arbeitslose Maschinenbauingenieur Rose in | |
jener Nacht mit einem befreundeten Paar in einer Dessauer Kneipe sitzt. | |
Gegen 1 Uhr fährt er von dort betrunken mit dem Auto zur Zerbster Straße | |
39. Hier wohnt das Pärchen, bei dem der von seiner Frau getrennt lebende | |
Rose damals untergekommen war. Beim Einparken rammt er ein Auto. Dessen | |
Besitzer kommt auf die Straße, nimmt Rose den Schlüssel weg. Eine Passantin | |
ruft die Polizei. Die Beamten Thomas B. und Manfred H. erscheinen, lassen | |
Rose pusten. Sie stellen 1,98 Promille fest, nehmen ihn zur Blutabnahme mit | |
auf das Polizeirevier. Bis 2:55 Uhr nimmt der hinzugerufene Polizeiarzt | |
Andreas Blodau Rose Blut ab. So geht es aus den Ermittlungsakten hervor. | |
Doch was dem so genannten Lagefilm des Reviers – eine Art Logbuch, in dem | |
die Geschehnisse einer Schicht eingetragen werden – zufolge dann geschehen | |
sein soll, ist praktisch unmöglich. | |
Demnach soll Rose um 3.01 Uhr entlassen worden sein und dabei angedeutet | |
haben, wieder fahren zu wollen. Der Polizist Thomas B. schickt zwei | |
Streifenbeamte zur Zerbster Straße, wo noch Roses Auto steht. Die Beamten | |
Udo H. und Mario N. wollen Rose bereits um 3.02 Uhr in seinem Auto fahrend | |
sehen, obwohl es zu Fuß mindestens sieben Minuten dorthin dauert. Statt den | |
Betrunkenen aufzuhalten, wollen sie zugeschaut haben, wie er in | |
Schlangenlinien wegfährt. Sie seien ihm gefolgt, zwei Kilometer | |
stadtauswärts. Um 3.08 Uhr wollen sie ihn am Wallwitzhafen an der | |
Muldebrücke angehalten, ihm den Schlüssel weggenommen und ihn erneut aufs | |
Revier gebracht haben. | |
Die erst später aufgetauchte Anzeige wegen dieser angeblichen zweiten | |
Trunkenheitsfahrt soll um 3.10 Uhr geschrieben worden sein – nur zwei | |
Minuten, nachdem Rose weit außerhalb der Stadt angehalten worden sein soll | |
und nur neun Minuten nach der ersten Entlassung. Schon um 3.35 Uhr soll | |
Rose dann das zweite Mal aus dem Polizeirevier entlassen worden sein. | |
## Von Unbekannten überfallen? | |
Danach, so die These der Justiz, könnte Rose von Unbekannten überfallen | |
worden sein. Oder er könnte sich Zugang zum Haus Wolfgangstraße 15 | |
verschafft haben und dort aus dem Fenster gefallen oder gestoßen worden | |
sein. | |
Um 5 Uhr meldet dann ein Anwohner, dass ein Mann vor seinem Haus liegt. Der | |
Schichtleiter schickt Michael N. | |
Nun könnten die Uhrzeiten im Lagefilm des Polizeireviers einfach falsch | |
eingetragen worden sein. Und die Beamten Udo H. und Mario N. könnten Rose | |
an seiner zweiten Trunkenheitsfahrt in dieser Nacht nicht gehindert haben, | |
obwohl sie das hätten tun müssen, warum auch immer. | |
Doch es gibt ein vom Recherche Zentrum in Auftrag gegebenes Gutachten des | |
Londoner Forensikers John Richard Welch. Der arbeitete 38 Jahre in der | |
Abteilung für Dokumentenforensik des kriminaltechnischen Labors der | |
Metropolitan Police und ist heute als Sachverständiger tätig. Im Oktober | |
2023 hat Welch die Rose-Akte untersucht. Das Ergebnis: Alle | |
Lagefilm-Einträge zu Rose, von 1.11 Uhr morgen bis 15 Uhr an jenem Tag, | |
seien manipuliert. Die „Unkenntlichmachung einiger Einträge (…) ist | |
offensichtlich“, so Welch. Es gebe „Hinweis auf andere Änderungen, die | |
heimlich vorgenommen wurden“ (…). Mit Schreibmaschine sei auf | |
„eingetrocknete weiße Korrekturflüssigkeit“ geschrieben worden. | |
Aber weshalb? | |
