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# taz.de -- Fußball in den Niederlanden: Homophobie als Nebenwiderspruch
> Als Zeichen gegen Rassismus und Diskriminierung sollen in der Eredivisie
> Kapitäne die One-Love-Binde tragen. Nicht alle wollen mitmachen.
Bild: Ajax-Kapitän Dušan Tadić mit der One-Love-Binde beim Spiel gegen Excel…
Ajax gegen Feyenoord – wenn am Sonntag in der Johan-Cruijff- Arena der
Klassiker der Eredivisie angepfiffen wird, steht diesmal besonders viel auf
dem Spiel: Neun Runden vor Saisonende liegen die [1][Rotterdamer] drei
Punkte vor dem alten Kontrahenten. Der erste Titel seit 2017 könnte ein
gutes Stück näherrücken – oder, aus [2][Ajax]-Sicht, das versöhnliche Ende
einer Saison, die bislang zum Vergessen war.
Im Vorfeld der Partie aber schlägt ein anderes Thema hohe Wellen: die
[3][One-Love-Binde] ist zurück! Anlässlich des internationalen Tags gegen
Rassismus und Diskriminierung am 21. März sollen alle Kapitäne im Profi-
und Amateurfußball des Landes damit auflaufen. Damit „spricht man sich aus
für Verbindung und gegen Rassismus und Diskriminierung in der
Gesellschaft“, so ein Statement des niederländischen Fußballverbands. „Wir
merken, dass es danach ein Bedürfnis gibt“, so ein Verbandssprecher.
Ausgerechnet bei jenem Match, auf das sich am Wochenende alle Augen
richten, scheint dieses Bedürfnis aber deutlich eingeschränkt:
Feyenoord-Kapitän Orkun Kökçü hat bereits angekündigt, die Binde nicht zu
tragen. Nicht etwa, weil er Rassismus und Diskriminierung befürwortet. „Ich
stehe sowieso hinter dieser Aktion. Ich unterstütze das“, sagte der
22-jährige Mittelfeldspieler letztes Wochenende im öffentlich-rechtlichen
TV-Sender NOS. „Aber ich habe doch das Gefühl, dass die One-Love-Binde aus
einem anderen Grund ins Leben gerufen wurde.“
Das Raunen des Kapitäns hat einen Grund. Schon in der Hinrunde, zum „Coming
Out Day“ am 11. Oktober, verweigerte er sich einer KNVB-Aktion aus
religiösen Gründen. „Du musst alle respektieren. Jeder soll tun, was er
will, aber ich will kein Aushängeschild dafür sein, denn es geht nicht
zusammen mit meinem Glauben“, erklärte Kökçü damals. Abwehrspieler Gernot
Trauner übernahm einmalig das Amt. Ajax-Pendant Dušan Tadić trug die Binde
zwar, versuchte sie aber mit der regulären zu überdecken. Nach anfänglichem
Zögern will er nun mit von der Partie sein.
Anders sieht es im Fall von Redouan El Yaakoubi aus, dem Amtskollegen bei
Excelsior Rotterdam. Wie schon im Oktober wird er lieber eine Binde mit der
Aufschrift „Respect“ tragen. Der Club rühmt El Yaakoubi in einer
Stellungnahme als „unseren Anführer, in Wort und Tat ein Vorkämpfer von
Gleichheit und Galionsfigur im Kampf gegen Diskriminierung“, den man gerade
darum nicht verpflichten wolle, sich in einer Weise zu äußern, „bei der er
sich nicht wohl fühlt“. Im Herbst hatte El Yaakoubi argumentiert, mit
seiner Respect-Binde wolle er die Botschaft gerade „noch stärker und alles
umfassender machen“. Respekt stünde allen zu, „auch Leuten, die das
vielleicht ein bisschen anders sehen“.
## Verpasste Chance
Offensichtlich gilt Homophobie den antirassistischen Capitanos als
ziemlicher Nebenwiderspruch. Zumindest haben sie gravierende Defizite, was
Intersektionalität betrifft. Oder doch ganz etwas gegen alles, was von der
heterosexuellen Norm abweicht? Der queere Feyenoord-Fanclub „Roze
Kameraden“ ist jedenfalls „schwer enttäuscht“, dass Orkun Kökçü „ei…
schöne Geste und ein Signal zunichte macht“. Laut dem Algemeen Dagblad
versuchte der „Roze Kameraden“-Vorsitzende Paul van Dorst mehrfach
vergeblich mit dem Kapitän in Kontakt zu kommen.
Mark Boninsegna, als „Feyenoord-Dichter“ in der Fan-Szene bekannt, spricht
von einer verpassten Chance. „Wenn Kökçü wirklich Respekt für alle
ausdrücken will, kann er es am Besten mit dieser Binde tun.“ Allerdings
sieht er auch den Club in der Verantwortung. „Die Binde kam nicht über
Nacht ins Leben, es gab sie schon, bevor er Kapitän wurde. Da hätte man ihn
auch vorher fragen können: Stehst du dahinter? Sonst bist du vielleicht
nicht der richtige Kapitän, denn als solcher bist du auch der Anführer
aller Supporter.“
Genau hier allerdings scheiden sich die Geister. Denn auf Kökçüs erste
Weigerung im Herbst wurde er in Sozialen Medien zum Helden erklärt – weil
er „für seine Kultur“ eintrete und sich gegen das vermeintliche Woke-Diktat
und die Gender-Ideologie wehre. „Die, die ihn damals feierten, sind die
ersten, die ihn als Typhus-Muslim beschimpfen, wenn er während des Ramadan
eine Chance versemmelt“, meint Boninsegna zwar. Ungeachtet dessen aber
scheint die Ablehnung queerer Gleichberechtigung zur Brücke zwischen
manchen Muslimen und rechter Fanszene zu taugen.
Im weiteren Rahmen passt diese Entwicklung durchaus ins Bild. Die Katar-WM
hat einen kulturrelativistischen Blick auf das Thema zwar mit der
Brechstange, aber durchaus erfolgreich etabliert. Vielfach werden die
dortigen Binden-Aktionen inzwischen als peinlich, übertrieben oder
eurozentrisch empfunden. Bundestrainer Hansi Flick sagte zuletzt in einem
Kicker-Interview, man müsse sich fragen, „inwieweit wir zulassen, dass
diese Themen der Mannschaft aufgedrückt werden.“
18 Mar 2023
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## AUTOREN
Tobias Müller
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