Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- CDU und Ampel wollen sanktionieren: Zickzackkurs mit den Arbeitslos…
> Sanktionen gegen angeblich „faule Arbeitslose“ werden wieder verschärft.
> Erwerbslose werden zum politischen Spielball von Ampel und Union.
Bild: Nicht nur die CDU will es, auch die Ampel: Außer der Miete könnte sogen…
Die 52-jährige gelernte Bürogehilfin Frau A. war seit vier Jahren
arbeitslos und im Hartz-IV-Bezug. Sie verdiente sich mit einem Putzjob
etwas dazu. Als ihr vom Jobcenter erneut ein Bewerbungstraining angeboten
wurde, diesmal mit Schminkkurs, lehnte sie ab. Das Jobcenter kürzte ihr
daraufhin den Regelsatz um 30 Prozent.
Frau A. findet sich in einer Erhebung der Hans-Boeckler-Stiftung über
[1][Fälle] von Sanktionierten. Die Studie von 2009 stammt aus einer Zeit,
wo mehr sanktioniert wurde als heute. Sie zeigt, wie unsinnig es sein kann,
wieder strenger zu verfahren, wenn es also zu einer Entwicklung käme, die
von der [2][Union] in ihrem Papier zu einer „Neuen Grundsicherung“ anstelle
des Bürgergeldes gefordert wird. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
hat diese Entwicklung bereits eingeläutet mit einem [3][Gesetzentwurf]: In
Fällen von völliger Verweigerung der Arbeitsaufnahme soll der Regelsatz für
zwei Monate komplett gestrichen werden können. Nur die Miete wäre
ausgenommen.
Moritz Duncker ist Vorsitzender der Jobcenter-Personalräte und kennt das
Hin und Her der Politik, die von den Jobcenter-Beschäftigten seit der
Einführung der [4][Hartz-IV-Gesetze] im Jahre 2005 mal eine strenge, dann
wieder eine lockere und jetzt wieder eine strengere Behandlung der
Langzeitarbeitslosen erwarten. „Das ist eine politische Eigendynamik, die
mit der Wirklichkeit in den Jobcentern nur noch bedingt zu tun hat“, sagt
Duncker.
Duncker verweist auf eine Statistik, nach der im September 2007 nur 0,35
Prozent der erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher:innen die Leistungen gekürzt
wurden, weil sie sich weigerten, eine Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme
aufzunehmen oder fortzuführen. Im November 2023 bekamen dann sogar nur noch
0,04 Prozent solche Sanktionierungen wegen der entsprechenden
Pflichtverletzungen.
## Langfristig nützen Sanktionen nicht
Die Ampel-Regierung verfolgte zuerst einen liberaleren Kurs. Mit der
Einführung des Bürgergeldes im Januar 2023 wurde zum Beispiel der
Vermittlungsvorrang in irgendeinen Job, egal welchen, abgeschafft und die
Weiterbildung durch Zuschüsse gefördert. Seit Herbst 2023 soll nun durch
den [5][„Jobturbo“] für die Ukrainer:innen und andere Geflüchtete die
Vermittlung in Jobs, auch in Hilfsjobs, wieder Vorrang haben vor einer
längeren Weiterbildung oder weiterführenden Sprachkursen.
„Dieser Zickzackkurs ist in den unterbesetzten Jobcentern schwer
umzusetzen“, sagt Duncker. Die Integrationsfachkräfte sollen die
Geflüchteten nun möglichst alle sechs Wochen zu einem Gespräch einladen,
egal wie sinnvoll das ist oder nicht. „Eine solche Vorgabe bindet natürlich
Kapazitäten, die dann anderen Leistungsempfänger:innen nicht zur
Verfügung stehen“, rügt Duncker.
