# taz.de -- ARD-Sitcom „Friedefeld“: Und dann kickt das Deutsche | |
> Die ARD-Serie „Friedefeld“ könnte eine Abwechslung in der | |
> Fernsehlandschaft sein – wenn sich da nicht das spießige Moralisieren | |
> einschleichen würde. | |
Bild: Drillinge von verschiedenen Müttern: Ludwig, Paul und Barbie | |
Paul, Barbie und Ludwig stehen vor einem riesigen Krater. So viele Dinge | |
könnten hier, wo sich früher der Stadtpark befand, entstehen – und | |
stattdessen sind da nur ein Bungee-Jumping-Turm, eine Kletterwand und ein | |
Eiswagen. Genau so fühlt sich „Friedefeld“ an. Es hätte so viel sein | |
können, aber jetzt stehen da nur die drei Geschwister, um deren Leben sich | |
diese Serien dreht, und starren in ein Loch. | |
Dabei wollten BR und SWR, die die Serie in Auftrag gegeben hatten, die | |
erste deutsche animierte [1][Sitcom] herausbringen. Animation und Humor, | |
das könnte dem deutschen Fernsehen guttun, denn seit Loriots sprechendem | |
Hund Bello ist da wenig passiert. | |
Lustig hätte es mit den drei Hauptpersonen werden können: Paul, Barbie und | |
Ludwig sind Halbgeschwister, alle am gleichen Tag geboren von | |
unterschiedlichen Müttern, die allesamt vom Vater betrogen wurden. Diese | |
Grundkonstellation kann so viel. Und macht so wenig. Selbstredend gibt es | |
Vaterkomplexe. Das wars aber auch schon. Kein Erbstreit, kein Zwist, keine | |
skurrile Wendung. | |
## Nicht abgedreht genug | |
Und nun zum größten Problem: Einer der Charaktere ist langweilig, einer nur | |
ein Sidekick, eine die übersehene eigentliche Protagonistin. Das Leben von | |
Paul ist dadurch bestimmt, dass er versucht seine Ex-Freundin, Berthe, | |
zurückzugewinnen. Das geht nur, wenn er aktiver wird, nicht nur politisch, | |
weil Berthe sich etwa gegen Kapitalismus einsetzt und für [2][Menschen ohne | |
Obdach]. | |
Auch seinen Lebensstil will Paul anpassen, denn er ist ein sterotyper | |
Millennial. Er liegt auf der Couch, schaut in sein Handy, ist überfordert | |
vom Streamingangebot und pflegt neben Prokrastination auch Selbsthass. Paul | |
hat aber keine Depressionen, sondern leidet einfach nur darunter, dass sein | |
Charakter geschrieben wurde, wie manche alte Erwachsene eben so auf junge | |
Erwachsene schauen. | |
Als er beschließt, dass sein Leben weniger digital und dafür einfacher | |
werden soll lädt er sich eine App dafür runter. Ein Witz, so naheliegend, | |
als wäre er Paul selbst eingefallen. Das kann man durchaus machen, aber | |
dann doch bitte komplett überdreht! | |
Komplett überdreht kann aber nur einer: Ludwig, der Sidekick. Der glaubt an | |
[3][Verschwörungserzählungen], rettet Hunde vor der Kastration, schreibt | |
Bücher über Aliens und entschlüsselt die Weltformel, die alle retten | |
könnte. Nur leider bekommt er für all das nicht genügend Platz. Kaum hat er | |
wieder einen neuen Einfall, einen Fiebertraum, wird er abgesägt durch das | |
elende Genöle von Paul. Das setzt vehement immer dann ein, wenn die Serie | |
doch mal lustig werden könnte. Meistens, damit eine politische Botschaft | |
vermittelt wird. | |
## Mehr spießige Moral im deutschen Fernsehen | |
Und Barbie? Die könnte die Serie tragen! Sie ist lesbisch, CEO eines großen | |
umweltverschmutzenden Unternehmens, das abwechselnd Autos, Tech oder Waffen | |
herstellt. Sie setzt sich durch gegen den alten, weißen, männlichen | |
Vorstandsrat, der sie immer wieder entmachten will. Sie quält und wird gern | |
gequält. Sie hat jegliche Moral abgelegt und macht einfach nur Spaß. | |
Trotzdem haben sich die Macher*innen Paul als tragenden Charakter | |
ausgesucht – eine Fehlentscheidung; für noch mehr spießige Moral im | |
deutschen Fernsehen. | |
Die besten Momente der Serie sind ohnehin die, in denen sie komplett | |
entgleitet. In denen Ludwig wegen eines Schachspiels einen Krieg zwischen | |
Obdachlosen entfacht, in den Sadismus-Barbie mit einsteigt. Die, in denen | |
[4][Pazifist] Ludwig die Bundeswehr unterwandern will. Die, in denen Barbie | |
ihre unterjochte Assistentin in eine Nazi-Bewegung einschleust, die die | |
Stadt stürzen will, auch wenn diese Entgleisung eine Kopie des realen | |
Sturms aufs Kapitol ist. | |
Damit könnte es an sich gelingen, junge Erwachsene auf die Mediathek zu | |
locken, wofür die Serie ja gemacht wurde. Auch die Ästhetik stimmt: | |
minimalistische Hintergründe ohne Bewegung, rudimentäre Gestik und Mimik, | |
die es erlaubt schnellen Dialogen zu folgen, während die Augen auf den | |
Second Screen, das Smartphone, starren. So vieles erinnert an große | |
[5][US-Erfolge wie Family Guy oder American Dad]. | |
Und dann kickt wieder das Deutsche, die Zurückhaltung. Es fehlt der Ekel | |
vor sich selbst und vor anderen. Es fehlt vor allem aber das Böse und die | |
Skurrilität. Und trotzdem muss man sagen: Wenigstens hat es mal jemand | |
probiert. Vielleicht ist sie ein guter erster Aufschlag für die lustige | |
deutsche Animationsserie. Irgendwo muss man ja anfangen, also warum nicht | |
mit kleinen Schmunzlern in Friedefeld. | |
27 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Johannes Drosdowski | |
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