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# taz.de -- Queerfeindliche Banner im Stadion: Das Spiel mit dem Geschlecht
> Spieler fordern Männlichkeitsbilder heraus, der Fußball der Frauen boomt.
> Trotzdem bestimmt die Kategorie Geschlecht den Fußball wie kaum eine
> andere.
Bild: Queerfeindliches Banner der Leverkusen-Fans beim Ligaspiel gegen Werder B…
Wer heute ein Abo beim Streamingdienst Dazn besitzt, kann
selbstverständlich die wichtigsten internationalen Fußballligen der Frauen
verfolgen, weil Fußball heute eben nicht gleich Männerfußball bedeutet.
Gleichzeitig sprechen Fußballspieler heute in Interviews explizit aus, was
sie früher höchstens implizit durch Stilentscheidungen mitgeteilt haben:
„Ich versuche, auch feminine Facetten zu zeigen. Ich versuche, dieses
toxische Männlichkeitsgetue ein bisschen aufzubrechen“, sagte Fabian Reese,
Leistungsträger und Publikumsliebling bei Hertha BSC, im Dezember in einem
Interview mit der Zeit.
Beides kann als Anzeichen dafür gelesen werden, dass Geschlecht im Fußball
heute nicht mehr die große Rolle spielt, die es einmal gespielt hat. Oder
als Beleg dafür, dass mit der männlichen Dominanz auch die Relevanz der
Geschlechterdifferenz im Fußball bröckelt. Fußball als Hort der
Emanzipation von Geschlechterkonstruktionen.
Wäre da nicht die tagelange Aufregung [1][über ein pinkes
Deutschlandtrikot], das vielen Kritikern nicht männlich genug ist. Oder die
Spruchbänder in Fankurven, die als queerfeindlich kritisiert und vom
Deutschen Fußball-Bund (DFB) als solche verurteilt wurden, was neu ist: „Es
gibt viele Musikrichtungen, aber nur zwei Geschlechter“, stand auf einem
Banner, den Fans von Bayer Leverkusen bei einem Spiel gegen Werder Bremen
im November gezeigt hatten.
## Gesellschaftlicher Resonanzraum
Ende Januar verhängte das Sportgericht des [2][DFB deshalb eine Geldstrafe
von 18.000 Euro] gegen den Verein – „wegen diskriminierenden unsportlichen
Verhaltens seiner Anhänger“. Anfang Februar zeigten Fans des Drittligisten
Dynamo Dresden dann ein Spruchband mit der Aufschrift „Es gibt nur einen
lächerlichen DFB und zwei Geschlechter“. Auch Fans des Regionalligisten
Energie Cottbus präsentierten ein ähnliches Banner. Kurven beider Vereine
waren auch zuvor mit queer- und [3][transfeindlichen Aussagen aufgefallen].
Während der Geschäftsführer von Bayer Leverkusen Fernando Carro die Aktion
der Fans als „geschmacklos und falsch“ kritisierte, interpretierte Dynamo
Dresden den Spruchband als Protest gegen den damals noch debattierten und
[4][später geplatzten Investoreneinstieg].
Marion Müller, Professorin für Soziologie an der Universität Tübingen,
findet das gar nicht so abwegig. Sie hat ein Buch über die
Geschlechterfrage im Fußball geschrieben: [5][„Fußball als Paradoxon der
Moderne]: Zur Bedeutung ethnischer, nationaler und geschlechtlicher
Differenzen im Profifußball“, lautet der Titel. „Darüber kriegt man eben
Aufmerksamkeit“, sagt sie über die Spruchbänder.
Ihre These: Die unangemessenen und übertriebenen gesellschaftlichen
Debatten über Geschlecht, wie zuletzt im Kontext des
Selbstbestimmungsgesetzes, schaffen erst einen Resonanzraum, in dem
Fußballfans über Transfeindlichkeit, Homophobie oder Sexismus Empörung
provozieren – und auf sich aufmerksam machen können.
## Wo noch wegen Geschlecht ausgeschlossen werden darf
Dennoch findet Müller, dass die Geschlechterdifferenz im Fußball wie in
anderen Hochleistungssportarten nach wie vor eine sehr große Rolle spielt:
Sie hilft dabei, die gesellschaftlichen Geschlechterrollen zu
reproduzieren.
„Es ist nach wie vor undenkbar, dass eine Frau bei den Männern mitspielt“,
sagt Müller. Und stellt fest, dass Sport „eines der letzten
Funktionssysteme in der Gesellschaft“ sei, „in dem man einfach qua
Geschlecht ausgeschlossen werden kann“. Das Festhalten an dieser Differenz
habe auch zur Folge, dass es keinen Raum für Menschen gebe, die weder
männlich noch weiblich sind.
Aber muss man das alles gleich so furchtbar ernst und politisch verstehen?,
würde da mancher Fan nun vielleicht einwenden.
„Es fällt auf, dass Fankurven, die sich diskriminierend äußern, ganz häuf…
auch diejenigen sind, die keine Politik im Stadion wollen – und andere
Fankurven angreifen, weil sie diese als zu politisch halten“, sagt Peter
Dittmann. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Vereins
Gesellschaftsspiele, der Bildungsarbeit im Bereich der Fußball- und
Fankultur leistet. Dittmann erklärt, dass es sich im Fall des Spruchbands
der Leverkusener Fans um eine schon länger anhaltende Auseinandersetzung
zwischen diesen und den Bremer Fans handelt.
Dafür haben die Leverkusener eine Figur geschaffen, die sie „Zitronenmann“
nennen, und der sie Aussagen in den Mund legen, wie ebenjene über zwei
Geschlechter. „Es geht immer auch darum, sich gegenseitig eins auf den
Deckel zu geben. Fußballkultur ist eben auch Provokation,
Grenzüberschreitung, Austesten“, sagt Dittmann.
