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# taz.de -- Queerness und Fußball: Jetzt geht's um den Ball
> Die Münchner Streetboys spielen als queeres Team in der Kreisklasse. Bei
> einem Hallenturnier zeigt sich, worum es vor allem geht: ums Kicken.
Bild: Der alltägliche Ernst des Fußballs: Teambesprechung beim Hallenturnier …
Das Turnier in der Multifunktionshalle Neuperlach findet nur 20 Autominuten
von der Arena des FC Bayern entfernt statt. Sohlen quietschen auf dem
Hallenboden, es riecht nach altem Turnschuh. Eine Regenbogenflagge hängt
vom Geländer. Es sind nur vereinzelte Männerstimmen zu hören. „Hab ich!“
oder „Schöner Pass“.
Die erste queere Fußballmannschaft im DFB-Ligabetrieb, die [1][Münchner
Streetboys], haben anlässlich des Welt-Aids-Tags zum Indoorturnier geladen.
Von den 15 Teams, die heute antreten, sind einige ebenso wie die Streetboys
[2][queere Mannschaften.] Andere wiederum sind befreundete, nicht explizit
queere Vereine, gegen die die Streetboys sonst in der Kreisklasse antreten.
Hier in Neuperlach gehen gegnerische Spieler Arm in Arm vom Platz oder
umarmen sich herzlich zur Begrüßung. Man stößt hier auf viele Dinge, die
anders – vielleicht sogar besser – laufen als im Profifußball. Der Umgang
mit queeren Spielern zum Beispiel.
Während die Streetboys gerade auf dem Platz um den Einzug in die nächste
Runde spielen, flitzt Christoph Hertzsch im Hintergrund des Turniers von
einer Aufgabe zur nächsten. Christoph spielt Fußball seit er fünf Jahre alt
ist, seit fast neun Jahren ist er aktiver Spieler bei den Streetboys. Die
Google-Begriffe „schwul, Fußball, München“ haben ihn damals zu den
Streetboys geführt: „Eine E-Mail, ein Training und ich war verliebt – also
in den Verein“, sagt er und lacht kurz auf.
An diesem Turniersamstag ist er allerdings zu sehr mit der Organisation
beschäftigt, um selber zu spielen. Nicht ohne Stolz zählt er die Länder
auf, aus denen die Mannschaften für das Benefizturnier angereist sind:
Italien, Irland, Tschechien und England.
Dass zu einem Fußballturnier so viele queere Spieler und ihre Fans aus ganz
Europa zusammenkommen, ist ungewöhnlich. Wie schwer sich der Fußball mit
einem Bekenntnis zu Queerness tut, zeigte die letzte Weltmeisterschaft in
Katar nur allzu deutlich: [3][Katars WM-Botschafter bezeichnete
Homosexualität als „geistigen Schaden“,] die Fifa verbot die als Zeichen
der Toleranz konzipierte One-Love-Kapitänsbinde.
## Platz in bayerischer Fußballwelt gefunden
In der C-Klasse, in der die Streetboys spielen, sind solche Zeichen der
Solidarität weniger umstritten, erzählt Christoph Hertzsch. Zum Beispiel
sei der Kapitän der Spielvereinigung Heimstetten mit einer Regenbogenbinde
auf dem Spielfeld aufgelaufen – „ganz ohne großes Aufhebens“, sagt
Christoph. Zu der Heimstettener Mannschaft pflegen die Streetboys auch
außerhalb der Spiele ein freundschaftliches Verhältnis, trinken mal
zusammen ein Bier nach Abpfiff. Auch zum Benefizturnier ist die Mannschaft
angereist. Es sind genau diese kleinen Gesten, von denen Christoph
berichtet, wenn man ihn nach schönen Momenten im Ligabetrieb fragt.