## „Zahlreiche stumpfe Gewalteinwirkungen“ | |
Um 3.20 Uhr – rund 25 Minuten nachdem Rose angeblich zum ersten Mal | |
entlassen wurde – sieht der Polizeiarzt Andreas Blodau Rose noch einmal im | |
Treppenhaus des Reviers, begleitet von Polizisten. Eine womöglich | |
erfundene, zweite Trunkenheitsfahrt könnte dazu dienen, die Begegnung | |
Blodaus mit Rose zu dieser Zeit zu erklären. | |
Als Rose am 8. Dezember in der Städtischen Klinik stirbt, reicht die | |
Anästhesistin und Intensivmedizinerin Barbara Fiedler eine Anzeige zur | |
Todesermittlung bei der Dessauer Kripo ein. Per Formular beantragt sie eine | |
Autopsie. Das ist das Standardvorgehen, wenn ein Tod keine natürliche | |
Ursache hat. | |
Die Polizeidirektion beauftragt die Hallenser Rechtsmedizinerin Uta | |
Romanowski, zu klären, ob die Verletzungen auf „Verkehrsunfall?, Sturz aus | |
der Höhe?, Misshandlung?, Kombination?“ zurückzuführen sind. Zudem soll | |
Romanowski prüfen, ob die Verletzungen am Rücken mit einem Schlagstock | |
entstanden sein können. Die Ermittler übergeben ihr drei verschiedene | |
Schlagstock-Modelle – jene, die die Beamten auf dem Dessauer Revier im | |
Einsatz hatten. | |
Romanowski kommt zu dem Schluss, dass die „zahlreichen stumpfen | |
Gewalteinwirkungen“, die zu Roses Tod führten, „als Folge von | |
Misshandlungen anzusehen sind“. Die parallelen Blutungen auf dem Rücken | |
entstünden „typischerweise durch Stockschläge“. Einer der drei ihr | |
übergebenen Polizei-Schlagstöcke weise die Breite der Blutungsstreifen von | |
2,5 Zentimetern auf und wäre „am ehesten (…) geeignet, diese Verletzungen | |
zu verursachen“. | |
Am Schulterblatt, am Rücken, an der Innenseiten der Beine und am Hoden | |
seien Verletzungen erkennbar, bei denen „am ehesten an Fußtritte zu denken | |
ist“. | |
Eine „besonders schwere Gewalteinwirkung“ hingegen sei so intensiv, dass | |
sie durch Schläge oder Tritte nicht zu erklären sei. Hier komme am ehesten | |
ein Sturz aus der Höhe infrage. Aber: Das „Gesamtverletzungsmuster“, das | |
Fehlen von Kopfverletzungen und bestimmten Abschürfungen, spreche dagegen, | |
dass Rose so aus dem Fenster fiel, wie er aufgefunden wurde. Die | |
Verletzungen wären am ehesten so zu erklären, dass er aus der Höhe auf | |
einen „prominenten Gegenstand“ aufprallte. Doch die Gegebenheiten an der | |
Hauswand von Roses Fundort, seien „mit Sicherheit als Verletzungsursache | |
auszuschließen“. Wäre Rose dort heruntergefallen, dann sähe die Leiche | |
anders aus, so schließen Romanowski und der Leiter der Gerichtsmedizin | |
Halle. | |
## „Nie eine Erklärung bekommen“ | |
Ermittlerfotos von einer Treppe, die offenbar zum Speisesaal im Dessauer | |
Polizeirevier führt, zeigen das Ende des Treppengeländers mit einem großen | |
Knauf. | |
Mit der Presse will Romanowski heute nicht sprechen. Doch in einem | |
aufgezeichneten Gespräch mit dem Recherche Zentrum, das die taz anhören | |
konnte, sagt sie: „Die Befunde waren eigentlich so eindeutig, dass man da | |
kein langes Überlegen mehr gebraucht hatte.“ Der Gedanke daran habe „uns | |
nie so richtig losgelassen“ und sie „etliche Jahre beschäftigt.“ Die | |
Mediziner hätten „eigentlich nie eine Erklärung bekommen, wer das | |
verursacht hat“, so Romanowski. Sie habe sich gewünscht, „dass eines Tages | |
jemand von der Staatsanwaltschaft oder von der Ermittlungsbehörde kommt und | |
sagt: Also, Sie hatten recht, wir wissen jetzt, wie es gewesen ist, der und | |