Seit Einführung von Hartz IV, der Grundsicherung für Arbeitssuchende, im
Jahre 2005, habe es zwölf Änderungsgesetze gegeben und 90 weitere
gesetzliche Änderungen, schildert der Personalratsvorsitzende. „In der
jüngsten Vergangenheit ist die Halbwertszeit der Reformen und rechtlichen
Änderungen immer kürzer geworden.“
Dabei belegt die Forschung über die Wirkung von Sanktionen zwiespältige
Effekte. „Kurzfristig wirken Sanktionen, aber mittelfristig entwickeln sich
die Erwerbsbiografien der Sanktionierten nicht besser als die der
Nichtsanktionierten. Im Gegenteil“, erklärt Sozialforscher Joachim Wolff
vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
## Vergiftete Debatte
Ein Forscher ermittelte in einer Studie, dass Leistungsbezieher:innen
in den ersten ein, zwei Jahren nach einer Kürzung eher eine Beschäftigung
hatten als Nichtsanktionierte. In der langfristigen Betrachtung nach fünf
Jahren aber habe sich herausgestellt, dass die ehemals Sanktionierten ein,
zwei Prozent geringere Beschäftigungsquoten aufwiesen als die
Nichtsanktionierten, berichtet Wolff. Die Bezahlung der Jobs, die die
Sanktionierten aufnahmen, lag nach Erkenntnissen aus der Studie eher im
Niedriglohnbereich.
Druck zu erzeugen, damit die Erwerbslosen eine Arbeit beginnen oder eine
vom Jobcenter auferlegte Maßnahme annehmen, wirkt sich also langfristig
nicht unbedingt positiv aus. „Es muss darum gehen, dass eine Arbeit einen
weiterbringt oder eine Maßnahme sinnvoll ist“, sagt Wolff.
Die Union fordert in ihrem Papier für sogenannte Totalverweigerer, die eine
„zumutbare Arbeit“ ablehnen, die Grundsicherung komplett zu streichen. Dies
plant auch Heil im oben genannten neuen Gesetzesvorhaben, begrenzt diese
mögliche Streichung aber auf zwei Monate. Das [6][Bundesverfassungsgericht
hat in seinem Urteil] von 2019 eine komplette Streichung nur erlaubt, wenn
es Leistungsberechtigte nachweisbar „selbst in der Hand haben“, durch
Aufnahme einer angebotenen Arbeit den Leistungsbezug zu beenden. Das
nachzuweisen anhand einer konkreten angebotenen Stelle, die ja deR
Bürgergeld-Empfänger:in dann trotz etwaiger Leistungsminderungen oder
gesundheitlicher Probleme zur Verfügung stehen muss, „das wird schwierig
sein“, sagt Duncker der taz. Was die Diskussion über „Totalverweigerer“
betreffe, „beschäftigt man sich letztlich mit einem Randphänomen und
vergiftet die Debatte“.
20 Mar 2024
## LINKS
[1] https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-004573
[2] https://assets.ctfassets.net/nwwnl7ifahow/PBvPDiuBZOaKSvlKSA67h/143b4df38cb…
[3] /Sanktionen-in-der-Grundsicherung/!5979678/
[4] /Vor-der-Einfuehrung-des-Buergergeldes/!5900367
[5] https://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Pressemitteilungen/2023/turbo-zur-arb…
[6] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/20…
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Arbeitslosigkeit
Hartz IV
GNS
Sanktionen
Bürgergeld
Arbeitslosigkeit
Schwerpunkt 1. Mai in Berlin
Kolumne law and order
Bürgergeld
FDP
Bürgergeld
## ARTIKEL ZUM THEMA
Arbeitslosenzahl im Juni: Mehr Joblose trotz Sommer
Normalerweise sinkt die Zahl der Arbeitslosen im Sommermonat Juni – in
diesem Jahr nicht. Ursache dafür ist einzig die schwache Konjunktur.
20. Kampftag der Arbeitslosen: „Wir haben keine Forderungen“
Erwerblose begehen den 2. Mai als „Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen“.
Ein Gespräch mit Paul* von der Initiative Basta!
Verschärfungen beim Bürgergeld: Faktisch ein Arbeitszwang
Das Bürgergeld kann in besonderen Fällen komplett gestrichen werden. Das
ist Wasser auf die Mühlen derer, die nach noch schärferen Sanktionen rufen.
Debatte um Bürgergeld: Grummeln im Sozialflügel der CDU
Die CSU will die Abschaffung des Bürgergelds zum zentralen Punkt von
Koalitionsverhandlungen machen. Aus der Schwesterpartei kommt Kritik.
Bürgergeld-Forderungen der CDU: FDP distanziert sich von CDU-Plänen
Die CDU will Arbeitsverweigerer*innen das Bürgergeld komplett
streichen. Der sozialpolitische Sprecher der FDP hält das für unmöglich.
CDU-Rückstoß zum Bürgergeld: Die Bestrafungssucht der CDU
Mit der „Neuen Grundsicherung“ will die CDU Sozialhilfeempfänger bestrafen.
Dabei offenbart die Partei Fakten- und Realitätsferne.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.