Dass eine queere Fußballmannschaft heute ihren Platz in der bayerischen
Fußballwelt gefunden hat, war Anfang der Neunziger zur Zeit der
Streetboys-Gründung noch undenkbar. Genauso wie ein Turnier wie dieses. Und
tatsächlich sitzen in der Münchner Turnhalle verschiedenste Verbündete der
queeren Gemeinschaft am Spielfeldrand: Fans in den rosa Trikots des
Fußballklubs Rosa Teufel, Menschen mit der blau-rosa-weißen Fahne der
Trans-Community in der Hand, Grauhaarige mit Regenbogenfanschals um den
Hals und sogar Babys mit Regenbogenstramplern. Auf dem Trikot der
italienischen Mannschaft Bugs Bologna heißt es: „We are all different“.
Einer, der weiß, wie es früher war, ist der Schiedsrichter Hans-Jürgen
Gurtowski. Der groß gewachsene Mann mit den Hörgeräten in beiden Ohren
pfeift schon seit 44 Jahren Fußballspiele, seit 23 Jahren ist er Schiri im
queeren Fußball. Beim Turnier der Streetboys ist er ehrenamtlich im
Einsatz. Er erinnert sich an eine Zeit, in der schwule Männer bei ihren
Coming-outs noch mit dem Verdacht der Pädophilie umgehen mussten.
Gleichzeitig habe die Aids-Krise die Homophobie gegen schwule Männer weiter
befeuert.
Auch Simon Fortner, einer der Streetboys-Dienstältesten, berichtet von
Hindernissen, mit denen die Fußballer bei ihrer Gründung 1994 zu kämpfen
hatten. „Es war schwierig zu beweisen, dass man vom Gegner eigentlich nur
die Punkte möchte – und nicht mehr“, sagt er.
Es kursierten noch viele Stereotype über schwule Fußballer, etwa über deren
vermeintlich schwächere Schusskraft oder geringere Ballfertigkeit. Von
verbaler bis zu körperlicher Gewalt hätten die Streetboys damals alles
erlebt, sagt Simon. Jetzt meint er nur noch achselzuckend: „Ich war schwul
in den Neunzigern – da macht es mir nicht mehr so viel aus wie früher, wenn
mich mal einer ‚schwule Sau‘ nennt.“
## Mit Klischees spielen
2024 sind die Streetboys 30 Jahre alt geworden, homophobe Beleidigungen auf
dem Spielfeld sind mittlerweile die Ausnahme. Für ihr Jubiläum haben die
Streetboys einen Kalender mit freizügigen Bildern der Spieler aufgenommen:
Da flitzen die Männer mit nacktem Po über das Spielfeld oder seifen
einander unter der Dusche ein. „Manchmal muss man auch etwas mit Klischees
spielen“, sagt Christoph Hertzsch und grinst.
Das zahlt sich aus: Mit ihrem Kalender nehmen die Streetboys bei ihrem
Benefizturnier Geld für die Aidshilfe ein. 2.600 Euro sind am Ende in der
Kasse. Trotzdem gerät nicht in den Hintergrund, dass alle gekommen sind, um
Fußball zu sehen. Wenn man die Spieler heute auf dem Platz sieht, scheint
es absurd, dass sich schwuler Fußball noch immer beweisen muss.
Im Amateurfußball scheint etwas möglich zu sein, was fern der Realität im
Profifußball ist. Christoph Hertzsch muss nicht lange überlegen, warum das
so ist: „Das liegt an der Ignoranz und den wirtschaftlichen Interessen der
großen Verbände.“
Auch Hans-Jürgen Gurtowski berichtet, dass im Profifußball weiterhin die
Angst herrsche, nach einem Coming-out Sponsoren zu verlieren oder gar die
Karriere beenden zu müssen. Und dann sind da auch noch massenhaft Fans in
den Stadien, die Kollegen in der Mannschaftskabine. Im Amateurfußball gibt
es hingegen wenig bis keine kommerziellen Interessen, am Spielfeldrand und
in der Kabine treffen die Spieler auf Freunde und Bekannte.