Aber auch: „Transfeindliche Äußerungen in Fußballstadien sind zu
verurteilen. Dafür gibt es keine Rechtfertigung.“ Wenn in einer Kurve so
ein Banner hochgehalten werde, dann zeige das, „dass Menschen aus dieser
Kurve dieses Banner vorbereitet und mitgebracht haben und dass diese
politische Position von ihnen geteilt wird.“
## Männliche Ideale von Härte und demonstrative Weiblichkeit
Möglicherweise verweisen die Banner oder zuletzt [6][homophobe Gesänge von
Spielern] beim österreichischen Club Rapid Wien auf mehr als nur politische
Einstellungen in manchen Stadien. Heidi Giuliano-Thaler ist Mitarbeiterin
der Koordinationsstelle Fanprojekte, einer Art Schnittstelle zwischen
Politik, Fußballverbänden und Fanszene, die vom Bundesministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend, DFB und DFL finanziert wird.
Sie betont, dass ein Großteil der Fans in deutschen Stadien friedlich
agiere, dass es „absolut sicher“ sei, in Deutschland ins Stadion zu gehen.
Zum Thema Geschlecht in Stadien sagt sie aber auch: „Wir erleben im Fußball
seit einigen Jahren ein Revival von Männlichkeit, die mit Idealen von Härte
und Stärke verbunden ist. Das bringt Gewaltphänomene wieder näher ans
Stadion, die eine Zeit lang weggerückt waren.“
Die Rückbesinnung auf diese Männlichkeit sei auch an bestimmten
Schönheitsidealen wie muskulösen Körpern oder Kraft- und
Kampfsporttrainings unter männlichen Fans erkennbar. Die Behauptung von
Zweigeschlechtlichkeit sei dabei als Voraussetzung des patriarchalen
Herrschaftsanspruchs wichtig: Männer sind demnach übergeordnet, das Maß
aller Dinge und haben entsprechende Vorteile.
Soziologin Müller beobachtet auch auf dem Spielfeld eine Art Backlash: „Was
für Mädchen, alle mit langen Haaren und Pferdeschwänzen“, habe sie bei der
Weltmeisterschaft der Frauen letztes Jahr beim Anblick der deutschen
Spielerinnen gedacht. Vor einigen Jahren noch, als der Frauenfußball noch
keinen Boom erlebte, habe es demonstrative Weiblichkeit in diesem Ausmaß
nicht gegeben. „Hier geht es nicht nur um Leistung, sondern auch darum zu
zeigen: Wir sind feminine, attraktive, richtige Frauen“, sagt Müller.
## Dialog statt Sanktionen von oben
Weiblichkeit und Männlichkeit sind im Fußball auch eng mit sexueller
Orientierung verknüpft. Über [7][David Beckham], der einst mit lackierten
Fingernägeln den Begriff der Metrosexualität popularisierte, sagt Müller:
„Er konnte damit kokettieren, weil er so was von einwandfrei heterosexuell
war, mit einer so prominenten, als attraktiv geltenden Frau an seiner
Seite.“ Auch Reese, der [8][Beckham als „wahre Inspiration“] bezeichnete,
zeigt sich gern öffentlich [9][mit seiner Partnerin].
Ob sich starre Geschlechterkonstrukte mit Sanktionen dekonstruieren lassen,
bleibt zweifelhaft. Giuliano-Thaler stellt die Wirksamkeit von Strafen
infrage, diese könnten im vorliegenden Fall auch abgehoben wirken. „Es
braucht einen großen gesellschaftspolitischen Diskurs: miteinander reden
statt gegeneinander, um nach vorne zu kommen.“
Sven Kistner, der beim Netzwerk Queer Football Fanclubs und beim queeren
FC-Bayern-Fanclub Queerpass aktiv ist, sagt: „Eine Geldstrafe für den
Verein wird nicht unbedingt etwas verändern. Verändern wird sich etwas,
wenn Dialog stattfindet“ Diesen sollten die Vereine anstoßen und sich gerne
Expertise bei queeren Fanclubs einholen, findet er auch. „Wenn wir als
kleiner Teil der Fans zu anderen Fans gehen und sagen, hey, lasst uns mal
darüber reden, dann ist es fraglich, ob das angenommen wird.“
Zu einem Dialog sei Kistners Fanclub Queerpass vom FC Bayern geladen
worden. Hintergrund: Noussair Mazraoui, Bayern-Spieler mit niederländischem
und marokkanischen Pass, war im Mai in die Kritik geraten, weil er sich bei
Instagram mit dem marokkanischen Nationalspieler Zakaria Aboukhlal
solidarisierte, als der sich geweigert hatte, ein T-Shirt zur Unterstützung
von LGBTIQ zu tragen.
25 Mar 2024
## LINKS
[1] /EM-Trikot-wird-Verkaufsschlager/!5996343
[2] /Urteil-des-DFB-Sportgerichts/!5989597
[3] /Transfeindlichkeit-im-Cottbusser-Stadion/!5809316
[4] /Zukunft-des-Fussballs/!5992256
[5] https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-531-91595-1
[6] https://www.derstandard.de/story/3000000209206/homophobie-und-untergriffe-r…
[7] /Serie-mit-David-Beckham/!5901679
[8] https://www.zeit.de/sport/2023-11/fabian-reese-hertha-bsc-fussball-maennlic…
[9] https://www.instagram.com/fabian_reese/?hl=de
## AUTOREN
Volkan Ağar
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