der hat in dieser Situation diese Verletzung verursacht, auf den Herrn Rose | |
eingeschlagen, so hätte ich mir gewünscht, dass der Fall geklärt wird.“ | |
Was also geschah, bevor Rose starb? | |
Rose galt als aufbrausend. Er soll die Angewohnheit gehabt haben, Menschen | |
zu provozieren. | |
Laut Anzeige der Familie beim Generalbundesanwalt habe Rose das Revier | |
nicht verlassen. Stattdessen sei womöglich ein Streit mit ihm eskaliert. | |
Polizisten hätten Rose schwer misshandelt. Anschließend hätten sie ihn vor | |
das Haus in der Wolfgangstraße gebracht, um den Verdacht auf Unbekannte zu | |
lenken. | |
## Speisesaal als „Aufenthaltsort des Rose“? | |
In der Rose-Akte finden sich seitenweise Fotos aus dem Gebäude des | |
Polizeireviers. Die Todesermittler machten die Aufnahmen am 15. Dezember | |
1997. Ihre Bildmappe ist überschrieben mit „Räumlichkeiten Polizeirevier | |
Dessau Aufenthaltsort des Rose“. Doch sie zeigen weder eine Gewahrsamszelle | |
noch einen Vernehmungsraum. Stattdessen sind Steinsäulen im Speisesaal | |
fotografiert, durchnummeriert, mit angelegten Maßstäben. Aus der Akte geht | |
hervor, dass von diesen Säulen auch DNA-Abstriche genommen wurden. Es | |
handelt sich um den Speisesaal für die Beamten, der über eine Treppe vom | |
Rest des Reviers getrennt ist. | |
Warum wird dieser Raum als „Aufenthaltsort des Rose“ untersucht? Wurde Rose | |
dorthin gebracht, an eine der Säulen gekettet und misshandelt? | |
Der pensionierte Polizist Michael N. sagt, dass es „Anfang der 1990er | |
Jahre“ Usus gewesen sei, im Speisesaal Menschen anzuketten, weil es damals | |
„zu viele Gefangene“ gegeben habe. „Irgendwie müssen wir die ja fixieren… | |
Später sei das aber nicht mehr so gehandhabt worden. | |
Eine weitere Ungereimtheit sind die Anzeigen gegen Rose. Als Ermittler | |
Roses Tod untersuchen, liegen diese nicht vor. Erst später werden sie der | |
Akte beigefügt. | |
Die erste – wegen des Verkehrsunfalls und Fahren unter Alkoholeinfluss – | |
soll von dem Polizeibeamten Thomas B. um 2.51 Uhr am Computer erstellt | |
worden sein. Aber: Die Computer-Logdaten des Reviers für jenen Tag sind | |
offenbar nicht auffindbar. Stattdessen legt ein Polizeihauptkommissar Abel, | |
der EDV-Beauftragte des Reviers, den Todesermittlern eine offensichtlich | |
handgeschriebene Excel-Tabelle mit den Logdaten der Diensthabenden vor. Sie | |
soll belegen, dass Thomas B. tatsächlich zu jener Zeit am Rechner saß. Doch | |
während bei allen anderen Einträgen der Tabelle das korrekte fragliche | |
Datum 7. Dezember steht, steht in der Zeile von Thomas B. der 6. Dezember. | |
Die Ermittler fragen den EDV-Beauftragten Abel, wie das möglich sei. Dessen | |
Antwort: ein „Computerfehler“. Den Ermittlern reicht die Auskunft, wie sie | |
handschriftlich vermerken. | |
## Herr P. will nichts mehr sagen | |
Die Ermittlungen leitete damals zuerst der Kriminalkommissar Uwe P. Er | |
ermittelte zunächst gegen die eigenen Kollegen. Die Witwe Iris Rose sagt, | |
dass Uwe P. ihr später in einem persönlichen Gespräch gesagt habe, die | |
Polizei wisse, „wer diese Täter sind, aber sie könnten dagegen nichts | |
machen“, so Iris Rose. | |
Uwe P. lebt heute als Pensionär in einem kleinen Dorf auf dem Land, nahe | |
Dessau. Statt die Tür zu öffnen, stellt er sich hinter das Fenster im | |
Hochparterre, stellt das Fenster auf Kipp und sagt nur sehr lang: „Ja?“ | |
Eine Erklärung unterbricht er sofort und sagt, er werde zu der Sache „gar | |