Angesichts der letzten WM in Katar zuckt Christoph resigniert mit den
Schultern: „Vor allem [4][diese elendige Debatte um die Regenbogenbinde]
ist Ausdruck davon, dass sich Verbände nicht mit Queerness im Fußball
auseinandersetzen wollen. Geld war in dem Moment anscheinend wichtiger als
Menschenrechte.“ Für ihn ist klar: Nicht in erster Linie die Spieler,
sondern die Fifa und der DFB hätten sich an die Seite queerer Menschen
stellen müssen. „Die queere Community hat damit jedes Vertrauen in den DFB
verloren.“
Lippenbekenntnisse gibt es vom DFB schon seit Jahrzehnten. Bereits 2012
wurde ein Dialogforum mit dem Titel „Vor dem Ball sind alle gleich –
sexuelle Identitäten im Fußball“ organisiert. [5][Auf dem Christopher
Street Day in Frankfurt hat der DFB] seit Jahren einen eigenen Wagen. 2021
setzte der Verband erstmals eine eigene Ansprechperson für sexuelle und
geschlechtliche Vielfalt ein.
## Nur positive Vibes
Christoph Hertzsch begrüßt das zwar, hält eine einzige Person für die rund
7,4 Millionen Mitglieder aber für symbolisch. Für ihn sind diese „positiven
Vibes“, wie er die Bemühungen des DFB nennt, zwar wichtig, aber nicht
ausreichend. „Um die nötigen Strukturen für queere Spieler zu schaffen,
muss schlussendlich auch mal Geld in die Hand genommen werden“. Nicht nur
punktuell bei internationalen Turnieren, sondern auch in Trainingslagern,
bei Fortbildungen und Mannschaftsbesprechungen müsse man grundlegend über
Queerness im Fußball sprechen.
Die Erwartung, dass die Situation bei der EM in Deutschland besser sein
könnte, ist bei vielen queeren Mannschaften und ihren Fans groß. Christoph
Hertzsch sagt: „Es ist leicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen, aber
vor allem sollte man es selber besser machen.“
Auf die Frage, wie es denn beim Turnier in Deutschland queerfreundlicher
zugehen soll, nennt das EM-Organisationsteam eine Reihe an Maßnahmen.
Darunter ein bundesweites Awarenesskonzept, das in allen Stadien zum
Einsatz kommen soll. Außerdem wird in Berlin ein sogenanntes Pride House
als Safe Space für queere Menschen errichtet. Ein Ort, der Angebote wie
Public Viewings oder Workshops beheimaten soll. In Berlin ist sogar der
Lesben- und Schwulenverband LSVD bei den Turnierplanungen an Bord. „Die
Anliegen queerer Menschen spielen bei der Planung der EM eine wichtige
Rolle“, schreibt das Berliner Büro per Mail.
Beim Turnier in Neuperlach verpassen die Streetboys den Einzug ins Finale
und werden Dritter. Im Finale geht es noch mal emotional zu. Als ein
Schiedsrichter im Finale drei anstatt fünf Elfmeter schießen lässt, gibt es
heftigen Protest. So heftig, dass der Schiedsrichter aufgewühlt den Platz
verlässt: „Beleidigen lassen muss ich mich hier nicht!“ Einen besseren
Beweis dafür, dass queerer Fußball wirklich stinknormaler Fußball ist, gibt
es wohl nicht.
17 May 2024
## LINKS
[1] https://www.instagram.com/streetboysmunich/
[2] /Ein-Zeichen-fuer-Menschenrechte/!5902148
[3] /Katars-WM-Botschafter-gegen-Homosexuelle/!5890575
[4] /Streit-um-Kapitaensbinde-bei-WM/!5894105
[5] https://www.dfb.de/news/detail/dfb-mit-wagen-beim-csd-in-frankfurt-251518/
## AUTOREN
Katharina Wulff
## TAGS
Fußball
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