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# taz.de -- Neuanfang im DFB: Und dann noch auf ein Käffchen?
> Deutschlands neuer Fußballretter Rudi Völler beehrt den Sportausschuss
> des Bundestages – und hat die versammelte deutsche Sportpolitik im Sack.
Bild: „Das kriegen wir wieder hin“: Rudi Völler (r.) und DFB-Chef Bernd Ne…
[1][Um Rudi Völler zu verstehen], muss man wissen, wo er herkommt. Sein
Vater Kurt arbeitete als Dreher und Lagerist, seine Mutter Ilse als
Putzfrau und Näherin. Völler entstammt der hessischen Arbeiterschaft, und
für ihn war der Fußball die Möglichkeit schlechthin, aufzusteigen und
Klassenschranken einzureißen. Völler ist diesen Weg stets ohne Komplexe
gegangen, selbst wenn er sich durch ein Dickicht aus Dünkel schlagen
musste.
Die gläsernen Decken hat er wie Butterbrotpapier durchstoßen, leicht und
lässig. So erscheint das Arbeiterkind auch an diesem Mittwochnachmittag als
Souverän vor dem Sportausschuss des Bundestages, der entgegen seiner
Gewohnheit öffentlich tagt. Der Raum 4.300 im Paul-Löbe-Haus ist brechend
voll. Man will ihn sehen, den Mann, der den deutschen Fußball nach der
Schmach von Katar, nun ja, retten soll.
Der [2][CSU-Sportpolitiker Stephan Mayer aus Altötting] spricht während der
Sitzung vom „erlauchten“ Besuch und ist geradezu begierig, seine Fragen an
den Mann zu bringen. [3][Ausschuss-Vorsitzender Frank Ullrich (SPD)], der
DDR-Biathlonmann, findet es „sensationell“, dass der Rudi vorbeigekommen
ist. Gut, DFB-Präsident Bernd Neuendorf ist wohl auch ein bisschen
mitgemeint; der ehemalige SPD-Minister sitzt neben dem eigentlichen Star
der Veranstaltung und klaut Völler erst einmal wertvolle Redezeit, die
Ullrich so fest im Blick hat wie einst die Rundenzeiten seiner Eleven im
thüringischen Oberhof. Über den beiden Gästen tickt eine für alle sichtbare
Countdown-Uhr, und wenn die Redezeit überschritten wurde, erscheint ein
Minus vor den Zahlen. Dann beginnt Frank Ullrichs Gesicht zu zucken.
## Parteifreundin mit Binde
Neuendorf erzählt, was er in den vergangenen Wochen schon so oft und bis
zur Ermüdung aller Protagonisten erzählt hat: Wie das mit der
One-Love-Binde war. Dass die Kicker mündig seien und selbst entscheiden
könnten. Dass er mit Innenministerin Nancy Faeser, der Parteifreundin, in
Doha zwar diniert, sie aber nicht onelove-mäßig beeinflusst habe. Auch die
parteinahe [4][Agentur BrinkertLück], laut Eigenwerbung eine Werteagentur,
habe angeblich keine Rolle in der Politisierung der WM gespielt. Dass die
Fifa der eigentliche Böse gewesen sei und nicht der DFB. Dass er angesichts
der Sachzwänge gut und richtig entschieden habe, bindentechnisch – und auch
sonst.
Der Funktionär beendet seinen Sermon und überlässt Völler ganze 50 Sekunden
Restredezeit, aber Ullrich zeigt sich gnädig, sodass Völler doch ein
bisschen ausholen darf. Vorm Gast liegen ein paar Ausdrucke auf dem Tisch.
Auf dem Deckblatt steht: „Analyse WM 2022, Entwicklung der
Nationalmannschaft seit 2018“. Jeder Fußballinteressierte weiß, dass es in
den vergangenen fünf Jahren nicht gut lief fürs deutsche Nationalteam:
Vorrunden-Aus bei der WM in Russland, gleiches beim Championat in der
Wüste. Völler, Mitglied der hernach eilends zusammengeschusterten
„sogenannten Task Force“, wie er die Arbeitsgruppe lustigerweise nennt,
blickt noch einmal auf die Rekrutierung des Retters: „Irgendwann schauten
mich alle an und sagten: Mensch Rudi, wie wär’s denn, wenn du das machst!?“
Und da er eine gewisse Dankbarkeit und Verpflichtung spüre, er ohnehin ein
Kind des Fußballs und des DFB sei, habe er halt zugesagt. Völler wird nicht
konkret in Analyse und Ausblick, vielmehr sagt er: „Ich will dafür
eintreten, dass wir wieder eine Einheit werden und die Menschen begeistern.
Und schöne Grüße auch vom Hansi Flick.“
Völler signalisiert dann irgendwann sein Unbehagen, derart eingezwängt zu
sein im Reglement der Redezeiten und schlägt den Parlamentariern vor,
nachher noch ein Käffchen in der Caféteria zu nehmen, um über dies und das
„zu schwadronieren“. Aber vorerst muss er noch ein paar nette
Rudi-Völler-Sätze loswerden: „Wir werden alles tun, damit es wieder
funktioniert. Wir sind dran. Es wird Veränderungen geben. So weit weg von
den Menschen in Deutschland sind wir doch gar nicht. Das kriegen wir wieder
hin.“ Klar, mit Hingabe, Leidenschaft und den letzten fünf Prozent.
Völler bleibt ebenso verbindlich wie vage, nur einmal zucken alle Zuhörer
im Saal leicht zusammen, als Völler düster orakelt, die nächste fünf, sechs
Jahre sei der deutsche Fußball noch konkurrenzfähig, „aber dann sehe ich
ein bisschen schwarz“. Er kabbelt sich noch mehr oder weniger freundlich
mit einem AfD-Politiker, gibt jenem Jörn König mit, dass er bei seinen
Ausführungen zur WM und der Binde zwar gut angefangen, dann aber stark
nachgelassen habe, preist später die italienische Streitkultur („Ich bin ja
ein halber Römer“) – und wickelt sie alle ein.
Als die Chose vorbei ist und man sich fragt, warum das Ganze eigentlich
veranstaltet wurde, steht die Antwort auf zwei Beinen bereit: Es ist der
Sportpolitiker Jens Lehmann, der sich wie ein kleines Kind auf einen
Plausch mit dem Rudi freut. Mit roten Bäckchen steht der ehemalige
Bahnradler da und wartet auf den so nahbaren Fußballstar. Rudi Völler, das
wurde immerhin an diesem Tag deutlich, ist kein Mann der Vergangenheit,
sondern einer der Zukunft. Auf ihn hoffen sie bis zur EM 2024 in
Deutschland. Der alte weiße Mann muss es richten.
2 Mar 2023
## LINKS
[1] https://www.bing.com/videos/search?q=youtube+rudi+v%c3%b6ller+schei%c3%9fdr…
[2] https://www.n-tv.de/politik/CSU-General-Mayer-tritt-nach-Bedrohung-von-Repo…
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Frank_Ullrich
[4] https://www.brinkertlueck.com/
## AUTOREN
Markus Völker
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