nichts mehr sagen“ und damit sei „doch alles gesagt“. Dann schließt er d… | |
Fenster. Man wüsste gern von ihm, was er Iris Rose sagte, warum er die | |
Säulen im Speisesaal fotografieren ließ, was er zu den Manipulationen im | |
Einsatzjournal sagt, zum Gutachten der Rechtsmedizin. Doch auf einen Brief | |
mit Nachfragen und auf Nachrichten auf dem Anrufbeantworter reagiert er | |
nicht. | |
Der wohl erste Hinweis auf mögliche Polizeigewalt stammt von dem Polizisten | |
Michael N. Noch am Morgen des 7. Dezember gibt er zu Protokoll, in der | |
vorigen Nacht etwas Merkwürdiges gehört zu haben. „Ich hatte da schon | |
Informationen, die hatten den vorher schon“, sagt er heute dazu. Durch die | |
Wand zum Pausenraum des Polizeireviers hätten sich Kollegen unterhalten. | |
„Der wollte mir doch ein paar in die Fresse hauen, da hab ich ihm eine | |
reingezogen“, so zitiert ein Staatsanwalt aus Michael N.s erster | |
Vernehmung. Der taz bestätigt Michael N., an jenem Morgen aus dem Nebenraum | |
sinngemäß einen solchen Satz gehört zu haben. „Den haben wir ordentlich | |
verrollt“, sagt er, der Satz sei gefallen. Die Stimme habe er aber nicht | |
erkannt. | |
Noch etwas ist auffällig: Als Michael N. in jener Nacht mit dem schwer | |
verletzten Rose auf den Krankenwagen wartet, tauchen die beiden Beamten | |
auf, die Rose wenige Stunden früher aufs Revier gebracht hatten: Thomas B. | |
und Manfred H. Michael N. sagt später, sie wirkten „sichtlich nervös“. Er | |
fragt die beiden, ob sie Rose kennen – sie verneinen. „Wir haben ihn nicht | |
erkannt“, sagt Manfred H. auch später bei der Staatsanwaltschaft. Sie | |
hätten lediglich eine Wolldecke bringen wollen, nachdem sie Michael N.s | |
Funkspruch gehört hatten. | |
N. gibt auch das Erscheinen von B. und H. zu Protokoll. Etwa 14 Tage lang | |
sei er danach mit Vernehmungen und Aussagen beschäftigt gewesen, erzählt | |
Michael N. heute. Am Tag von Roses Tod sei er am Nachmittag, während er | |
nach seiner Nachtschicht schlief, zur Vernehmung abgeholt worden. „Da sind | |
die hier angedonnert und haben gesagt: ‚Micha, komm mal mit.‘“ Später se… | |
ihm die Bilder der Leiche vorgelegt worden. „Die haben mich gefragt: 'Hast | |
du den da verwichst?’“ Michael N., der Hinweise auf mögliches Fehlverhalten | |
von Kollegen gibt, wird verdächtigt. Zwei der mit Rose befassten Polizisten | |
werden nicht einmal befragt. | |
## 2002 wird die Akte geschlossen | |
Das Ermittlungsverfahren in Sachen Rose wird 2002 eingestellt. | |
Als das Landgericht Dessau fünf Jahre später den Tod Oury Jallohs | |
verhandelt, bekommt der Jalloh-Anwalt Ulrich von Klinggräff ein anonymes | |
Schreiben, das „offensichtlich aus Polizeikreisen stammte“, wie von | |
Klinggräff heute der taz sagt. Es ist die Rede davon, dass im Fall Jalloh | |
Beweismittel manipuliert wurden. Und: Zum ersten Mal wird in dem Brief ein | |
möglicher Zusammenhang zwischen dem Tod von Oury Jalloh und dem Tod von | |
Hans-Jürgen Rose hergestellt. Es seien auch da „Gewahrsamsakten | |
manipuliert“ worden. „Bestimmte Beweismittel“ sollen „zurückgehalten w… | |
sein und waren nie der Beweisakte beigefügt gewesen“. | |
Nach einer Pressemitteilung der Initiative Gedenken an Oury Jalloh Anfang | |
2013 leitet die Dessauer Staatsanwaltschaft ein neues Ermittlungsverfahren | |
im Jalloh-Fall ein. Es steht der Verdacht im Raum, dass eine mögliche | |
Tötung Jallohs dazu dienen sollte, neue Ermittlungen bei den früheren | |
Todesfällen in dem Polizeirevier zu verhindern. | |
Der Dessauer Oberstaatsanwalt Christian Preissner, späterer Präses der | |
evangelischen anhaltinischen Landessynode, vernimmt 2013 die vier Beamten, | |
die in der Nacht mit Rose zu tun hatten. Thomas B. und Manfred H. werden | |
zum ersten Mal überhaupt in der Sache angehört – 16 Jahre nach dem Tod. | |
Doch Thomas B. kann sich an nichts erinnern, Udo H. sagt, er habe mit den | |
Verletzungen nichts zu tun, Manfred H. und Mario N. schildern einen ruhigen | |
Einsatz, ohne besondere Vorkommnisse. Keiner kann sich erinnern, dass der | |
von Michael N. gehörte Satz gefallen ist. Und so stellt Preissner am 28. | |
Februar 2014 die Ermittlungen ein: Es gebe „keinen Anfangsverdacht gegen | |
eine beteiligte Person“. | |
Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg, die 2018 auch die Ermittlungen im | |
Fall Jalloh schloss, erklärt auf Anfrage gegenüber der taz, die Rose-Akten | |
im Rahmen des Jalloh-Verfahrens „einer Sichtung unterzogen“ zu haben. Dabei | |
sei geprüft worden, „ob ein irgendgearteter Zusammenhang zwischen den | |
einzelnen Sachverhalten bestehen könnte“. Das Ergebnis: Ein Zusammenhang | |
zwischen Roses und Jallohs Tod sei „unter keinem Gesichtspunkt erkennbar“. | |
## Eine Sache des Gewissens | |
Die taz hat die vier damals beteiligten Beamten ausfindig gemacht. Mario N. | |
wohnt in einem unsanierten Plattenbau nahe der Dessauer Innenstadt. Er | |
kocht mit seiner Frau, als er hört, worum es geht, will er nichts sagen. | |
Thomas B. lebt und arbeitet in Magdeburg, die Tür seiner Plattenbauwohnung | |
öffnet er nicht, bei Anrufen legt er sofort auf. Auch Manfred H. öffnet die | |
Tür seiner Plattenbauwohnung nicht. Briefe lassen alle drei unbeantwortet. | |
Udo H. ist nach Angaben seiner ehemaligen Lebensgefährtin vor Jahren mit | |
einer anderen Frau in die Türkei ausgewandert. | |
Er glaube nicht, dass einer seiner Kollegen im Dienst derartig gewalttätig | |
geworden sein könnte, sagt der pensionierte Polizist Michael N. „Von der | |
Polizei macht so was keiner. Das traue ich keinem zu.“ Aber was geschehen | |
sei, „ich weiß es ja nicht“, sagt er. Mit Rose „gab es ja auch Ärger in… | |
Nacht, mit dummen Sprüchen. Aber würden Sie da wen beschuldigen, wenn Sie | |
es nicht genau wissen?“ Wenn da etwas vorgefallen sei, „das müssen die | |
Kollegen ja mit sich ausmachen, mit ihrem Gewissen“. | |
Iris Rose hofft darauf, dass sich nun Menschen melden, die in der Tatnacht | |
auf dem Polizeirevier, vor dem Haus in der Wolfgangstraße oder in der | |
Klinik etwas mitbekommen haben. „Auf Unterstützung der Polizei können wir | |
nicht hoffen“, sagt sie. „Aber das Schlimmste wäre, wenn man es nicht | |
versuchen würde. Damit wir Jürgen sagen können: Wir haben es versucht für | |
dich.“ | |
Haben Sie Informationen zu diesem oder anderen Vorfällen, über die Sie die | |
taz informieren möchten? Melden Sie sich bei den Autoren oder über | |
[3][informant.taz.de]. | |
Transparenzhinweis: Wir haben an einer Textstelle die Jahreszahl | |
korrigiert, wann die Justiz die Ermittlungen im Fall Rose eingestellt hat. | |
Außerdem haben wir den Text mit Zitaten von Iris Rose von der | |
Pressekonferenz am 28. März aktualisiert. Die Redaktion. | |
28 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Mordfall-Oury-Jalloh/!5823891 | |
[2] https://www.recherche-zentrum.org/ | |
[3] http://informant.taz.de | |
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